Interview: Retter der Bretter
Der Schauspieler Samuel Finzi spielt am 13. März die 100. Vorstellung der "Perser" am Deutschen Theater Berlin - eine Kultinszenierung von Dimiter Gotscheff. Im Interview verrät er, was er hinter der gelben Bühnenwand der "Perser" macht, während er mit seinem Kollegen Wolfram Koch geraume Zeit auf ihren Auftritt wartet. Und warum er in Til Schweigers Komödien gerne einen impotenten Kieferchirurgen spielt.
Er kann eigentlich alles. Und er macht auch fast alles. Nächste Woche spielt Samuel Finzi am Deutschen Theater die 100. Vorstellung der „Perser“ von Aischylos – im Kino ist er in Til Schweigers Komödie „Kokowääh 2“ zu sehen (siehe unsere Bilderstrecke). Finzi wurde 1966 in Bulgarien geboren. 1989 kam er nach Berlin und entwickelte sich zu einem der profiliertesten deutschsprachigen Schauspieler. Er spielt hier in Berlin an der Volksbühne und am DT. Samuel Finzi gehört zur Theaterfamilie um den Regisseur Dimiter (Mitko) Gotscheff, die 2011 mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet wurde. Legendär sind seine Auftritte mit Wolfram Koch, nicht nur in den „Persern“, die vor sieben Jahren Premiere feierten.
Herr Finzi, gemessen an den Intellektuellen, die Sie im Theater spielen, überraschen Sie in Til Schweigers „Kokowääh 2“ als sehr geradliniger Charakter.
(Finzi lacht) Als impotenter Kieferchirurg, der sich von seiner Freundin Zwerghase nennen lässt, beim Sex Wollsocken trägt und Tiergeräusche macht – genau. Mein Bemühen war: Wenn schon Klischee, dann aber so richtig, ohne ironische Brüche! Je inbrünstiger man das Klischee bedient, desto wirkungsvoller lässt es sich ja auch aushebeln.
„Kokowääh 2“ ist schon der zweite Film, den Sie mit Til Schweiger gedreht haben. Wie kam es zu dieser Arbeitsbeziehung?
Ich glaube, es gibt keinen deutschen Filmemacher, der mich schon so lange auf seiner Liste hat wie Til. Das sind inzwischen fast dreizehn Jahre. Damals spielte ich in einer Krimikomödie, die er produzierte, eine winzige Nebenrolle. Kurz danach sahen wir uns bei einer Filmpremiere. Da kam er auf mich zu und sagte: „Toller Job, Mann; wirklich gute Arbeit!“ Ich bin ein loyaler Mensch; ich rechne ihm diese Treue hoch an.
„Kokowääh 2“, die ZDF-Serie „Flemming“, Peter Sehrs Kino-Neuverfilmung „Ludwig II.“ – auf der Bühne aber sieht man Sie nicht mehr so häufig.
Es gibt keine bewusste Entscheidung gegen das Theater. Ich hatte ja letztes Jahr auch zwei Premieren in Berlin, und insgesamt laufen sechs Inszenierungen mit mir. Aber alles in allem habe ich 2012 tatsächlich in über zehn Film- und Fernsehproduktionen mitgespielt.
Gehen vom Theater zu wenig Impulse aus?
Vorgänge außerhalb des Theaters interessieren mich momentan mehr als die ewige Interpretation der Interpretation. Jedenfalls muss der Blick eines Regisseurs oder Schauspielers schon sehr besonders sein, damit er mich inspiriert. Und das passiert zurzeit nicht so häufig.
Der Film ist da tatsächlich interessanter?
Zumindest habe ich das Gefühl, dass der Film mehr dem Zeitgeist entspricht: Er ist schneller, bildet radikaler ab. Am meisten interessieren mich im Moment Dokumentarfilme, die Dinge einfach fixieren und nicht so viel in das Geschehen hineininterpretieren. Mit Joachim Lang habe ich gerade eine dokumentarische Fiktion über Götz und Heinrich George gedreht: Götz George spielt seinen Vater und ich einen sowjetischen Offizier, der ihn verhört, bevor er ins Lager kommt. Das war richtig spannend.
Das klingt nicht so, als stünde der nächste Heiner-Müller-Theaterabend mit Dimiter Gotscheff unmittelbar vor der Tür?
Ich verstehe Mitko total, wenn er mit Müller weitermachen will, und der ist ja auch nach wie vor ein großartiger Dichter. Aber ich persönlich habe Lust, mich auch anderen Autoren zuzuwenden. Ich frage mich zurzeit überhaupt, wie die alten Texte neu zu interpretieren sind, zumal, wenn man schon durch solche Abende wie „Die Perser“ gegangen ist.
In Gotscheffs Aischylos-Inszenierung über die Niederlage der Perser gegen die Griechen bei Salamis anno 480 v. Chr. stehen Sie dieser Tage zum 100. Mal auf der Bühne. Fundamentale Kanon-Skepsis ist da sicher nicht die ideale Voraussetzung?
(Lacht) Erstens vergesse ich die Zweifel natürlich schlagartig, sobald ich auf der Bühne stehe. Da funktioniert sofort der Spieltrieb, da kann ich so intensiv mit meinen Partnern arbeiten, dass ich das, was einem normalen Menschen vielleicht innerhalb eines Monats passiert, in zwei oder drei Stunden erlebe.
Und zweitens sind „Die Perser“ sowieso eine Ausnahme-Aufführung?!
Genau. Beim letzten Mal habe ich während des Kriegsbotenberichts ...
... den Sie mit Ihrem Kollegen Wolfram Koch fast eine halbe Stunde lang simultan sprechen ...
... völlig neue Bilder vor mir gesehen, Arnold Böcklins „Toteninsel“ tauchte zum Beispiel plötzlich auf. Denn der Botenbericht ist natürlich auch eine Stresssituation: Was passiert, wenn einer von uns beiden einen Fehler macht? Wie funktioniert das dann ohne Verabredung weiter? In solchen Momenten entsteht unglaublich viel; da öffnen sich Spalten, durch die immer neue Dinge hindurchschimmern. Deshalb mag ich diesen Stress: Weil er mein ganzes vegetatives System aktiviert, das Hirn stimuliert.
Proben Sie die Botenszene vorher, wenn Sie sie länger nicht gespielt haben?
Wolfram und ich treffen uns bei jeder „Perser“-Vorstellung eine Stunde früher und sprechen den Botenbericht einmal komplett durch; wenn wir den Abend länger nicht gespielt haben, sogar zweimal. Das ist Gesetz, da sind wir absolut diszipliniert. Unmittelbar vor unserem Auftritt versuchen wir dann allerdings, bloß nicht daran zu denken, was gleich kommt. Wenn die fünfhundert Leute, die da unten sitzen, wüssten, was in diesem Moment hinter der Wand passiert ...
Was tun Sie denn hinter Mark Lammerts gelbem Bühnenmonument, während Sie auf Ihren Auftritt warten?
Das wollen Sie nicht hören!
Doch!
Wir erzählen uns Witze, machen obszöne Gags, das ist wirklich so albern, da kann ich unmöglich ins Detail gehen.
„Die Perser“ laufen jetzt seit sieben Jahren. Hat sich die Vorstellung verändert?
Ich finde nicht. Der Abend ist einfach irrsinnig gut gebaut. Es mag jetzt vielleicht etwas hochtrabend klingen, aber mich erinnert er an einen griechischen Tempel: ein monumentales, offenes Bauwerk, das an sich immer gleich bleibt. Nur das Licht, in dem man es sieht, verändert sich, je nach Tageszeit, Wetter, Betrachter. Das Gute ist eben gerade, dass der Abend nicht auf politische oder soziale Überbauten zielt, sondern das Allgemeine zeigt, die menschliche Natur. Und dass er nicht restlos erklärbar ist. Denn das ist es ja genau, was mich an der Kunst zusehends bestürzt: Dass ich immer überall die Gründe sehe.
Sie erkennen quasi auf Schritt und Tritt das Kalkül hinter den Mitteln?
Genau. Und da ist die Sache für mich im Prinzip schon gelaufen.
Bei der jüngsten Produktion der Gotscheff-Familie, der Sie ja angehören, „Shakespeare – Spiele für Mörder, Opfer und Sonstige“, kritisierten einige eine gewisse Selbstbezüglichkeit.
Es wäre schade, wenn es so wäre! Andererseits: Vielleicht wäre es auch ganz normal, nach so vielen Jahren. Und siehe da: Mitko arbeitet jetzt erst mal in Hamburg und München, Wolfram Koch mit Herbert Fritsch, Margit Bendokat spielt bei Castorf in Zürich und Almut Zilcher bei Thalheimer am DT. Aber es gibt überhaupt keine Probleme oder Spannungen zwischen uns; wir kommen bald wieder!
Und was machen Sie in der Zwischenzeit?
Eine Inszenierung mit dem Theater NO99 aus Tallinn. Die sind auf mich zugekommen; sie verfolgen unsere Arbeit schon seit über zehn Jahren. Da fühlte ich mich natürlich sehr geschmeichelt; ich bin ja auch ein eitler Mensch (lacht).
Was reizt Sie an der Arbeit mit der estnischen Theatergruppe?
Mich interessiert deren Energie; die Tatsache, dass die Texte und Szenen quasi aus der Realität entstehen, in einem gemeinsamen Prozess. Außerdem habe ich das Bedürfnis, die Berliner Theaterlandschaft mal zu verlassen und in anderen Sprachen zu spielen: Russisch, Englisch, Französisch, Latein.
Wie häufig sind Sie heute noch in Ihrer bulgarischen Heimat?
Im Moment relativ oft, weil ich in Sofia gerade meine alte Wohnung renoviere. Dort liegt jetzt der Bühnenboden des Satirischen Theaters drin: die Bretter, auf denen vor fünfzig Jahren mein Vater stand!
Wie kamen Sie zu diesem theaterhistorischen Grund und Boden?
Dieselben Arbeiter, die meine kleine Wohnung renovieren, hatten auch den Bühnenboden des Satirischen Theaters neu verlegt. Und einer von denen hat die alten Bretter zufällig aufbewahrt.
Stehen Sie in Bulgarien auch gelegentlich auf der Bühne?
Auf der Bühne nicht. Aber ich wurde gerade eingeladen, als Gast in einer TV-Serie mitzumachen. Es geht um Korruption und Macht, um Medien plus Politik plus Unterwelt, und ich spiele den Vizepremier, eine sehr zwielichtige Figur. Geld gibt es so gut wie keins, aber es macht Spaß, weil die Leute dort gute Ideen und viel mehr künstlerische Freiheiten haben.
Apropos Geld: Werden Sie noch auf den Werbespot für eine Versicherung angesprochen, den Sie vor drei Jahren gedreht haben?
Gelegentlich. Und wenn mich jemand so richtig bestürzt fragt: „Oh Gott, warum haben Sie das bloß gemacht?“, dann sage ich: Natürlich nicht für die Gage, sondern einzig und allein für die Kunst!
Das Gespräch führte Christine Wahl.
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