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Von der Elbe an die Themse. Hartwig Fischer (53) leitet seit Ende 2011 die 14 Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Der gebürtige Hamburger war zuvor Direktor des Museums Folkwang in Essen. Wie sein Dresdner Vorgänger Martin Roth, der jetzt das Victoria & Albert Museum leitet, wechselt auch Fischer demnächst nach London: als Chef des British Museum.
© Kai-Uwe Heinrich

Dresdens Museumschef Hartwig Fischer: „Wir müssen Weltoffenheit wiedergewinnen“

Hartwig Fischer leitet die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Im Interview spricht er über den kulturellen Rang der Stadt, Pegida-Rassismus und das Schweigen der Bürger.

Herr Fischer, als Barack Obama Deutschland 2009 erstmals als Präsident besuchte, kam er gerade von seiner Rede in Kairo, wo er um das Vertrauen der Muslime im arabischen Raum geworben hatte, und er traf Angela Merkel in Dresden. Der gemeinsame Auftritt fand im Schlosshof vor dem Grünen Gewölbe statt, auf den Sie aus Ihrem Büro als Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen blicken. Glauben Sie, dass Obama heute noch als Erstes nach Dresden kommen würde?

Er würde jetzt wohl nach Berlin gehen, auch wenn Dresden ein Ort des Diskurses darüber wäre, wie wir in dieser Welt mit unterschiedlichen Konfessionen und Kulturen zusammenleben wollen, ohne uns umzubringen. Aber in Dresden treten auch die Schwierigkeiten in besonderer Weise zutage.

Stichwort: Pegida. Warum ist Dresden zum Hauptort dieser Bewegung geworden?

Die Bewegung ist auch in Dresden eine Minderheit und mit Blick auf die Bedeutung der Stadt eigentlich eine Marginalie. Im Moment jedoch schwillt das an, und was bei den Demonstrationen immer stärker durchbricht, ist politisch, gesellschaftlich, kulturell hochproblematisch – und menschlich schwer erträglich.

Reagieren Sie darauf?

Wir haben gerade ein interdisziplinäres Colloquium zu Pegida veranstaltet, in der im September 2013 wieder eröffneten Schlosskapelle, unweit der Stelle, wo Obama und Merkel sprachen. Die 1555 geweihte protestantische Kapelle wurde 1737 abgerissen, zuvor war im Schlosshof auch das protestantische Bildprogramm abgeschlagen worden, nachdem der sächsische Kurfürst zum Katholizismus konvertiert war, um die Hand auf die polnische Krone legen zu können. Unmittelbar neben diesem hohen Ort des Protestantismus hat man wenig später die katholische Hofkirche errichtet. Die Schlosskapelle wurde jetzt nach fast 300-jähriger Nichtexistenz rekonstruiert, und nun schauen Sie durch die Nordfenster hinaus auf die katholische Hofkirche und durch die Südfenster auf das ebenfalls rekonstruierte protestantische Bildprogramm. Diese Konstellation ist einzigartig. Kein Mensch hat dies je gleichzeitig sehen können. Es ist eine bewusst ahistorische wie ökumenische Fantasie der Denkmalpflege. Ein Sinnbild. Aber das friedliche Zusammenleben aller Konfessionen und Kulturen ist heute von rechts außen aufgekündigt.

Dort haben Sie diskutiert über –

„Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und ,Wende‘-Enttäuschung“, bei uns veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und dem Institut für Soziologie der TU Dresden. Das war die beste, differenzierteste Veranstaltung zum Thema, an der neben Soziologen, Historikern, Politologen auch der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz und der Schriftsteller Ingo Schulze teilnahmen. Aber noch einmal zum Schloss: In einer der lebhaftesten Auseinandersetzungen, die ich als Direktor der Sammlungen in Dresden geführt habe, haben wir uns dafür eingesetzt, dass Teile im rekonstruierten Bau roh bleiben, mit den Spuren der gewaltsamen Geschichte. Wir wollten die Vergangenheit nicht überkleistern.

Wie es David Chipperfield im Neuen Museum in Berlin gemacht hat.

Nein, weniger perfekt, und zwar ausdrücklich. Man neigt in Dresden dazu, die Versehrungen und Narben der Stadt unsichtbar zu machen. Als ließe sich Geschichte damit aufheben. Rekonstruktion bedeutet ja in einem Zug Wiedergewinnung und Vernichtung der Geschichte. Nur, man weiß es, das Verdrängte und Verschwiegene kehrt unweigerlich zurück, als Gespenst oder als Neurose. Jetzt erkennen wir, dass im bürgerlichen Milieu eine gewisse idyllische Geschichtsseligkeit und Sehnsucht nach der heilen oder geheilten Welt ins Irrationale kippt. Es ist diese Haltung: Wir sind in der Vergangenheit, durch Diktatur und Krieg, um etwas Kostbares gebracht worden, obwohl wir – angeblich – unschuldig waren, und jetzt wollen wir es zurückhaben. Das Verdrängte kehrt wieder als Aggression, Angst vor Veränderung, Hass gegen Andere, die „Fremden“. Seit Pegida durch die Straßen zieht, ist die Tradition der kulturellen Weltoffenheit, die zum Prägend sten dieser Stadt gehört, beschädigt. Und die Mehrheit schweigt.

Bisher glaubte man – symbolisiert etwa im Wiederaufbau der Frauenkirche –, da zeige ein neues altes Stadtbildungsbürgertum sein kultiviertes Gesicht.

Der Hass gegen Ausländer, gegen Flüchtlinge, Politiker oder die Medien speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Doch wer glaubt, die eigene Heimat als „christliches Abendland“ wie eine heile Welt verteidigen zu können, der vergisst, dass die eigene Geschichte un-heil ist, voller Zerstörungen, zugefügten und erlittenen. Als vor einem Jahr die Demonstrationen anschwollen, saßen Vertreter der Stadtgesellschaft bei der damaligen Oberbürgermeisterin, die dazu aufrief, nach draußen klarzumachen, dass Dresden eine weltoffene Stadt sei. Ich habe geantwortet, Dresden sei keine weltoffene Stadt mehr, sondern zeige der Welt nun den hässlichen Teil seiner Wahrheit; Weltoffenheit müssten wir erst wiedergewinnen.

Also keine Imagekosmetik.

Gewiss nicht. Nur ist die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren, in die eigenen Abgründe zu sehen und damit produktiv umzugehen, hier nicht so ausgeprägt.

In anderen Städten gab es sehr viel stärkere Gegen-Manifestationen der Zivilgesellschaft. Haben sich Dresdens Kulturbürger lieber in den „Turm“ zurückgezogen, den Uwe Tellkamp im Roman beschreibt?

Am Anfang wurde das Phänomen unterschätzt. Heute gibt es auch hier großartiges bürgerschaftliches Engagement und viele Initiativen zugunsten der Flüchtlinge. Aber die Mehrheit des Dresdner hat tatsächlich Schwierigkeiten, auf der Straße sichtbar gegen Pegida Position zu beziehen. In Leipzig ist das anders. Leipzig ist nicht schöne Residenzstadt, sondern Bürgerstadt, klarer, härter, offener.

Mit internationalen Verbindungen, die auch zu DDR-Zeiten durch die Messe nie ganz abgerissen waren.

In Leipzig überwogen immer die Manifestationen für ein weltoffenes Land, und der Oberbürgermeister marschierte bei den Gegendemonstrationen vorne mit.

Was der sächsische Ministerpräsident oder Dresdens Stadtoberhaupt nicht tun.

Die Ministerin und der Staatssekretär für Wissenschaft und Kunst haben an Gegendemonstrationen teilgenommen. Doch es klafft ein Hiatus. Dresden hat am 9. November, dem Datum der Pogrome von 1938, Pegida den zentralen Platz vor Semperoper, Schloss und Zwinger eingeräumt, um hier nationalistische, rechtsradikale Parolen anzustimmen. Die Kulturinstitutionen haben in einem offenen Brief protestiert, aber die Stadt zog sich auf einen formalen Standpunkt zurück.

Leipzig hat jetzt die Innenstadt gesperrt und Pegida auf andere Routen verwiesen.

Man will sich noch immer nicht eingestehen, dass dieser Rassismus – denn darauf läuft es am Schluss hinaus – eine Bedrohung ist. In anderen Teilen der Welt wird die an Kulturschätzen und Wissenschaftsinstitutionen unvergleichlich reiche Stadt inzwischen genau damit identifiziert. Es hat zwar Hunderte von Diskussionen und Bürgerinitiativen gegeben, Konzerte und Statements für Weltoffenheit und Bürgerrechte, viele zeigen Hilfsbereitschaft, die Museen geben vielfältige Unterstützung: Aber das schafft noch kein nachhaltiges öffentliches Gegengewicht.

Im ersten Halbjahr 2015 gab es erstmals einen Rückgang der Besucherzahlen in Dresden, und damit auch in den Museen. Gegen den Trend in anderen Städten.

Für das ganze Jahr haben wir noch keine genaue Statistik, doch spüren wir die Auswirkungen. Das gilt auch für die Vermietung von Räumen, etwa des Albertinums oder des Residenzschlosses. Firmen und Veranstalter, die gerne nach Dresden gekommen sind, zögern, manche sagen ab. Ähnliche Erfahrungen machen Hoteliers.

Die Semperoper und Ihre Museen haben Transparente für Humanität und Weltoffenheit gehisst, Sie haben selber im Spätsommer ein internationales Kunstfest mit ähnlicher Botschaft veranstaltet. Gibt es nun Anfragen aus der Politik, das zu verstärken, oder geraten Sie da als Museumsdirektor an Grenzen?

Die Anregung zum internationalen Kunstfest kam aus der Bundespolitik. Wichtige Impulse kommen von Kolleginnen der Staatlichen Kunstsammlungen, aus dem Kreis engagierter Bürger, aus den Kulturinstitutionen, den Universitäten und Hochschulen, von unseren Freunden und Förderern aus ganz Deutschland. Unser Statement ist: „14 Museen mit Werken aller Kontinente – ein großes Haus voller Ausländer.“ In dieser Stadt wurden Werke anderer Kulturen seit dem 16. Jahrhundert nicht nur gesammelt und bewundert, sie haben die Menschen hier dazu beflügelt, ihr Bestes zu geben. Kein Meissen ohne China. Kein „Selbst“ ohne die „Anderen“. Das gilt auch für die vielen großen Forschungsinstitutionen der Stadt, die vom internationalen Austausch leben und jetzt höchst besorgt sind.

Sie erwähnen den globalen Blick, über Europa hinaus. Den will auch das künftige Berliner Humboldt-Forum öffnen. Als museales Flaggschiff des einstigen Empires hat ihn natürlich bereits das British Museum in London. Dessen Direktor Neil MacGregor übernimmt demnächst das Humboldt-Forum, und Sie gehen 2016 als sein Nachfolger nach London. Als erster ausländischer Direktor seit 1866. Liegt da ein Austausch mit Berlin nahe?

Neil MacGregor hat im British Museum für uns alle klargemacht, welche Bedeutung der Austausch zwischen den Kulturen hat: ob es sich um langfristige Kooperationen mit Institutionen anderer Kontinente handelt oder um Ausstellungen über Afghanistan, den Iran, China oder nicht zuletzt Deutschland und seine Rolle in Europa. MacGregors „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ zeigt, wie man mit überraschenden Einsichten in die Vergangenheit zugleich unsere Gegenwart besser erkennt. Diesen Weg werden wir sicher weitergehen. Im Übrigen sind Reaktionen auf Krieg, Flucht, Vertreibung und Migration internationale Phänomene. Pegida wird hoffentlich wieder verschwinden, aber die Ursachen und Wirkungen globaler Veränderungsprozesse werden uns weiter beschäftigen.

Ihre 14 Museen sind selber Orte der Forschung. Schlagen Sie in einzelnen Ausstellungen auch Brücken zu den schon erwähnten Wissenschaften?

Unbedingt! Die Staatlichen Kunstsammlungen gehören ja zu den wenigen wirklich enzyklopädischen Museen. Wir haben die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in Hochschulen und Forschungsinstitutionen verstärkt, die mit Kollegen in anderen Kontinenten intensiviert, wir erschließen mit ihnen zusammen unsere nicht europäischen Bestände und das, was diese seit dem 16. Jahrhundert hier an schöpferischen Auseinandersetzungen angestachelt haben. Ein anderes Beispiel: Der Philosoph Wolfgang Scheppe hat mit unseren Museen einen Zyklus von Ausstellungen unter dem Titel „Forschungsreisen im Depot“ konzipiert. „Die Dinge des Lebens / Das Leben der Dinge“ entwickelte er an einem einzigen Objekt, der Schale, eine neue Theorie globaler Kultur; „Supermarket of the Dead“ machte die Verbindung zwischen dem traditionellen Brandopferkult in China und dem Kult des globalisierten Konsums sichtbar. Exemplarische Projekte, die weithin wahrgenommen werden. Im Mai 2016 folgt eine Ausstellung zur „Ästhetik des Rassismus“ unter dem Titel „Die Vermessung des Unmenschen“. Im Mittelpunkt steht dabei das bislang unerforschte Bildarchiv des Anthropologen Bernhard Struck.

Wer ist denn das?
Struck war vor 1933 am damaligen Museum für Völker- und Tierkunde in Dresden tätig, wurde dann Universitätsprofessor und Beirat für das Dresdner Hygiene-Museum, machte bei den Nazis als Rasse-Forscher Karriere und setzte seine Laufbahn als Anthropologe und Museumsdirektor in Jena und Dresden zu DDR-Zeiten fort. Eine bemerkenswerte Kontinuität. Wir blicken hier in unsere eigene Geschichte – in einem Moment, da der Rassismus in ungeahnter Weise wieder virulent wird.

Das Gespräch führte Peter von Becker.

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