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Wer nimmt den Hut? Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Berlinale-Chef Dieter Kosslick, dessen Vertrag im Mai 2019 endet.
© picture alliance / Jörg Carstensen

Kosslick-Nachfolge: Wie geht es weiter mit der Berlinale?

Filmschaffende fordern eine Kommission für die Kosslick-Nachfolge beim Berliner Festival. Es geht um eine Spitzenpersonalie - ein Bereich scheidet damit aus.

Die Schuhe sind groß. Das größte Publikumsfestival der Welt leiten, den Reformprozess steuern, eine neue Organisationsstruktur ausgestalten und es bitte auch noch all den berufenen wie selbst ernannten Festival-Bescheidwissern recht machen: Die künftige Berlinale-Chefin oder der Chef ist um den Job nicht zu beneiden. Nach dem Aufruf der 79 Filmschaffenden, das Festival müsse entschlackt und erneuert werden, ist die Dringlichkeit der Personalie wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Gerüchte schießen ins Kraut: Dass Grütters eine Frau bevorzugt und Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus im Gespräch sei, dass die Filmemacher angeblich selbst mitentscheiden wollen, dass Dieter Kosslick nicht gehen will ...

Wie hoch ist der Zeitdruck tatsächlich? Das erste Festival unter neuer Leitung steht 2020 auf dem Kalender, Kosslicks Vertrag läuft im Mai 2019 aus. Die Nachfolge müsste von der Kulturstaatsministerin als oberster Dienstherrin (oder von ihrem Nachfolger) bis Herbst 2018 benannt sein und loslegen können, um ab Juni 2019 voll einzusteigen. Für eine Findungskommission ist es also noch nicht zu spät. Wobei sich die Regierungsfindung bekanntlich hinziehen kann und Grütters als derzeit lediglich geschäftsführende Staatsministerin eine derart wichtige Personale gewiss nicht in der Interimszeit entscheidet.

Sinnvoll wäre aber schon jetzt ein Gremium, das mögliche Kandidaten sondiert und detaillierte Ideen zur Festivalzukunft und zur Arbeitsteilung in der Chefetage unterbreitet. Wohin soll die Berlinale sich entwickeln? Was muss sich ändern, was kann bleiben? Präsident, Geschäftsführer, künstlerischer Direktor? Doppelspitze, Triumvirat, welche Hierarchie? Erst wenn die Struktur klar ist, können Chefposten besetzt werden.

Aus dem Hause Monika Grütters heißt es, ein solches Gremium sei vorstellbar. Auch bei der vertrackten Suche nach einer Leitung für die Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung hatte die CDU-Politikerin eine Findungskommission berufen – deren Vorschlag allerdings nicht realisiert werden konnte, da der Auserkorene nicht zur Verfügung stand.

Ob Berlin oder der Bund: Personalpolitik sorgt häufig für Zoff

Dennoch wäre die Staatsministerin gut beraten, sich Verstärkung zu holen. Nicht nur wegen der aktuellen Aufregung um die Kosslick-Nachfolge und den drohenden Bedeutungsverlust der Berlinale, sondern auch, weil Personalpolitik derzeit häufiger für Zoff gesorgt hat, auf Landes- wie auf Bundesebene.

Erst Chris Dercon und die Dffb-Direktion seitens des Landes Berlin, dann die Kosslick-Nachfolge, demnächst auch die Generalintendanz des Humboldt-Forums und die neue Leitung der außereuropäischen Sammlungen: Hier wie dort werden Kulturpolitiker an ihren Berufungen gemessen. Und allenthalben wird Transparenz gefordert – was bei Personalentscheidungen naturgemäß kaum möglich ist. Solche Suche braucht Diskretion.

Wer taugt eigentlich zum Festivalchef?

Die öffentliche Stimmung setzt gerade ihre eigene Dynamik frei. Einige der Unterzeichner des Erneuerungsaufrufs sind über die kampagnenähnliche Wirkung erschrocken und betonen, Kosslick-Bashing sei nicht ihre Absicht gewesen. Aber auch wenn Kosslick über 2019 hinaus „nur“ in repräsentativer oder beratender Funktion bleiben sollte, würde dies mittlerweile als Anti-Erneuerungssignal gewertet. Neuanfang mit dem alten Chef? Unmöglich. In Reaktion auf den Aufruf hat Dieter Kosslick am Wochenende denn auch dem Deutschlandfunk Kultur gesagt, er sehe seinen Platz nach Vertragsende im Moment eher zuhause. Warum den dann 71-Jährigen nicht bei der Entwicklung der Filmhaus-Idee einspannen? Das wäre Neustart plus Kosslick-Expertise bei der Zukunft des Films in Berlin.

Wer taugt eigentlich zum Festivalchef? Zur künstlerischen Direktorin, zur Kuratorin, die tatsächlich den Wettbewerb profiliert und die Chefs der Nebenreihen dazu anhält, das Gleiche zu tun? Thierry Frémaux, seit 2001 in Cannes, ist von Haus aus Historiker, er leitet parallel das Institut Lumière in Lyon. Alberto Barbera in Venedig war Filmkritiker, bevor er bei Festivals arbeitete. Auch Cameron Bailey, seit 2012 Chefprogrammierer beim wettbewerbslosen Publikumsfilmfest Toronto, kommt von der Filmkritik, ebenso Carlo Chatrian beim Filmfest Locarno. Marco Müller, der Locarno und später Venedig geleitet hat, ist wieder in seinen früheren Beruf als Filmproduzent zurückgekehrt.

Bitte nicht wieder jemand aus der Filmförderung

Wer in Zeiten des Kinosterbens und des Serienblühens einen hochkarätigen Arthouse-Wettbewerb zusammenstellen und mit Cannes und Venedig konkurrieren will, braucht beste Filmkenntnis, enge Kontakte zu den Big Playern des Weltkinos, einen unabhängigen Geist und den Mut, eigene Setzungen vorzunehmen. Ohne Cinephilie geht es nicht. Gegen den naheliegenden Gedanken, nach dem Filmförderer Kosslick wieder eine Filmförderin zu nehmen, spricht schon die Tatsache, dass Förderung vor allem wirtschaftlicher Breitensport ist, die Berlinale aber internationalen, kulturellen Spitzensport verlangt.

Am Dienstag, den 5. Dezember, tagt der Aufsichtsrat der „Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin“, den KBB-Vorsitz hat Monika Grütters. Er thront als Gremium auch über der Berlinale, entscheidet nicht, aber sondiert und empfiehlt. Dort sitzen Referenten und Politiker aus der Kulturbehörde, dem Finanzministerium, dem Auswärtigen Amt (Andreas Görgen) und aus Berlin (Senatskanzleichef Björn Böhning, Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert), zudem Mariette Rissenbeek für German Films, die Auslandsinteressen-Vertretung der Branche, DT-Intendant Ulrich Khuon und die Chefin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann. Zu gerne wäre man dabei, wenn sie sich über Kosslicks Zukunftsvorschläge beugen, die sie sich von ihm erbeten haben.

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