zum Hauptinhalt
Samuel Finzi, der Schauspieler des jahres, spielt Peer Gynt.
© DAVIDS/Sven Darmer

"Peer Gynt" im Deutschen Theater: Wie man sich bettet, so lügt man

Samuel Finzi und Margit Bendokat erkunden Hendriks Ibsens „Peer Gynt“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Der Mann träumt und spinnt, die Frau übernimmt die Kontrolle.

Der Sand ist eiskalt, der Schnee heiß wie die Wüste. Zwei Menschen halten sich auf in der Leere des Raums, belauern, umkreisen, beschimpfen sich. Ein Zelt auf Skiern bietet auch keine Zuflucht, es ist aus Papier und bald zerrissen.

Es lässt sich nicht leugnen, auch wenn inzwischen einige Jahre vergangen sind seit den traurigen Ereignissen: Samuel Finzi und Margit Bendokat, die Unbehausten, treten hier mit Toten in Kontakt. Johannes Schütz, der die Ausstattung gemacht hat, war der Bühnenbildner von Jürgen Gosch. Und Ivan Panteleev, der Regie führt, arbeitete eng mit Dimiter Gotscheff zusammen. Mit Gosch und Gotscheff war das Theater anders, nicht nur das Deutsche, in dessen Kammerspielen dieser einsame „Peer Gynt“ seine Mitte sucht.

Seine Existenz ist, man weiß es, eine Frucht ohne Kern, leicht faul. Er schwindelt, wenn er den Mund aufmacht, reimt sich die Welt zusammen, ein Träumer, gefährlich für andere Menschen, wenn sie an etwas glauben. Peer spinnt. Und das ist ja auch das Sympathische an dem Kerl, so wie Samuel Finzi ihn sich vorstellt: einer, der staunen kann, der sich ungeschickt verstellt wie ein kleiner Junge, wenn er etwas ausgefressen hat, ein Charmeur, Schlawiner, man kann ihm nicht böse sein, jedenfalls nicht lang. Kurz: ein Schauspieler.

Alles ist nur Wahnsinn in Peers Kopf

Henrik Ibsen hat „Peer Gynt“ als dramatisches Gedicht geschrieben. Jahrgang 1867: Es wurde, als es dann auf die Bühne kam, ein Riesenwerk der Fantasie. Von den norwegischen Fjorden übers Mittelmeer nach Afrika, Dutzende Darsteller, Komparsen, Trolle, Kamele, Schiffe, Paläste, Berge und Täler – all das könnte man darstellen und abbilden auf der Lebensfahrt des nordischen Odysseus. Aber vielleicht gilt das, was Peers Mutter ihm trocken an den Kopf wirft, auch für den Dramatiker Ibsen: Du lügst!

Alles nur Konstrukt, ausgedacht, ausgesponnen. Ein Wahnsinn in Peers Kopf. Wie Jahrhunderte zuvor, bei Calderón: „Das Leben, ein Traum“. Finzi ist auf sich allein zurückgeworfen, er bewegt sich wie durch Watte. Margit Bendokat spielt seine Geliebte, seine Mutter. Sie ist ihm die ganze Außenwelt, die sich auskennt in seiner Innenwelt. Da draußen ist er nichts, wenn er sich nicht etwas total Verrücktes ausdenkt, und innen drin wird er verfolgt von Stimmen. Armer Teufel! Sie nennt ihn „Vollidiot“ und „Ziegenficker“. Recht hat sie auch. Er taugt nichts, bringt nichts, ein Verwirrter, Verirrter, sein Blick voll leiser Panik.

Nationalepos, skandinavischer Faust, Welttheater aus einer früheren Phase der Globalisierung, Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ glüht da im Hintergrund der Zeit. Großes Stück, kleine Lösung in den Kammerspielen. Vertraute Gespräche zwischen Peer und der Überfrau, die folkloristisch eingekleidet ist, während der schon nicht mehr so junge Junge einen Businessanzug trägt. Panteleev und seine beiden Akteure spielen durch, wie Geschichte entsteht, persönliche und politische. Einfach so – indem einer erzählt, die Welt definiert und sich selbst. Peer Gynt, das scheint bei Finzi durch, hat das Zeug zum Diktator, wenn man ihn nur ließe und die Chance sich ergäbe. So wird er dann Sklavenhändler und ein reicher Mann. Und verliert wieder alles, um nach Norwegen zurückzukehren.

Lustiges Peer-Gynt-Pingpong

Samuel Finzis Peer aber war nie weg. Nie auf Reisen. Für ihn ist es ein Stück der Möglichkeiten, die sich nicht realisieren, auch weil Mutter/Geliebte Margit Bendokat ein Anker ist in diesem Wüstenmeer. Die lässt ihn nicht ziehen. Die Aufführung ist kurz, unter zwei Stunden. Aber die zwei Schauspieler auf leerer Bühne haben keine kleine Strecke zurückzulegen. Sie nehmen die Sache ernst, sehr ernst. Man könnte sich mit den beiden eingespielten Partnern auch ein lustiges Peer-Gynt-Pingpong vorstellen.

Ein Wort zum Text: Ivan Panteleev hat das Riesending geschrumpft, die Fassung von Peter Stein und Botho Strauß mit älteren Übersetzungen verschnitten. 1971 gab es an der Schaubühne die legendäre, auf zwei Tage angelegte Inszenierung mit acht Peers. Die Fotos und Kritiken weisen auf ganz große Oper hin: Theater im vollen Saft seiner Geltung als Leitmedium, exerziert von einem damals sehr jungen Ensemble.

Wir haben heute Endspiele. Mehr Beckett wieder, nicht mehr das barocke Theater der Sonnenkönige der Regie. Wir sind bescheidener, und doch ist es ein Kraftakt, ein Stück wie „Peer Gynt“ aus einem Schauspieler herausholen zu wollen. Finzis Intelligenz und körperliche Präsenz machen das möglich. Da reflektiert einer über Wege und Auswege, ein alter Mann und Heißsporn zugleich. Was er auch tut, ob er schreit oder flüstert oder schweigt, die Dämonin ist an ihm und über ihm. Margit Bendokat führt aus der Distanz, das ist das Schlimme. Kein Entkommen, wenn sie ihre hinterhältige Melodie des Herzens anstimmt, einlullend, ermüdend, scharf. Sie ist Mutter Aase und Freundin Solveig und vielleicht ist sie auch Peer, weil der sein Ich in den Gedanken verliert, ein Somnambuler, eine Kleist-Figur. Ein Abend, schwer wie das Leben, wenn man keine Antwort bekommt auf seine Fragen.

Wieder am 6., 7., 15. Oktober und am 5. November.

Zur Startseite