Kolumne "Spiegelstrich": Wir brauchen eine Sprachdiät
Allgemeinplätze, Superlative und Manager-Jargon verstopfen die öffentliche Kommunikation, meint unser Kolumnist. Dagegen müssen wir etwas tun.
Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. In seiner Kolumne „Spiegelstrich“ beschäftigt er sich mit der Sprache in der Politik. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.
Unsere Sprache ist – in ihren besten Momenten – zart und zärtlich, zugleich kraftvoll und wendig, da sie jeden denkbaren Gedanken ausdrücken können muss. Sprache kann jedoch auch verfetten. Dann erstarrt sie. Sagt nichts mehr aus.
Das passiert unter anderem dann, wenn die Schreibenden und Sprechenden sich aufplustern; verfettete Sprache soll den Zweifel am Gehalt des Gesagten tilgen und erreicht das Gegenteil: Was aufgebläht ist, ist eher plump als präzise, eher konturlos als scharf.
Die Seite 1 der „Bild“-Zeitung sieht mitunter aus wie ein gelayoutetes Geständnis: Och, na, hm, natürlich stimmt das nicht ganz exakt, aber wir sind laut! Donald Trump hat in drei Präsidentenjahren über 15.000 mal gelogen, aber in Versalien. Sobald Magazine schreiben, dass „der Druck immer mehr zunimmt“, glaube ich ihnen nicht.
Wer hat es wie gemessen? Und welcher linguistische Gangster hat dieses „immer mehr“, die Hyperventilation als Normalzustand, erfunden? Nimmt erst der Druck immer mehr zu, „droht das Scheitern“ oder auch „ein schmutziger Schattenkrieg“, das ist dann eine Frage der Logik. Hauptsache Apokalypse, der Ton unserer Zeiten ist selten leise, es wummert und tost.
Ich habe dieses neue Jahr erstmals mit einem Diätvorsatz begonnen. Ein Sabbatical und allerlei Familienreisen führten 2019 zu vortrefflichem Gekoche und entsprechendem Dinieren – weg muss nun das, was die Kleinfamilie Restewampe nennt.
Vorschlag: Beginnen wir das neue Jahr parallel mit sprachlicher Abrüstung, oder beginnen wir gleich hier: Streichen wir die „Abrüstung“ und nennen sie gleichfalls „Diät“. Unser Ziel: eine reduzierte, messerspitze Sprache, eine, die sagt, was sie meint, und zugleich erfrischt.
Ich habe darum eine Aufgabe für die erste Woche mitgebracht:
Lassen Sie uns gemeinsam auf alle Superlative verzichten, es sei denn, allein der Superlativ ergibt Sinn (falls der FC St. Pauli den höchsten Sieg der Vereinsgeschichte erstreitet, muss dieser so genannt werden). Lassen Sie uns Adjektive streichen, die unnütz sind, vor allem Adjektive im Zusammenspiel mit Wortkram wie „ungeheuer“ oder „unfassbar“. Sie werden sehen: Schon wird unser Text ungeheuer viel schneller … schon beschleunigen wir den Text.
Weg mit dem Management-Jargon!
Haben wir einen 2020-Pakt? Es geht aber noch weiter.
Wir verzichten nun für eine Woche auf folgende Wörter: „nahezu“, „irgendwie“, „natürlich“, „fast“, „wirklich“ und „sehr“. Letzteres wird manche deutschen Reporter (und wenige Reporterinnen) ärgern, weil diese Reporter (mehr als die Reporterinnen) anzugeben geneigt sind, und darum muss die Heldin ihrer Texte „sehr rothaarig“ sein oder auch, denn im Reporterleben drohen immer mehr Gefahren, „sehr scharfzüngig“. Fort auch mit dem absoluten Wissen von Sätzen wie: „Wer wissen will, wie der Klimawandel wirken wird, muss auf die Malediven reisen.“ Nö. Muss ich nicht.
Wir lassen schließlich bitte all das noch weg, was geschriebenes Räuspern zu Beginn eines Satzes ist: „Um ganz ehrlich zu sein“; „kein Zweifel…“
Schaffen wir noch mehr?
Dann streichen wir jene Manager-Begriffe, die unser Sitznachbar im ICE gerade in sein Mobiltelefon presst: „zeitnah“, „Game Changer“, „asap“ (das in jedem ICE, in dem ich fahre, stets exakt so gesprochen wie es geschrieben wird).
Unser Vorsatz im noch immer erst beginnenden Jahr: Auf all dies verzichten wir nun eine Woche lang.
Falls uns danach etwas fehlt, erklären wir Vorsätze für sehr ungeheuer überflüssig und führen das Gestrichene wieder ein; und Sie lesen diese Kolumne bitte nie wieder, die der Tagesspiegel wegen erwiesener Sinnlosigkeit aber dann ohnehin wegspart.
Allerdings: Sollte uns nach einer Woche nichts fehlen, fühlen wir uns restewampenfrei. Beweglich. Das Fett wird weg sein. Und dann trainieren wir uns Sprachmuskeln an.
Klaus Brinkbäumer
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