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Holz und Glas in Harmonie. Der Architekt David Chipperfield eröffnet seine „Intervention“ im Mies van der Rohe-Tempel.
© dpa

David Chipperfield am Kulturforum: Neue Nationalgalerie: Der Wald steht still und schweiget

David Chipperfield hat in der Neuen Nationalgalerie eine Installation mit 143 Fichten aufgebaut. Anschließend wird das Haus für fünf Jahre geschlossen – und von Chipperfield saniert.

Ende des Jahres ist Schluss. Dann erlischt die bislang mehrfach verlängerte „Betriebsgenehmigung“ für die Neue Nationalgalerie, und die Zeit der Generalsanierung beginnt. Wie lange sie dauern wird, ist nicht abzusehen. Man muss sie wohl auf fünf Jahre ansetzen. Fünf Jahre, in denen – wie immer mit der Sammlung zur Kunst des 20. Jahrhunderts verfahren wird – jedenfalls das grandiose Gebäude, entworfen von Ludwig Mies van der Rohe und eröffnet 1968, der Öffentlichkeit entzogen bleibt.

Für das letzte Vierteljahr ihrer Öffnung allerdings wartet die obere Halle der Neuen Nationalgalerie mit einer faszinierenden Installation auf. „Sticks and Stones“ nennt David Chipperfield seine „Intervention“ aus 143 grob entrindeten Baumstämmen, die sich dem von Mies verordneten strengen Raster einfügen und doch so ganz anders wirken als der Stahl des Gebäudes.

David Chipperfield und sein Büro werden die Neue Nationalgalerie sanieren, und sie werden es so sorgfältig bewerkstelligen wie zuvor die hochgelobte Wiederherstellung des Neuen Museums auf der Museumsinsel. Die ab Mittwoch zu begehende Installation stellt eine ästhetische Annäherung an das Projekt dar, dessen vollständiger Umfang noch nicht bestimmt ist, ebenso wenig wie die Kosten, die sich wohl im Bereich von 50 Millionen Euro bewegen dürften. Dass Mies’ Stahltempel jedoch nicht in erster Linie ein Kostenproblem darstellt, sondern ein architekturhistorisches Monument, wie es von solchem Rang nur wenige gibt, machen die 143 Baumstämme schlagend deutlich.

Mies van der Rohe scherte sich nicht um praktische Erfordernisse

144 sollten es ursprünglich sein, zwölf mal zwölf, die in ihrer Mitte ein Quadrat aussparen. Dann stellte sich jedoch heraus, dass die beiden Garderobeneinbauten – nicht von Mies, der sich um praktische Erfordernisse wenig scherte – unbeweglich sind und die kniffelige Montage an diesen Stellen verhinderten. Vier Stämme mussten entfallen, dafür kamen drei zunächst nicht geplante hinzu.

Das kann man durchaus metaphorisch verstehen; als Hinweis darauf, dass der rationalen Planung Grenzen gesetzt sind. Mies war ein Verfechter solcher Planung, er schuf einen Plan, der nichts offen ließ, und sei es – wie bei seinen Apartmenthochhäusern in Chicago – die mögliche Stellung der Jalousien. In Berlin verwirklichte sich Mies den Traum eines frei schwebenden Daches über einer vollständig stützenfreien Halle. Das stählerne Dach von 65 Meter Kantenlänge ruht auf acht Pfeilern, die jedoch, je zwei an jeder Seite, außerhalb der durch eine Glashaut begrenzten Halle stehen.

Sie werden darum auch nur wenig beachtet. Heutzutage erscheint uns alles selbstverständlich, schwebende Dächer, freie Räume; für Mies, noch zur Kaiserzeit geboren und aufgewachsen, war das anders. Den Zauber, den Mies selbst und die Zeitgenossen der endsechziger Jahre noch erfahren haben mögen, ruft die Installation Chipperfields wieder ins Bewusstsein. Die Stämme aus Sitka-Fichte tragen das Dach nicht, obgleich sie an den Kreuzungspunkten der Kassettendecke angebracht sind und diese zu schultern scheinen. Ein Säulenwald erstreckt sich vor dem Betrachter, und hier ist dieses ansonsten nur im übertragenen Sinne gebrauchte Wort am rechten Platz. Übrigens sind die nun gefällten Bäume genau einhundert Jahre alt geworden, gepflanzt kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs in einem Wald an der pommerischen Ostseeküste.

Das Dach hängt bis zu zwölf Zentimeter durch

Jeder der 8,20 Meter langen Stämme von leicht unterschiedlichem Durchmesser und Gewicht ist mit der Decke durch ein Stahlgewinde verbunden; doch so, dass die Decke sich bewegen kann: Sie hängt je nach Außentemperatur und möglicher Schneelast bis maximal zwölf Zentimeter durch. Das sieht kein Besucher, aber es gehört zu den Wundern der Konstruktion. Die Bäume stehen in Reih und Glied, man könnte an Birnams Wunderwald aus Shakespeares „Macbeth“ denken. Doch die Chipperfield’schen Bäume wandern nicht, sie halten ihren Platz ein und bilden in ihrer Naturhaftigkeit den Kontrast zur metallenen Künstlichkeit der Halle. Und doch erinnern sie daran, woraus sich Pfeiler und Säule einst entwickelt haben: aus der Verwendung hölzerner Stützen, die die Last einer Bedachung tragen. Stütze und Last, das Kernthema der Architektur und die eigentliche Bedeutung des Begriffs, ist in Mies’ Abstraktion unsichtbar geworden. Chipperfield stellt es wieder vor Augen.

„Sticks and Stones“, wie der Titel lautet, kommt vom englischen Kinderreim her. Hier ist es eher eine Wortspielerei, gemünzt auf die Stämme und den Stein, auf dem sie ruhen, die Granitplatten des Fußbodens. Es wird nur mehr ein Vierteljahr dauern, bis an die Stelle der hölzernen Stämme nach und nach metallene Gerüste treten werden, um das Dach in Augenschein zu nehmen. Allzu lange schon wurde diese Revision hinausgezögert, und seit Jahren wird der Zustand des Hauses beklagt, der zu manchen Kompromissen geführt hat, und seien es nur die riesigen Glasscheiben, die seit Jahren mangels geeigneter Produktion nicht mehr ersetzt werden konnten. Neue Scheiben müssen enorm erhöhten Anforderungen genügen, wie überhaupt das ganze Gebäude. Könnte man einen derart kühnen und zugleich doch ganz reduzierten Entwurf heute überhaupt noch verwirklichen?

David Chipperfields „Intervention“ lässt darüber nachdenken. In der Nacht erstrahlt sein Wald in voller Beleuchtung – damit Neugierige zu jeder Stunde angelockt werden, die Schönheit, aber auch die Verletzlichkeit dieses großen Wunderraumes aufzunehmen.

Neue Nationalgalerie, bis 31. 12.; Di, Mi, Fr 10–18, Do 10–20, Sa, So 10–18 Uhr.

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