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Immer feste druff. Fabian Hinrichs und die Compagnie des Friedrichstadt-Palastes.
© William Minke/Friedrichstadt-Palast

Pollesch im Palast: Zalando ist doch kein Zuhause

Volksbühne goes Friedrichstadt-Palast: René Pollesch und Fabian Hinrichs "Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt".

Also, Lasershow können sie im Friedrichstadt-Palast definitiv besser als in der Volksbühne. Und großzügige Premierenbewirtung auch. Entsprechend fällt der Andrang zum größten Coups der jungen Spielzeit aus. Der Diskurstheaterkönig und zukünftige Volksbühnen-Intendant René Pollesch und sein bevorzugter Schauspiel-Komplize Fabian Hinrichs machen Sprechtheater im Revuepalast!

Wo sonst Kegelclubs und Sportvereine in freudiger Erwartung der „Vivid“-Grand-Show-Attraktionen Selfies schießen, füllt am Mittwochabend die triebgedämpfte, von Film bis zu Oper und Politik reichende Kulturprominenz der Stadt das Foyer.

Dieser überraschende Anblick ist Pollesch und Hinrichs mit ihrer in einen kurzweiligen 70-Minüter mündenden Schnapsidee namens „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ schon mal gelungen. Wobei kurz noch der ketzerische Gedanke durch’s Gehirn flimmert, ob der notorische Kapitalismus-Kritiker Pollesch (Tsp vom 9. 10.) mit dieser Kollaboration nicht auch sein Theater einer popularisierten Verwertung und Verwässerung zuführt.

Die ersten Sätze des Monologs, die der auch als Co-Regisseur fungierende Fabian Hinrichs in die Manege schleudert, lassen dann erstmal erschrecken. Die Stimme des in Polleschs „Kill your Darlings“ 2012 so überzeugenden Solisten verpufft, ist viel zu leise.

Das beim „Vivid“-Fundus ausgeborgte Kostüm samt Glitzerwams und Federbusch fordert allzu banal Lacher für den barfüßigen Hofnarren ein. Und das Schwelgen im technischen Pomp des Palastes, den Lasergewitter und Popsongs über die leere Bühne pusten, dauert zu lang für den hübschen visuellen Spaß.

Endlich sitzen. Fabian Hinrichs umringt vom Ballett des Friedrichstadt-Palastes.
Endlich sitzen. Fabian Hinrichs umringt vom Ballett des Friedrichstadt-Palastes.
© William Minke

„Was mache ich hier eigentlich?“ fragt Hinrichs selbstironisch, als er später längst zu Stimme, Rhythmus und Raumwirkung im Verein mit dem knapp 30-köpfigen Showballett gefunden hat. „Ich hab’ O-Beine, ich kann nicht tanzen.“ Was man halt im Kampf gegen Einsamkeit immer mache, gibt er sich selbst die Antwort. „Irgendeinen Käse reden im Friedrichstadt-Palast und hoffen, dass es gelingt.“

Das ist ab dem zweiten Drittel des nett verspielten, aber die Hoffnung auf Erneuerung der Welt mit wenig Substanz und Ideen bereichernden Abends dann auch der Fall. Dass die durchtrainierten Tänzerinnen und Tänzer die Verlorenheits-Suada des spacken, hinkenden, sich betont asynchron bewegenden Hinrichs illustrieren, geht gut auf.

[Friedrichstadt-Palast, wieder am 23.10., 6. und 27.11., 11.12., 15.1.]

Und Intendant Berndt Schmidt kann aufatmen, weil seine Truppe selbst beim militärischen Beineschleudern der obligatorischen Chorus Line nicht als kapitalistisches Menschenmaterial vorgeführt wird. Überhaupt fällt die diskursive Fallhöhe trotz Hinrichs wunderhübschen Abhebens in den Nachthimmel des Palastes niedrig aus. Kindheitstraumen, Kapitalismuskritik, urbane Isolation, metaphysiche Obdachlosigkeit des modernen Menschen – Polleschs Worttapete quillt über vor Zeichen, doch keins ergibt diesmal ein Muster oder gar ein prägnantes Bild.

„Ich hab ja auch mit dir kein Zuhause. Zalando ist doch kein Zuhause. Der Kapitalismus ist doch kein Zuhause“, greint der rastlos den Raum bis in die Zuschauerreihen durchmessende, immer wieder rührend komische Fabian Hinrichs. Was von der Theatersensation bleibt? Ein Glitzermenschlein, dass unter sehr freundlichem Schlussapplaus am LED-Sternenzelt schwebt.

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