Filmfest Venedig: Wie Meryl Streep es mit Netflix hält
Meryl Streep, Gary Oldman und Steven Soderbergh über ihren Panama-Papers-Film „The Laundromat“ - und ihre Sehgewohnheiten.
Es ist heiß auf dem Lido, sehr heiß. Die Fans, die stundenlang vor dem roten Teppich ausharren, um am Abend vielleicht ein Autogramm oder ein Selfie mit Meryl Streep zu ergattern, müssen nach wie vor ohne Sonnendach auskommen. Letztes Jahr hatten sie eins gefordert, und es stimmt ja, es wäre so einfach, das Filmfest Venedig für das dieses Jahr besonders zahlreiche junge Publikum etwas angenehmer zu gestalten.
Wenigstens der Konferenzsaal im Casinò verfügt über eine Klimaanlage, und hier sitzen sie nun, Meryl Streep, Gary Oldman und „Laundromat“-Regisseur Steven Soderbergh. Antonio Banderas fehlt, der dritte Hauptdarsteller der Panama-Papers-Satire ist nicht auf den Lido gekommen.
„Trauer kann ein starker Motor sein“, sagt Meryl Streep. Sie spricht leise, mit sanfter Stimme, aber was sie sagt, birgt politischen Sprengstoff. In „The Laundromat“ spielt sie eine Frau aus der Mittelschicht, die sich wegen krimineller Finanzdeals um ihre Lebensversicherung und ihr Erbe betrogen sieht und beharrlich nach den Verantwortlichen fahndet, nachdem ihr Mann bei einem Bootsunfall ums Leben kam.
Oldman und Banderas wiederum sind die bad guys, in Gestalt zweier halbseidener Entertainer: Mossack & Fonseca, die Bosse der gleichnamigen Anwaltskanzlei, die bei der Gründung von 300.000 Briefkastenfirmen in über 20 Steueroasen mitwirkte. Nach der Veröffentlichung der Panama-Papers saßen die beiden drei Monate in Haft. Mehr nicht.
Streep spricht auch von Daphne Caruana Galizia
Trauer als Motor und Motivation: Streep meint nicht nur die Opfer von Immobilienblasen und Steuerhinterziehung, sie spielt auch auf das US-Waffenrecht an und kommt auf die Angehörigen von Amoklauf-Opfern zu sprechen, „die Eltern der Kinder, die in der Parkland High School erschossen wurden, die Eltern der Kinder, die in Newtown, Connecticut erschossen wurden“. Solche Menschen hören nicht auf, es wissen zu wollen: „Wenn es etwas sehr Persönliches ist, hörst du nicht auf. Wir brauchen solche Menschen, wenn es darauf ankommt, sie sind unsere Rettung.“
Zu den Opfern gehören auch Journalisten, fügt Meryl Streep hinzu, und erinnert an die maltesische Reporterin Daphne Caruana Galizia, die mit Hilfe der Panama Papers über die Korruption in ihrem Land recherchierte und 2017 durch eine Autobombe ums Leben kam.
Soderbergh nennt „The Laundromat“ eine schwarze Komödie. Er wolle nicht belehren, sondern unterhalten. In der Tat erinnern der Ton und die satirische Szenerie an Adam McKays Finanzkrisen-Farce „The Big Short“. Streep pflichtet ihm bei: „Es ist eine kurzweilige, spritzige, lustige Art, einen sehr sehr schlechten Witz zu erzählen, der auf unser aller Kosten geht.“
Eine Komödie über ein derart komplexes, ernsthaftes Thema wie die globalen Finanzströme, „das kann nur einer wie Soderbergh. Oder Bertolt Brecht“. Kino mit V-Effekt: Gary Oldman meint denn auch, dass er eher eine Version von Jürgen Mossack repräsentiere, als seine Figur auf realistische Weise zu spielen.
Korruption und Klimawandel
Der Film basiert auf Jakes Bernsteins Buch „The Secrecy World “ über Geldwäsche und die weltweiten Finanzströme. Der Pulitzer-Preisträger ist einer der 300 Journalisten, die die Panama Papers auswerteten, nachdem die Daten 2016 geleakt worden waren. „Ich habe das System recherchiert, Soderbergh hat es personifiziert. Er zeigt die Typen dazu,“ sagt Bernstein in Venedig.
Korruption ist neben dem Klimawandel eines der großen Themen, so der Regisseur. „Ein Prozent der Menschheit besitzt die Hälfte des weltweiten Vermögens.“ Dagegen helfe nur Transparenz, etwa ein Gesetz wie die kürzlich in Großbritannien erlassene „unexplained wealth order“. Wenn selbst die Justiz korrupt ist, ist Öffentlichkeit um so wichtiger: Dass wir nicht aufhören, dubiose Finanztransaktionen zu hinterfragen, darüber zu reden. Soderbergh findet, ein Film sei kein schlechter Ausgangspunkt für solche Gespräche. Zumal einer, der auf Streamingplattformen leicht zugänglich ist.
Und wie hält Meryl Streep es mit Netflix, nachdem sie auch in einer HBO-Serie mitwirkte? „The Laundromat“ ist neben Noah Baumbachs „Marriage Story“ und der Shakespeare-Adaption „The King“ eine von drei Netflix-Produktionen im Hauptprogramm des 76. Filmfests Venedig. „Size does not really matter“, meint Streep. Ihre Generation möge die große Leinwand, den Jungen heute ist das Format egal.
Bei der Pressevorführung am Morgen hatte das Publikum zunächst applaudiert, als das N von Netflix im Vorspann erschien. Der Applaus wurde mit einigen Buhs quittiert. Der Streit um die Streamingplattformen bleibt aktuell.
Christiane Peitz