Sprache als Waffe: "Wer mich beleidigt, schenkt mir immerhin Aufmerksamkeit"
Wir werden verletzlicher - und lechzen doch nach der Aufmerksamkeit der neuen Medien: Dies und vieles mehr kam im Salon der Berliner Akademie zur Sprache.
Am Berliner Gendarmenmarkt zu fragen, „Ist Sprache eine Waffe?“ – das passt. Gendarmen kommt von „Gens d’armes“ – bewaffnete Leute. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, gegenüber von Schinkels historischem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt gelegen, bot der von Kurt Tucholsky entlehnten Frage am Samstagabend mit ihrem traditionellen Salon Sophie Charlotte eine große öffentliche Bühne.
„Man kann vor Sprache und den Wirkungsweisen von Sprache auch Angst haben“, stellte Martin Grötschel, der Präsident der Akademie, in seiner Begrüßungsansprache fest. „Das macht die Sprache. Ich kenn sie doch, die Macht der Sprache“, skandierte kurz darauf der virtuos-sprachgewaltige Berliner Slampoet Bas Böttcher. Sprache könne durchaus eine Waffe sein, erklärte später in einer der Gesprächsrunden die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. „Es gibt Formen der Sprache, die alles andere als harmlos sind, die sogar die Vorbereitungsrhetorik für das Umbringen von Menschen bilden.“
Ist das feinere Florett erlaubt?
Tucholsky habe den viel zitierten, aus einer seiner „Peter Panter“-Glossen stammenden Satz von der Sprache als Waffe in den politischen Wirren der Weimarer Republik aber durchaus positiv gemeint, gab darauf FU-Romanist Jürgen Trabant zu bedenken. Schon die nachfolgende Mahnung „Haltet sie scharf“ belege das. Trabant bekannte sich persönlich zu Wilhelm von Humboldts Sicht der Sprache als „Liebesgeschehen“. Doch wie soll man reagieren, wenn die andere Seite den verbalen Schlagabtausch eröffnet? „When they go low, we go high“, lautete Michelle Obamas Devise, mit der im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf das Niveau gerettet werden sollte. Ist also statt der sprachlichen Keule allenfalls das feinere Florett erlaubt?
Der Historiker Uffa Jensen vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der HU wiesen darauf hin, dass massive körperliche Auseinandersetzungen – etwa Wirtshaus-Schlägereien, bei denen die „Gendarmen“ eingreifen müssen – in unserer Gesellschaft abgenommen haben. Verbale Aggressionen würden dafür aber als stärker erlebt. „Es gibt ein Mehr an Verletzlichkeit“, sagte Möllers. Mit den „Shitstorms“ im Internet gibt es zudem neuen Grund dazu. Andererseits zeige sich in unserer Gesellschaft neuerdings aber auch eine Art „narzisstischer Ambivalenz“, nach dem Motto: „Wer mich beleidigt, schenkt mir immerhin Aufmerksamkeit.“
Herta Müller rät zum Schweigen
Wie wohltuend und kostbar wirkt dagegen, was die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller über das Schweigen zu sagen hat. „Es gibt lange Strecken im Leben, da muss man nicht reden, und alles ist gesagt.“ Auch literarisches Schreiben könne eine Form dieses Schweigens sein, „man macht es ja nur mit sich selbst aus“. Herta Müller sprach aber auch über ihre Erfahrungen mit dem Überwachungsstaat, in dem Sprache nicht frei war und man sich mit dem Sprechen „viel verderben“ konnte. Im Rumänien ihrer Jugend habe sich die Ideologie „in eine Blechsprache gekleidet, die klapperte“. Da erlebte sie Sprache als eine Waffe, die den anderen gehörte, die feindlich besetzt war.
Schneiderin wäre sie damals gern geworden oder Friseurin, sagte die Literaturnobelpreisträgerin im Gespräch mit dem Vizepräsidenten der Akademie, Christoph Markschies. Etwas gestalten, ohne zu sprechen: „Was man tut, muss nicht im Wort verdoppelt werden.“
Von dieser Einsicht war es ein großer Sprung zum Kinderbuchhelden Dr. Doolittle, der 498 Tiersprachen verstand. Dabei haben Tiere gar keine Sprache, wie Primatenforscherin Julia Fischer überzeugend darlegte. „Affen beobachten sehr genau, sie haben auch eine differenzierte Kommunikation. Und sie können sehr viel lernen. Doch ihnen fehlt offensichtlich jede eigenständige Motivation, sich sprachlich zu äußern.“ Auch wenn Menschen gemeinhin gerne Sprachfähigkeit in Tiere hineingeheimnissen, wo sie nur Laute nachahmen, wie auch der Bochumer Biopsychologe Onur Güntürkün beklagte: Die beiden Forscher finden es viel spannender, die Bausteine des kognitiven Verhaltens von Tieren unbefangen zu untersuchen.
Digitale Assistenten und die Sehnsucht nach einem Ansprechpartner
Ersatzweise bieten sich heute Sprachassistenten wie Alexa oder der Google-Assistant an. „Die Faszination, Computern Sprache beizubringen, besteht seit 40 Jahren“, berichtete Wolfgang Wahlster vom Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Aus Suchmaschinen wurden inzwischen dank komplizierter Algorithmen „Antwortmaschinen“.
Die Sehnsucht nach einem Ansprechpartner werde uns mehr und mehr dazu bringen, den Maschinen menschliche Züge zuzugestehen, meint der Schriftsteller Ulrich Woelk. Er hat den digitalen Assistenten ein amüsant-nachdenkliches Hörspiel gewidmet. Tagesspiegel-Redakteurin Dorothee Nolte fragte als Moderatorin nach Risiken und Nebenwirkungen solcher Gesprächs-„Partner“. Geben wir zu viel Persönliches preis? Der „Deal“ müsse stimmen, sagte Google-Manager Jens Redmer. Aus dem weitgehenden Datenzugriff bastle das Programm alltagstaugliche Lebenshilfe etwa bei der Planung von Flugreisen. Die Kontrolle über die eigenen Daten erfordert allerdings große Selbstdisziplin, die die wenigsten bislang aufbringen, gab Woelk zu bedenken.
Werden wir noch lernen, besser dichtzuhalten? Wie fruchtbar jedenfalls der unmittelbare Austausch im Gespräch – sei es auf den gelehrten Podien oder im solchermaßen angeregten Publikum – sein kann, hat der Salon der Akademie wieder einmal vorbildlich vermittelt.