Internationaler Comic-Salon 2018: Alles bleibt anders
Bei der 18. Auflage des Internationalen Comic-Salons ab diesem Donnerstag stehen Veränderungen an – nicht nur im Hinblick auf die Veranstaltungsorte.
Die sonst als zentraler Veranstaltungsort für den Comic-Salon dienende Heinrich-Lades-Halle steht auf Grund von Renovierungsarbeiten nicht zur Verfügung, daher wurde entschieden, dieses Mal auf Schlossplatz nebst -garten sowie dem Hugenottenplatz seine Zelte aufzuschlagen. Das ist nicht nur eine Redewendung, wie Festivalleiter Bodo Birk kürzlich in einem Interview ausführte.
Erhalten bleiben jedoch – neben den in drei Hauptzelten untergebrachten beteiligten Verlagen und Institutionen wie Kunsthochschulen – über die Stadt verteilte Satellitenausstellungen, die sich konzeptuell unter anderem in einem „Comic-Spaziergang“ niederschlagen. Dieser weist spezifische Eigenheiten auf, welche die konstant voranschreitenden Veränderungen innerhalb der inzwischen vierunddreißigjährigen Geschichte des Comic-Salons illustrieren: Die Schnitzeljagd zur Komplettierung eines in verschiedene Kapitel unterteilten Comics von Michael Jordan führt durch inhabergeführte Geschäfte. Sind die Ausstellungsorte oft dem Kulturwesen der Stadt angegliedert, wie beispielsweise das Kunst- oder Stadtmuseum, so ist dieses Mal – wenn auch nicht erstmalig – der Einzelhandel beziehungsweise dessen jeweilige Schaufenster und somit dessen wirtschaftliche Interessen Teil des Konzepts. Bemerkenswert aber ebenso, dass die Idee hinter dem Comic-Spaziergang einem Gedanken der Comic-Theorie folgt: Nämlich dem der Vervollständigung der Übergänge zwischen den Bildern durch die Lesenden.
Zwischen Offenlegung und Mäzenatentum
Dass eine derartige Großveranstaltung nicht ohne Sponsoren wie Siemens und Datev auskommen kann, liegt in der Natur der Sache. Der Comic ist eine Kunstform, mit der in Deutschland generell keine bahnbrechenden Umsätze zu erzielen sind, sodass dessen wichtigstes inländisches Zusammentreffen zunehmend auf Unterstützung von Verlagen bei der Programmgestaltung angewiesen scheint – was reine Produktpräsentationen wie die Vorstellung des kommenden Herbst-/Winterprogramms durch den Splitter-Verlag mutmaßen lassen.
Wurden sonst häufig erfolgreiche Ausstellungen anderer Museen übernommen, so zeigt sich diese Einflussnahme in der Betitelung einiger Veranstaltungen, denen in einer Mischung aus Transparenz und Werbewirksamkeit der Name des jeweiligen Gönners vorangestellt ist – wenn es nicht, wie im Fall von Jeff Lemire, staatliche Institutionen wie die Botschaft von Kanada sind. Dessen Werkausstellung im Redoutensaal, kuratiert vom zuständigen Redakteur der Tagesspiegel-Comicseiten, Lars von Törne, zudem Mitglied in der für die Max-und-Moritz-Preisverleihung zuständigen Jury, ist auf Grund ihrer Mischung von Independent- und Kommerz-Comics sicherlich eine interessante Metapher für die Schwierigkeiten, heutzutage unabhängig Kunst zu präsentieren, und allein wegen Lemires expressivem Zeichenstil sehenswert.
Ebenfalls im Redoutensaal zugegen ist Flix, der mit Lemire zudem den Hang zum quaderartigen Nasendesign bei der Darstellung der in ihren Comics auftauchenden Figuren teilt. Als einer der erfolgreichsten deutschen Comic-Autoren mit regelmäßigem Comicstrip in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und – wenngleich nicht als Einziger – überdies im Ausland erfolgreich, darf dieser als erster deutscher Comicschaffender ein Album zu der den franko-belgischen Comic prägenden Reihe „Spirou und Fantasio“ beisteuern, zweifelsohne ein Novum. Die Flix' Werdegang gewidmete Werkschau versucht Einblick in den Berufsalltag eines vielbeschäftigten Comickünstlers zu gewähren.
„Schlicht und bestechend“ nennt das ehemalige Max-und-Moritz-Jury-Mitglied Brigitte Helbling das Konzept der Reihe „Die Unheimlichen“, die in der Ladengalerie mit einer Ausstellung bedacht wird. Dass sie zu diesem Urteil gelangt, liegt bei einer Verfasserin eines Nachworts zu einem der Bände der beim Carlsen-Verlag erscheinenden Reihe nahe – wobei zumindest das Urteil über deren Schlichtheit bezüglich der dort gezeigten Literaturadaptionen durch Künstler wie der gleichfalls als Herausgeberin tätigen Isabel Kreitz oder Nicolas Mahler vom Autor dieser Zeilen teilweise geteilt wird. (Mehr dazu demnächst im Tagesspiegel.) Die Werkschau wird nicht namentlich vom Carlsen-Verlag präsentiert, da aber die Reihe selbst als thematische Klammer derselben dient, ist sie natürlich eine Werbemaßnahme. Vom Unvermögen, die jeweilige Qualität eines Comic in Gänze, also dessen Gesamtinhalt, museal abbilden zu können, weil er dazu gelesen werden muss, wurde bereits berichtet, so bleibt hier nur der Verweis auf die hohe Qualität des Artworks aller in der Ausstellung präsentierten Künstler – neben Kreitz und Mahler werden dort noch Barbara Yelin und Lukas Jüliger gezeigt – und die Empfehlung, sich das anzusehen. Ergänzend dazu sei ein Besuch des am Freitag um 13.00 im Kollegienhaus stattfindenden Podiumsgesprächs über „Comics ausstellen“ anempfohlen, in dem sich Andreas C. Knigge unter anderem mit Alexandra Hentschel vom Erika-Fuchs-Haus über die Präsentationsspezifika von Comics austauschen wird.
Vom Safeword zum Schlagwort und zurück
Wirklich unheimlich verspricht ein recht origineller museumspädagogischer Ansatz im Erlanger E-Werk unter dem Titel „The Colour out of Space“ zu werden: Bei der mit einer Taschenlampe illuminierten Führung werden nicht nur nach einer Geschichte von Horror-Autor H. P. Lovecraft entstandene Zeichnungen Andreas Hartungs gezeigt, sondern ebenso sollen Orte innerhalb des E-Werks erkundet werden, „die nie zuvor ein Mensch betreten hat“ ... Brrr.
Das Lachen vergehen könnte einem ebenfalls bei den „Kranken Comics“ von Klaus Cornfield im Transfer. Besucher mit einem hochgeschlossenen moralischen Korsett sollten bei den sex- und drogenverliebten Ausschweifungen Cornfields, die auch vor Disney-Figuren nicht haltmachen, zumindest den obersten Kragenknopf lockern, ansonsten besteht Erstickungsgefahr. Der gleiche Rat sei auch Besuchern des am 03. Juni um 12 Uhr in der Orangerie stattfinden Publikumsgesprächs „Kartoffeldruck und Krakelcomics“ ans Herz gelegt, wenn längst überwunden geglaubte Grabenkämpfe zwischen Puristen und Anhängern von Marketingsprech eventuell wieder aufflammen werden. „Graphic Novel“ und „Nominierungen für den Max-und-Moritz-Preis“ wären hier die Safe-Wörter, um mal im Duktus kranker Comics zu verbleiben. Mit dabei: Festivalleitung Bodo Birk.
Natürlich sind Jubiläen zu begehen – zum Beispiel „30 Jahre Zwerchfell“ mit eigens von Aike Arndt festgehaltener Verlagsgeschichte in Comicform, dazu gibt es in der Ladengalerie Altstadtmarkt eine hoffentlich mit „Bettgeschichten“-Originalen bestückte Ausstellung sowie ein Podiumsgespräch am 31. Mai um 15.00 im Kollegienhaus, an dem unter anderem die Verlagsleiter Stefan Dinter und Christopher Tauber teilnehmen werden.
Einen weiteren großen Schwerpunkt, neben dem Fokus auf die kanadische Comic-Szene durch eine Dependance des Toronto Comic Arts Festivals im oberen Foyer des Redoutensaals, legt der 18. Comic-Salon auf das seit geraumer Zeit die Lufthoheit innehabende Schlagwort vom „Comic-Journalismus“. Vor allem die Gesellschaft für Comicforschung, ComFor e. V., ist sehr aktiv und präsentiert mehrere Vorträge im Kollegienhaus zu diesem Thema, bei dem die Kernfragestellung in etwa auf eine eventuell vermeidbare Subjektivität in der Perspektive hinauslaufen dürfte. Die Antwort ist natürlich ein klares „Nein“, dazu muss der Journalismus nicht erst gezeichnet daherkommen.
Einem wichtigen Thema – in dem Zusammenhang sei auch auf die Vertrauensperson zum Schutz vor eventueller sexueller Belästigung hingewiesen, Messeleiterin Eva Hugo – widmet sich der von der Comic Solidarity am 2. Juni in der Messe-Halle C (Schlossgarten, Bühne) um 14 Uhr angebotene Workshop „Was darf ich im Comic noch geil finden? Ein Leitfaden für alle Leidtragenden des Feminismus“, der zweifellos den zeitgeistigsten Titel aller Veranstaltungen trägt. Gleich danach, um 15 Uhr, folgt auf dem am selben Ort gelegenen Podium das von Tagesspiegel-Kollegin Marie Schröer moderierte Thema „Strip*tease: Künstlerinnen in der Comic-Szene“, bei dem Katja Klengel, Lea Wegner und Lisa Frühbeis über Sex im Comic mittels ihrer Werke referieren werden.
Trotz der bereits ebenso anderenorts angesprochenen kleinen Schönheitsfehler sind wir natürlich guter Dinge: Denn wie jeder regelmäßige Besucher weiß, ist „vor dem Salon nach dem Salon“, und von daher klassifiziert sich Deutschlands einzige ernstzunehmende Comic-Großveranstaltung auch ohne renovierungsbedürftigen Hauptveranstaltungsort als fortwährende Dauerbaustelle, bei der Kritik stets wohlwollend zur Kenntnis genommen wird.
Ach so, und Manga findet ebenfalls statt, allerdings zu wenig. Herr Birk ist sich dessen aber bewusst. So gibt es die David Fülekis „Manga Madness“ gewidmete Ausstellung im Untergeschoss von Ultra Comix, welches in der Südlichen Stadtmauerstraße 6 gelegen ist. Außerdem wird mit „Cosplay und japanische Modestile“ gleich zu Beginn des Salons am 31. Mai um 14.30 Uhr auf der Datev-Stage ein weiterer ewiger Underdog der allgemeinen Wertschätzung im Comic zum Thema. Moderiert wird das Ganze von Martina Peters.
Das war natürlich nur ein kleiner Einblick in eine überwältigende Fülle von Angeboten, deren Großteil selbstverständlich nicht-kommerzieller Natur ist. Mehr dazu finden Sie hier.
Oliver Ristau
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