Monika Grütters im Interview: Kulturstaatsministerin: „Wir sind Chefsache“
Wie läuft es beim Humboldt Forum, warum wird in Berlin so hart um die Volksbühne gestritten? Ein Gespräch mit der Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Frau Grütters, kann man mit Kultur Wahlkampf machen?
Naja, die jüngsten Äußerungen von Berlins Kultursenator Lederer zum Humboldt Forum – dass dort ein „Desaster“ drohe – verbuche ich unter Wahlkampf. Das hat mit der Sache nichts zu tun. Ich selbst versuche, die Kultur so wenig wie möglich zu instrumentalisieren, das gilt nicht nur für Wahlkampfzeiten. Kaum ein Bereich eignet sich für parteipolitische Vereinnahmung so wenig wie die Kultur.
Das Amt der Staatsministerin für Kultur wird 2018 zwanzig Jahre alt. Sie machen diese Arbeit jetzt bald vier Jahre. Wo sehen Sie Erfordernisse, die Bundeskulturpolitik zu verändern? Es hat sich ja in diesen zwei Jahrzehnten viel getan, zumal in Berlin.
Die gute und richtige Initiative Gerhard Schröders, die Kultur im Kabinett der Bundesregierung als Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) zu verankern, hat sich in jeder Hinsicht bewährt. Es begann damals mit weniger als 100 Mitarbeitern verschiedener Bereiche aus vier Ministerien und einem Etat von 950 Millionen Euro. Heute arbeitet meine Behörde mit fast 300 Mitarbeitern und im nächsten Haushalt mit 1,7 Milliarden Euro. Wir betreuen mittlerweile mehr als 400 Projekte und Einrichtungen. Das zeigt die gewachsene und gestärkte Bedeutung der Kultur auf Bundesebene, auch jenseits der föderalistischen Kompetenzen, die wir sinnvoll ergänzen. Die Struktur von BKM sollte jetzt den hinzugekommenen Aufgaben angepasst werden.
Wäre ein eigenes Ministerium für Kultur besser, könnte man da mehr machen?
Die Verantwortung für die Bundeskulturpolitik hängt ja nicht vom Namensschild ab, das an der Behörde steht. Der Sitz im Bundeskanzleramt ist unschätzbar, er hat viele Vorteile. Wir rangieren in den Haushaltsberatungen im Parlament zusammen mit dem Kanzleramt an erster Stelle und nicht, wie es früher in Berlin mal hieß: „Zuletzt Kultur“. Wir sind Chefsache. Die Rückendeckung durch und die Nähe zu Angela Merkel ist für mich bedeutender als das Gewicht eines Titels Bundesministerin für Kultur.
Immer wieder gibt es Konflikte mit Parlamentariern im Haushaltsausschuss. Johannes Kahrs, SPD, und Rüdiger Kruse, CDU, machen mit viel Geld eine selbstständige Kulturpolitik, bilden eine Art Nebenregierung. Der Einfluss von „k. u. k.“, wie man die beiden nennt, geht in eine ganz andere Richtung als bei Ihnen. Nervt Sie das?
Es hat Vor- und Nachteile. Der Haushaltsausschuss war bisher ein Instrument zur Verwaltung des Mangels. Wir hatten in der Bundesrepublik vornehmlich Sparhaushalte. Zurzeit aber werden im Bundeshaushalt Überschüsse erzielt. Deshalb sind die Verlockungen für manche Parlamentarier, Geld auszugeben, größer als sonst. Das darf aber nicht nach Gutdünken aussehen, sondern sollte sich an den Grundsätzen einer einheitlichen Bundeskulturpolitik orientieren. Die Abgeordneten, die Sie erwähnten, sind außerordentlich selbstbewusst und durchaus sachkundig. Das hilft natürlich auch manchem sinnvollen Bundesprojekt. Die 200 Millionen Euro für das Museum der Moderne wären ohne die Mitarbeit dieser beiden so wohl nicht geflossen. Andere Ideen aus dem Haushaltsausschuss dagegen müssen wir manchmal mühsam korrigieren.
Die Berliner Festspiele und das Haus der Kulturen der Welt, zwei Einrichtungen des Bundes, haben über Kahrs und Kruse zuletzt Millionenzuschüsse für bestimmte Projekte bekommen, über die Grundfinanzierung hinaus. Das verändert das Bild und das ganze Spiel, das sind programmatische Einflüsse.
Diese Entwicklung betrachte ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Auf der einen Seite freue ich mich über diese Bestätigung der Leistungen unserer Einrichtungen und ihrer Intendanten wie Thomas Oberender von den Berliner Festspielen und Bernd Scherer vom Haus der Kulturen der Welt. Auf der anderen Seite bekommt so das ausbalancierte Gefüge im Gesamtsystem der KBB ...
... der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin ...
Es bekommt eine Schlagseite, wenn das Parlament für ein einzelnes Projekt mehr Geld gibt, als der Jahresetat der ganzen Einrichtung beträgt. Das sind echte Luxusprobleme. Nur: als Regierungsverantwortliche muss ich für eine angemessene Würdigung und gerechte Finanzierung aller Einrichtungen sorgen.
Die Volksbühne gehört als Einrichtung des Landes Berlin zwar nicht in Ihre Zuständigkeit. Aber Sie sind Landesvorsitzende der CDU: Haben Sie schon einmal eine so langwierige und zum Teil hasserfüllte Diskussion erlebt wie jetzt um Frank Castorf, Chris Dercon und die Volksbühne?
Nein, so etwas kenne ich selbst aus einem streitlustigen Milieu nicht. Dabei bin ich seit bald dreißig Jahren in dieser Stadt. Ich denke, die Kulturpolitik hätte hier Demut üben und sich in einer dienenden Rolle gegenüber den Kulturinstitutionen verstehen müssen, zumal bei einer so schwierigen Personalentscheidung wie dieser. Da braucht es Rücksicht und Einfühlung. Das hat die Berliner Landespolitik unter Michael Müller in diesem Fall wirklich vermissen lassen. Leider ist dadurch die Volksbühne in diese Konfrontation getrieben worden.
Kulturstaatssekretär Tim Renner engagiert Chris Dercon, was sehr umstritten ist, und Klaus Lederer arbeitet dagegen. Das macht ein Haus erst recht kaputt. Wie soll da ein Neustart gelingen?
Sicher, da gibt es einen Vertrauensschutz, das gehört zum Stilprinzip von Politik, die Entscheidungen der Vorgängerregierung nicht gleich wieder umzustürzen. Man kann ja auch einmal ungewöhnliche, ja heikle Berufungen wagen, aber man muss die Szene kennen. Derartige Übergänge müssen gut und ruhig vorbereitet werden. Die Volksbühne hat ihre Tradition, und Traditionen haben ja ihren Sinn. Im Fall der Volksbühne fehlte der Respekt vor der Geschichte des Hauses, vor der Leistung Frank Castorfs und seines ganzen Teams.
Der Volksbühnenkrach geht ans Berliner Eingemachte?
Ja, denn es geht um mehr als ein besonderes Theater. Vielmehr fühlen sich viele Menschen hier in ihrem Habitus und in ihren Ansprüchen an die Stadt verletzt. Sie haben ihren Platz in Berlin, sie haben etwas geleistet für die Stadt; und dann kommen andere, die das nicht verstehen, es nicht respektieren und ziemlich instinktlos damit umgehen.
Castorfs Volksbühne war selbst ein starker Motor der Gentrifizierung. Es liegt viel Unaufrichtigkeit in der Diskussion.
Ja, natürlich hat auch die Volksbühne ihren Teil dazu beigetragen, dass Berlin kulturell attraktiv ist, so avantgardistisch, so spektakulär wie die Stadt heute ist. Aber jetzt fühlen sich bestimmte Milieus abgehängt. Wir müssen diese intellektuelle Gentrifizierungsdebatte ernst nehmen. Wenige Häuser sind in der Bevölkerung, in der Stadtgesellschaft so verankert wie die Volksbühne. Natürlich ist der Ehrgeiz gut, eine so honorige Person wie Chris Dercon an Berlin zu binden. Die Frage aber ist, ob er an der richtigen Stelle engagiert wurde. Andererseits wäre es auch schlimm, wenn jemand wie Chris Dercon mit dem Gefühl aus der Stadt ginge, dass er hier nichts werden kann, weil er nicht einer von denen ist. Das wäre fatal.
Die Berliner Sitten verschlechtern sich. Claus Peymann hielt es bei seinem Abgang auch noch für nötig, seinen Nachfolger Oliver Reese zu verspotten.
Peymann hat Großartiges geleistet, und etwas anderes als spöttische Abgesänge haben wir doch auch gar nicht von ihm erwartet. Der Zeitpunkt seines Abgangs war genau richtig, und der Nachfolger ist es auch. Bei der Volksbühne hat der Wechselprozess eben nicht so reibungslos funktioniert. Vielleicht hat der Ehrgeiz der Kulturpolitiker damals den Ausschlag gegeben. Ich hatte gerade Neil MacGregor für das Humboldt Forum aus London nach Berlin geholt, und da wollten die Kollegen im Senat zeigen, das können wir auch ...
„Um das Thema Kolonialismus haben wir uns lange nur wenig gekümmert“
Das ist jetzt aber auch Wahlkampf, wie Sie die SPD-Kulturpolitik in Berlin kritisieren. Neil MacGregors Ankunft wurde in der Tat gefeiert. Jetzt befindet sich das Humboldt Forum als Ganzes in einer kritischen Phase. Die Euphorie ist verflogen. Die Probleme häufen sich.
Neil MacGregor, aber auch ich haben ein Haus vorgefunden, das äußerlich weiter gediehen war als die inhaltliche Konzeption. Wir mussten einiges aufholen. Es war MacGregors Bedingung, dass er part-time in Berlin arbeitet und mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gemeinsam agiert. Er wollte kein Intendant sein, der den anderen einfach vorgesetzt wird. Daher die Dreierlösung mit Hermann Parzinger von der Preußenstiftung und Horst Bredekamp, der die Humboldt-Universität vertritt. Das funktioniert auch sehr gut. MacGregor hat gerade seinen Vertrag bis zur Eröffnung des Humboldt Forums 2019 verlängert.
War seine Berufung richtig?
Ja, absolut. Es ist gut, dass wir eine Autorität von außerhalb dafür gewinnen konnten, zumal einen Mann mit dieser weltläufigen Erfahrung und Kompetenz. Das schärft übrigens auch unseren eigenen Blick auf die Binnenstrukturen der beteiligten Institutionen, zum Beispiel der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Für deren Mitarbeiter ist es sicher auch nicht immer einfach, Bewährtes aus Dahlem zugunsten völlig anderer Erzählweisen im Humboldt Forum infrage zu stellen. Das kostet viel Energie, und es braucht großes psychologisches Geschick und Überzeugungskraft, derartige Prozesse des Übergangs zu moderieren. Auch dabei wird uns Neil MacGregor mit seiner Erfahrung und seiner Gabe zu vermitteln zur Seite stehen.
Dennoch gibt es ein Unbehagen am Humboldt Forum und immer mehr Kritik auf vielen Ebenen. Warum?
Vielleicht liegt das auch an den hohen Erwartungen? Wir dürfen das Humboldt- Forum nicht überfordern und überfrachten. Zweifel sind immer mal wieder angebracht. Man muss sie nur produktiv nutzen. Das Humboldt Forum hat zum Beispiel schon durch seine schiere Existenz und noch vor der Eröffnung die Debatte um die Provenienz der Sammlungsobjekte zum gesellschaftlichen Thema gemacht. Das halte ich für unbedingt nötig, denn um das Thema Kolonialismus haben wir uns lange nur wenig gekümmert. Ich werde das notwendige Personal und die Forschungsmittel beschaffen, weil ich die Forschung dazu für unsere nationale Aufgabe halte.
Die Preußenstiftung ist gerade sechzig Jahre alt geworden. Da gäbe es manches zu reformieren.
Dafür ist das Humboldt Forum ein guter Katalysator: Wenn dort interdisziplinär gearbeitet und nicht mehr in herkömmlichen Sammlungsstrukturen, sondern themenbezogen ausgestellt werden soll, dann gerät man an die Grenzen der bisherigen SPK-Strukturen. Die Stiftung wurde 1957 bei ihrer Gründung so gegliedert. Wir sind im 21. Jahrhundert. Mit Hermann Parzinger bin ich aber im Einvernehmen darüber, dass wir die Strukturen an die Herausforderungen der Zukunft anpassen müssen. Fragen nach dem Auftrag, der Rolle und auch dem Stellenwert der Gesellschafter und Aufsichtsstrukturen dieser großartigen Stiftung im nationalen und weltweiten Kontext müssen 60 Jahre nach ihrer Gründung neu gestellt und beantwortet werden.
Wie finden Sie die Rolle des Landes Berlin im Humboldt Forum?
Ich bedaure, dass sich das Land Berlin, so wie es im Moment aussieht, mit der Idee, ein Haus aus einem Guss unter einer Leitung zu formen, noch nicht ganz anfreunden kann. Die Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum will sich eigenständig präsentieren. Ich kann nicht erkennen, was Berlin hier vorhat. Es wäre sicher eine gute Sache gewesen, das Museum für europäische Kulturen im Humboldt Forum unterzubringen, aber dafür fehlt jetzt der Platz.
Vieles wirkt unfertig, denken wir nur an den geplanten Neubau am Kulturforum. Haben Sie Ihre Ziele im Amt der Kulturstaatsministerin erreicht?
Das Humboldt Forum, aber auch das Kulturgutschutzgesetz, die Provenienzforschung und das Museum der Moderne sind die wichtigsten Projekte. Und die sind doch gut geglückt. Vieles hängt gesellschaftlich und historisch miteinander zusammen. Ich wollte notwendige Debatten anstoßen. Ich habe beim Kulturgutschutzgesetz viel gelernt, das sage ich auch selbstkritisch. Es war mein erstes großes Gesetzgebungsvorhaben. Dabei ging es immerhin auch um das Menschheitserbe, um Objekte, die verbotenerweise in Deutschland im Handel auftauchen, und darum, dass die Kulturnation Deutschland nach vier Jahrzehnten endlich eine Unesco-Konvention umsetzt, die den illegalen Handel wirksam unterbindet. Das Kulturgutschutzgesetz ging dann ohne Gegenstimme durch Bundestag und Bundesrat.
Es war eine harte Auseinandersetzung mit Teilen des Kunsthandels.
In der Debatte um das Gesetz gab es persönliche Verletzungen, auf die ich gern verzichtet hätte, und wir haben Einblicke in eine Branche gewonnen, die uns allen gern erspart geblieben wären.
Sie sind mit ungewöhnlich hohem Tempo in Ihr Amt eingestiegen. Falls Sie eine zweite Amtszeit bekommen sollten – wäre das für Sie die Zeit der dicken Bretter und der langsamen Bohrungen?
Wir müssen uns um Dinge kümmern, die weniger spektakulär, aber durchaus wichtig sind. Über die Strukturen in den großen Einrichtungen haben wir ja schon gesprochen. Wir sind es der Gesellschaft schuldig, hier behutsam zu modernisieren, mit Respekt für die Menschen, die dort arbeiten, und mit Respekt für große Traditionen. Nachdem das Amt der Kulturstaatsminister 20 Jahre besteht, muss man noch mal die Grundsatzfrage stellen, was Bundeskulturpolitik leisten soll und kann. Es geht ja nicht um einen Reparaturbetrieb für Defizite in den Ländern, sondern um eine Ergänzung. Die Liste ließe sich noch lang erweitern. Es gäbe also noch genug zu tun.
Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.