Fünf Jahre "Floskelwolke": „Luft nach oben“
Phrasen, Plattitüden, Propaganda: Seit fünf Jahren ermuntert die „Floskelwolke“ zu einem sorgsamen Umgang mit Sprache.
Die Regierungserklärung von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 24. Juli war für Sebastian Pertsch und Udo Stiehl offenbar ein großes Fest. Kaum hatte sie ihre Rede vor dem Bundestag gehalten, veröffentlichten die beiden Journalisten die dazugehörige Floskelwolke mit den signifikantesten Phrasen à la „Verantwortung übernehmen“, „Schalter umlegen“ und „es gibt viel zu tun“ ... „in diesen Zeiten“.
Die „Floskelwolke“ ist ein Projekt, mit dem Pertsch und Stiehl Journalisten, aber nicht nur diese, daran erinnern wollen, dass man sich möglichst nicht „mit Hochdruck“ zu weit „aus dem Fenster lehnt“, um über „Datendiebstahl“ „auf offener Straße“ zu schreiben. An Beispielen für fragwürdige Formulierungen mangelt es nicht in den Medien, schließlich sind Tode meistens tragisch und Verwüstungen selten anders als schwer.
2000 Medienseite im Blick
Vor fünf Jahren wurde die erste „Floskelwolke“ über die sozialen Netzwerke verbreitet, mit Phrasen, Plattitüden und Propaganda. Gefüllt wird die Begriffswolke über einen Algorithmus, der täglich rund 2000 Medienseiten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich durchforstet und mit den in der Datenbank der „Floskelwolke“ hinterlegten Phrasen abgleicht. Auf dieser Basis entsteht ein Ranking der am häufigsten verwendeten Floskeln. Besonders häufig vorkommende Begriffe werden wie auf dem Bild mit Annegret Kramp-Karrenbauer durch eine größere Schriftart hervorgehoben.
An diesem Sonntag findet zum Anlass des Jubiläums ein journalistischer Themenabend im Museum Barberini in Potsdam statt. Die vielen Fans der „Floskelwolke“ – auf Twitter folgen 15 000 und auf Facebook knapp 6000 Nutzer dem Projekt – werden derweil nicht müde, ständig neue Floskeln zur Aufnahme in das Glossar vorzuschlagen.
Die beiden Journalisten teilen die zu beanstandenden Begriffe in drei Kategorien. In die erste Gruppe gelangen die harmlosen Sprachlässlichkeiten, wenn zum Beispiel die Polizei wieder einmal auf fieberhafte Suche geschickt wird. In die zweite Kategorie fallen inhaltlich falsche Floskeln, so wie der Datendiebstahl. Zur Kategorie drei gehören jene Floskeln, die manipulativ sind oder propagandistisch missbraucht werden. Wie für den gesamten Journalismus war auch für die „Floskelwolke“ das Jahr 2015 und die Diskussion über den Flüchtlingszuzug dabei ein wichtiges Datum. Einerseits wegen Begriffen wie „Flüchtlingstsunami“, andererseits, weil Protestbewegungen wie Pegida oder die AfD mit bewusst falsch gewählten Begriffen operierten.
In erster Linie ist die „Floskelwolke“ jedoch ein Projekt, das sich der Pflege der Sprache im Journalismus verschrieben hat. Obwohl doch gerade die Sprache das wichtigste Handwerkszeug von Journalisten sein sollte, werde darüber kaum diskutiert, monieren die beiden Journalisten, die auf eine langjährige Erfahrung als Nachrichtenredakteure zurückblicken können. In vielen Medienhäusern gebe es zum Thema Sprache nur selten Redaktionsrichtlinien und eine adäquate Ausbildung, kritisieren Pertsch und Stiehl. Immerhin: In einigen Redaktionen stehen „Phrasenschweine“, die nach besonderen Sprachschnitzern mit einem Strafgeld gefüttert werden.
Viel Wohlwollen und viele Erwähnungen
Von Journalisten wird das Sprachpflegeprojekt mit Wohlwollen und vielen Erwähnungen begleitet. 2015 war die „Floskelwolke“ sogar der erste Preisträger des Günter-Wallraff-Preises für Journalismuskritik. Sie mache „in innovativer Weise auf Unzulänglichkeiten, Fehler und Manipulationen in der Nachrichtensprache aufmerksam“, lobte die Jury. Im gleichen Jahr wurde das Projekt zudem für den Grimme Online Award in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Ein Jahr später veröffentlichten die beiden Journalisten das Buch zur Wolke, Titel: „Ihr Anliegen ist uns wichtig! So lügt man mit Sprache“.
Wichtig ist den Machern der Floskelwolke, dass sie nicht als Sprachpolizei verstanden werden. Anders als im „Hohlspiegel“ des Magazins „Spiegel“ werden darum auch die Namen der Medien, in denen eine Phrase verwendet wurde, nicht genannt. Mitunter würde das allein schon deshalb nichts bringen, weil einige Medien aus dem Boulevardbereich unverbesserlich sind, sagt Sebastian Pertsch, wiederum ohne Namensnennung. Statt dessen versuche man über Retweets Positivbeispiele zu geben.
Im September soll die runderneuerte Webseite www.floskelwolke.de starten. Für jeden Begriff wird es dann einen Glossareintrag mit der Möglichkeit zur Diskussion geben. Auch die Anzahl der Floskeln, die mit den Online-Seiten der Medien abgeglichen werden, wird dann erhöht. Man könnte sagen, da gebe es noch „Luft nach oben“, aber diese Floskel steht selbstredend auf dem Index.
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