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Grün ist die Sehnsucht: Eine Szene aus Lukas Jüligers Adaption von „Berenice“.
© Carlsen

Grusel-Comics: Zur Spannung noch das Feuilleton

Das Paaren von Literaturadaption und Comic in der Reihe „Die Unheimlichen“ hat gänsehauterzeugende Wirkung – die resultiert allerdings aus dem Ansinnen der Herausgeber.

„Die andere Idee, die hinter der Reihe steckt, ist, eine neue Form zu finden, die die teuren, dicken Graphic Novels ablöst oder zumindest ergänzt“, so Isabel Kreitz gegenüber dem Deutschlandfunk. Ihrer Ansicht nach soll dadurch verhindert werden, dass der Comic erneut in der Versenkung verschwindet. Diese ebenso wie in dem Radiobeitrag vorherrschende blauäugige Sicht der Dinge sucht also im erneuten Formatwechsel das Heil zur Bewahrung der Kunstform.

Dabei müssen Innovation und Kreativität zwangsläufig wie auf der Flucht angeschossene Zellenkumpel zur Sicherung des eigenen Entkommens zurückgelassen werden. Diesmal also handliche Bücher als Zwischenmahlzeit für den kleinen Hunger zwischendurch. Anlässlich der ersten drei Bände, deren Veröffentlichung gleichzeitig stattfindet – vielleicht ist man vom Sättigungsgrad einer Einzelportion doch nicht so recht überzeugt – bemüht man neben der Herausgeberin der Reihe höchstselbst, also Isabel Kreitz, weitere deutschsprachige Comicschaffende, nämlich Nicolas Mahler und Lukas Jüliger.
Die zu bearbeitenden literarischen Vorlagen entstammen verschiedenen Zeitabschnitten: Der gut abgehangene und die phantastische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts prägende Edgar Allan Poe dient Jüliger als Ausgangspunkt, während sich Österreicher Mahler heimatverbunden dem Prosadebüt Elfriede Jelineks widmet, welches seinerzeit für Peter Handkes Alltagshorroranthologie „Der gewöhnliche Schrecken“ Ende der 1960er Jahre entstand. Kreitz schließlich adaptiert eine Kurzgeschichte von Sarah Khan aus der 2013 erschienenen Sammlung „Berlin bei Nacht“.

Berlin, Berlin

Letztere versammelt Texte, welche Titel wie „Mit Diskurspop, Duchamp und Mission of Burma durch die Nacht“ tragen, die bereits drei Jahre vor Drucklegung des Buches vermutlich nicht einmal mehr von Spex oder Intro genommen worden wären und wirken in ihrer Berliner Nabelschau wie ein Relikt aus einer untergegangenen Epoche.

Diesem Geist gehorchend, haut Sarah Kahns „Den Nachfolgern im Nachtleben“ in eine thematische Kerbe, deren Pointe Stanley Ellin schon 1948 in „Die Spezialität des Hauses“ zeitloser hinbekommt, und die zudem in der Übersetzung durch Arno Schmidt aus dem Jahr 1962 mehr sprachliche Verve offenbart als sämtliche Autoren in „Berlin bei Nacht“ zusammengenommen. Zudem wirkt die mit Ekelgefühlen spielende kannibalistische Schlusspointe wie zur Sicherheit obendrauf gesetzt, in einem Gemischtwarenladen aus diskreditierender Sozialkritik sowie dem Herbeiimaginieren von anderer Ethnizitäten Wundermittel, was sowohl Aphrodisiaka wie auch zur Wiederbelebung von Toten taugende Wunderwässerchen umfasst. Und das Einflechten von Personen der Zeitgeschichte aus Politik oder Kultur lässt die Erzählung veralteter scheinen, als sie tatsächlich ist.

Zusammenprall der Kulturen: Eine Szene aus Isabel Kreitz' Adaption von „Den Nachfolgern im Nachtleben“.
Zusammenprall der Kulturen: Eine Szene aus Isabel Kreitz' Adaption von „Den Nachfolgern im Nachtleben“.
© Carlsen

Was aber macht Isabel Kreitz aus dieser Vorlage? Ein blassgelb beleuchtetes Figurenbüdchen mit einem Zombie-Suchspiel am Ausgang. Verwendet wird die wörtliche Rede des Buchtextes, außer Dialogen gibt es keine anderen den Inhalt der Geschichte transportierenden Elemente – ausgenommen natürlich die Bilder. Diese beschränken sich auf physische und verbale Interaktion, sodass einige in der Story enthaltene Informationen über einzelne Motive der handelnden Personen entfallen. Zwar wird die derzeitige Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, Grünen-Politikerin Claudia Roth samt um den Hals gewickelten Fuchsschwanz abgebildet, jedoch des Attributs der in der Erzählung verliehenen Kurzhalsigkeit beraubt. Das macht Teile der Geschichte zuweilen nebulös, wenngleich das eigentliche Grundgerüst erhalten bleibt. Sieht man vom ausgefeilt-detaillierten Stil der Grafik ab, bleibt die eigene kreative Leistung innerhalb der Adaption schwer auszumachen. Es fehlt der Mut zur Umsetzung einer eigenen Vision, die beispielsweise eine Kritik der diskutablen Textvorlage als Grundlage hätte haben können.

Stromausfall

In eine ganz ähnliche Falle tappt überraschenderweise Nicolas Mahler, der sonst zu adaptierende Vorlagen mit eigener Note zu versehen weiß. Ihm wurde die Schmuckfarbe helles Blau zugeordnet, deren jeweilige Zuweisung wohl weniger eigenen künstlerischen Erwägungen als der gestalterischen Konzeption des Verlags geschuldet ist, denn außer bei Jüliger ist kaum eine die Erzählung unterstützende Komponente als Folge der Farbgestaltung auszumachen.

„störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs“ offenbart bereits im Titel Elfriede Jelineks Motiv fortwährender Wiederholung von banalen Allgemeinplätzen. In dieser zwölfseitigen Stilübung wird anhand der geschlechtswechselnden und vampiresken Figur des Fremden sowohl dessen Funktionsweise als Platzhalter für projizierte Autoaggression als auch das sittenstützende Korsett von Phrasen der Kolportageliteratur seziert; eine redliche und der Vorgabe für “Der gewöhnliche Schrecken“ von Herausgeber Peter Handke entsprechenden Bestandsaufnahme vom bürgerlichen Alltag. Jelineks beabsichtigte Kernaussage erschließt sich einem allerdings weit vor dem eigentlichen Ende der Geschichte.

Berg bricht Fluss: Eine Seite aus Nicolas Mahlers Adaption von „störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs“.
Berg bricht Fluss: Eine Seite aus Nicolas Mahlers Adaption von „störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs“.
© Carlsen

Insofern ist die dem Format der Comicreihe gehorchende notwendige Komprimierung sicher sinnvoll, verloren geht allerdings der verstörende Effekt eines Textes in durchgängiger Kleinschreibung, der sich den Regeln der Interpunktion mit Ausnahme von Satzschlusszeichen verweigert. Durch das Aufteilen der einzelnen Textelemente auf verschiedene Seiten mit jeweiliger Illustration geht diese an den Bewusstseinsstrom angelehnte und dem Leser keine Zeit zur Besinnung lassende Schreibweise verloren – der Text wird seiner Wesentlichkeit beraubt, ohne dass eine dementsprechende grafische Ausdrucksweise dafür gefunden wird. Kurz gesagt, Mahlers lediglich illustrativ fungierende Bilder unterbrechen die Etablierung einer gehetzten Atemlosigkeit und bewirken leicht zu konsumierende Niedlichkeit durch den belesenen Bildungsbürger, für den das Büchlein ein nettes Mitbringsel mit dem Charakter eines Kuriosums darstellen mag.

Poe-Fetisch

Ausgerechnet die vorhersehbarste Wahl eines Autors innerhalb einer Reihe mit derartiger Ausrichtung, den am Ende doch niemand ernsthaft in Betracht gezogen hätte, Edgar Allan Poe, bietet mittels „Berenice“ eine Vorlage, die es herausreißt: Cousin und Cousine, von Siechtum heimgesucht und ehewillig – was zumindest nach katholischem Eherecht einen Hauch von Tabubruch beinhaltet – durchleben nach dem Erleiden düsterer Bewusstseinszustände, welche identifikationsstiftend geschickt an dem Leser vertraute geistige Verfassungen anknüpfen, gemeinsam ein dentales Drama. Diese klassische Poe-Story versammelt Elemente, denen der Horror neuerer Prägung auch nicht mehr viel hinzuzufügen hat, und bietet somit eine solide Grundlage für Lukas Jüliger, der davon unbenommen trotzdem kreatives Engagement zeigt.

Sehnsuchtsort Wald: Eine Seite aus Lukas Jüligers Adaption von „Berenice“.
Sehnsuchtsort Wald: Eine Seite aus Lukas Jüligers Adaption von „Berenice“.
© Carlsen

Er erzählt die in das Hikikomori-Ambiente verlegte Geschichte von Einzelgängern, die in Zimmern voll popkulturellen Schutts dahinvegetieren, bereichert um eigene Interpretationen aus einem zeitgenössischen Blickwinkel. Dabei verzichtet er als einziger Autor auf Textübernahmen aus dem Original, gewinnt aber an sozialer Relevanz. Das Internet spielt eine Rolle, dessen Einsatz als ein tragendes Element der Erzählung schrammt zuweilen zwar knapp am Klischee vorbei, die unbestreitbaren Auswirkungen auf die menschliche Sexualität, wie sie Jüliger thematisiert, sind aber nicht von der Hand zu weisen – zudem passt hier die grünliche Schmuckfarbe, die in Kombination mit Schwarz alles in ein augenverderbendes Panorama verwandelt, geschuldet dem viel zu langen Starren auf den Bildschirm. Zugleich zelebriert Jüliger in Kombination mit großzügig bewilligter weißer Fläche eine Natur, welche die sich nach ihr manifestierende Sehnsucht in den Erinnerungen der Hauptfigur zu einem unerreichbaren Ort der Erlösung stilisiert.

Die fortwährende Fetischisierung asiatischer Kultur durch westliche Künstler ist sicherlich diskutabel, wüsste man nicht, dass der Autor seine Observationen menschlicher Abwege ebenso überzeugend in deutschen Kleinstädten inszenieren kann, wie er es 2012 in „Vakuum“ souverän demonstrierte.

Ob die auf den Titeln vorgenommene Platzierung vom Namen des Lieferanten der Vorlage über dem des Adaptierenden eine Gewichtung der Wertigkeit bedeutet, bleibt Spekulation, fügt sich jedoch in das Muster mangelnden Selbstwertgefühls in der Branche ein – steht doch in einer Comicadaption stets die Visualisierung im Blickpunkt. Zumindest aber bei Jüliger sollte dessen Name an erster Stelle stehen, nachfolgend dann „nach Edgar Allan Poe“.

Drei auf einen Streich: Die Cover der besprochenen Titel (für Komplettansicht auf das rote Plus-Symbol klicken).
Drei auf einen Streich: Die Cover der besprochenen Titel (für Komplettansicht auf das rote Plus-Symbol klicken).
© Carlsen

Die Unheimlichen, hrsg. von Isabel Kreitz, je 12,00 Euro, je 64 Seiten, Carlsen-Verlag, bisher drei Bände: „Berenice“ von Lukas Jüliger, „Der fremde!“ von Nicolas Mahler und „Den Nachfolgern im Nachtleben“ von Isabel Kreitz

Die Reihe „Die Unheimlichen“ wird beim Internationalen Comic-Salon Erlangen, der diesen Donnerstag beginnt, mit einer Ausstellung bedacht. Mehr zum Salon hier.

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