zum Hauptinhalt
Texte für die Veränderung der Welt. René Pollesch an seinem Schreibtisch.
© William_Minke

René Pollesch über MeToo am Theater: „Wir wollen, dass Sexismus aufhört“

Die Theaterszene sensibilisiert sich für Themen wie MeToo und Rassismus. Aber ändert sie sich auch? Ein Gespräch mit dem künftigen Volksbühnenchef.

Revue oder Revolution oder immer auch beides: Der Berliner Dramatiker und Regisseur René Pollesch gehörte zu den prägendsten Künstlern an Frank Castorfs Volksbühne. Zur Saison 2021/22 übernimmt der 56-Jährige selbst die Intendanz am Rosa-Luxemburg-Platz. Vorher gibt er noch sein Debüt im Berliner Friedrichstadt-Palast, zusammen mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs. Premiere ist am heutigen Mittwoch, weitere Vorstellungen am 23. Oktober, 6. und 27. November, 11. Dezember und am 15. Januar 2020.

Herr Pollesch, Ihr neuer Abend heißt: „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“. Outen Sie sich da als Optimist oder als Revolutionär?
Manchmal sind Titel ja eher eine Aufgabe, die man sich stellt. Wir denken bei den Proben immer wieder darüber nach, ob man die Frage nach der „Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ auf dem Theater überhaupt beantworten kann. Oder ob wir nicht eher das Problem haben, dass sich genug Leute damit auseinandersetzen wollen, aber nicht unbedingt gute Abende dabei herauskommen.

Das Problem haben wir tatsächlich, oder?
Es gibt einen Satz, von dem Adorno behauptet, dass Brecht ihn gesagt habe: „Mich interessiert au fond das Theater dann doch mehr als die Veränderung der Welt.“ Das finde ich keinen schlechten Satz: Man weiß, wo man sich befindet, weiß um seine Wirkungsmacht und darum, dass die sehr eingeschränkt ist, und dass man sich im Theater gerne vormacht, man könnte etwas zur Veränderung der Welt beitragen. Aber wenn man dann genau hinschaut, ist die Praxis da auch nur sexistisch und rassistisch. Das ist ja gerade ein großes Thema, dass das so auseinanderklafft: wie man sich selbst verhält und was man sich als Manifest gibt.

Wie wird denn Ihr Abend mit Fabian Hinrichs und 26 Tänzerinnen und Tänzern des Friedrichstadt-Palastes aussehen?
Da bin ich auch immer noch gespannt, jeden Tag wieder, tatsächlich. Unsere Arbeitsweise ist ja nicht so, dass wir vorher einen Plan haben, den wir dann umsetzen wollen. Wir haben keine Vision, die wir versuchen zu verwirklichen.

Die Konstellation mit Fabian Hinrichs und einem Bewegungschor erinnert an Ihre grandiose Produktion „Kill your Darlings“ in der Volksbühne, die 2012 zum Theatertreffen eingeladen wurde.
Obwohl man mir das oft unterstellt, haben wir überhaupt keine Lust, uns zu wiederholen. Aber mehr würde ich ungern über den Abend sagen, weil man dann so vorbereitet ist. Und ich mag das ja ganz gerne, wenn man in ein Theater geht und das nicht vorher anmoderiert wird.

Dann reden wir über den Ort, an dem der Abend stattfindet, den Friedrichstadt-Palast: Eine sehr überraschende Bühne für eine Pollesch-Hinrichs-Premiere!
Ich war das erste Mal im Friedrichstadt-Palast, als ich mit Kathi Angerer an „Service / No Service“ gearbeitet habe, 2015 an der Volksbühne. Sie ist ein großer Fan des Friedrichstadt-Palastes. Wir haben den Palast dann angeschrieben und einen einladenden Brief zurückbekommen: dass sie die Volksbühne sehr mögen und sich sehr freuen.

Und wie wurde die Sache jetzt konkret?
Das war vor zwei Jahren. Da standen wir vor der Volksbühne herum, und plötzlich kam die Idee auf und jemand hat Berndt Schmidt, dem Intendanten, eine SMS geschickt. Der schrieb dann zurück, er sei erstmal perplex und könne auf die Schnelle nichts sagen, aber wir sollten uns treffen. Das haben wir dann getan.

2021 werden Sie selbst Theaterchef, nämlich an der Volksbühne. Obwohl Sie immer wieder betont haben, es sei nie Ihr Lebenstraum gewesen, Intendant zu werden.
Nein. Es ging hier aber um die Intendanz der Volksbühne. Es ging um dieses Haus und darum, Verantwortung zu übernehmen, für mich, für die Leute da. Es ging auch um unsere Praxis, die sehr viele TrägerInnen hat, und darum, den festen Ort dafür zu haben, der sie in ihrer ganzen Stärke zeigen kann.

Als Sie Ihr Konzept eines Autorentheaters vorstellten, sagten Sie: „Die Praxis ist die Message“. Was bedeutet das?
Jetzt wird ja gerade viel darüber geredet, dass man Hierarchien abschaffen will. Da kann man natürlich entweder sagen: Alles, was nach Hierarchie stinkt oder auch nur ansatzweise als solche identifiziert werden kann, muss jetzt weg. Oder man hat sowieso eine Praxis, die nicht hierarchisch ist. Wenn du alles verbietest, hast du ja immer noch keinen Umgang miteinander, sondern du verhinderst nur einfach bestimmte Dinge. Viele Regisseure denken immer noch, es sei ihre Aufgabe, den anderen reinzureden. Sie meinen, der Regisseur ist der, der eine Vision hat, der Vorstellungen davon hat, wie die Kostüme aussehen müssen und das Bühnenbild und wie die Schauspielerinnen sich bewegen sollen.

Das vermeintliche Regie-Genie, das Sie hier beschreiben, wird ja inzwischen angemessen problematisiert.
Ich kenne auch Geschichten von Regisseuren, bei denen man das Gefühl hat, dass ihnen der Theaterabend gar nicht so wichtig ist wie die Tatsache, dass sie alles alleine gemacht haben. Jedenfalls verstehen sie jede andere Kompetenz als Angriff auf ihre Position. Hauptsache, sie können abends im Bett liegen und denken: Das war alles ich!

Wie läuft es denn bei Ihnen?
Wir haben einen gemeinsamen Nenner. Und der sagt eben nicht dauernd: Das muss hier aber alles hierarchiefrei sein. Sondern der sagt: So arbeiten wir.

Die Struktur ist so beschaffen, dass Verbote überflüssig sind.
Genau. Ich muss mir gar nicht verbieten, den Bühnenbildnerinnen reinzureden, sondern die Praxis ist einfach so: Der erste Autor des Abends ist die Bühnenbildnerin oder der Bühnenbildner. Aber wenn du keinen Umgang hast, wenn du keine Praxis hast, in der verschiedene Kompetenzen aufeinandertreffen können, dann musst du dir natürlich was verbieten, wenn das hierarchiefrei ablaufen soll. Dann ist das jetzt auch dringend an der Zeit, dann warst du nämlich lange genug ein narzisstisches Arschloch.

Sie sind für die Themen, die jetzt im Zuge von #MeToo auf den Tisch kommen, schon seit jeher sensibilisiert. Bei Ihnen gab es nie geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Texten, die Schauspielerinnen und Texten, die Schauspieler sprechen.
Ja, natürlich. Das ist ja eine große utopische Energie zu sagen: Wir wollen, dass Sexismus aufhört. Wir wollen, dass Leute, die ein anderes Theater machen wollen, nicht ausgegrenzt werden. Das Problem ist, dass bevor das wirklich breit diskutiert wird, es sich schon in die Anforderungen von Institutionen und in normative Erwartungen verwandelt. Es geht dann darum, das zum Erfolg zu führen. Also, diese Energien werden sofort abgesaugt. Gleichzeitig könnte man ganz pragmatisch sagen: Jetzt haben wenigstens mehr Frauen und People of Color Jobs.

Tatsächlich gibt es zurzeit unzählige Abende, in denen Regisseure, die bis dato nicht direkt als Feministen aufgefallen sind, dem Publikum MeToo erklären.
Der Kapitalismus reformiert sich ja auch dauernd. Forderungen von Bewegungen, zum Beispiel die der 68er-Bewegung nach Flexibilität und Mobilität, hat er ja aufgegriffen und absorbiert. Jetzt geht es darum, MeToo umzumünzen. Jede utopische Energie wird sofort in etwas verwandelt, was sich rechnet.

Zu beobachten ist eine Konjunktur von Stoffen und Perspektiven, die als spezifisch weiblich gelabelt werden. Wären genderblinde Inszenierungen wie Ihre nicht interessanter, die Frauen nicht als solche markieren und damit schon wieder in eine Schublade stecken, sondern die den weiblichen Positionen einfach denselben Allgemeingültigkeitsanspruch zugestehen wie den männlichen?
Tatsächlich bleibt das Problem so lange bestehen, wie die Repräsentation auf dem Theater nicht fallen gelassen wird.

Ihr Thema seit den Neunzigern!
Ich glaube nicht, dass Theater prophetisch sein muss, aber es muss sich Themen widmen, die noch nicht in der „Tagesschau“ vorkommen. Und das Theater muss genau bleiben. Wir sollten harte Theorien, wenn wir auf sie zugreifen, nicht verwässern.

Und das passiert jetzt?
Wenn jetzt gesagt wird, es muss in den Theatern um die Sichtbarkeit gehen von Frauen und People of Color, dann ist klar, es muss die Quote geben, es darf keinen Gender Pay Gap geben. Andererseits ist das Privileg des weißen, heterosexuellen Mannes ja gerade seine Unsichtbarkeit.

Also dass seine Perspektive eben genau nicht unter dem Aspekt von Hautfarbe, Geschlechtszugehörigkeit usw. gelesen wird, sondern sich universell setzt.
Ich kenne Regisseurinnen, die den „Kirschgarten“ inszenieren wollen, ohne dass sie ihren Migrationshintergrund mitliefern müssen. Die anderen markieren ihre Inszenierungen ja auch nicht mit ihrem weißen, männlichen, heterosexuellen Hintergrund. Und das ist der Trick. Sie können für alle sprechen, weil sie nicht gesehen werden. Sie können Theaterabende machen, ohne markiert zu werden. Ohne neutralisiert zu werden.

Haben sich Ihre Volksbühnen-Pläne seit der Pressekonferenz weiter konkretisiert?
Wir sind dabei, treffen uns regelmäßig, und es gibt konkrete Ideen von Künstlerinnen, die wir gefragt haben. Die werde ich jetzt allerdings nicht ausplaudern.

Zur Startseite