Zukunft der Berlinale: „So verschwinden tolle Filme im Sumpf des Mittelmäßigen“
Der Regisseur Christoph Hochhäusler hat den Aufruf zur Zukunft der Berlinale mit unterzeichnet. Im Interview erklärt er die Kritik am Berliner Filmfestival.
Herr Hochhäusler, was genau finden Sie an der jetzigen Berlinale schlecht?
Es gibt sicher bei jedem der Unterzeichner verschiedene Frustrationsmomente, aber uns eint, dass wir glauben, es ist an der Zeit, die Berlinale neu zu erfinden. Viele von uns finden übrigens vieles gut, was Dieter Kosslick gemacht hat, um es ganz klar zu sagen.
Was denn zum Beispiel?
Dass die Berlinale ein Publikumsfestival ist, finde ich persönlich prima, dass das Festival eine offene Atmosphäre hat, nicht so zugangsbeschränkt wie Cannes, nicht so aristokratisch. Die Berlinale ist demokratischer. Ich finde auch den European Film Market und die Berlinale Talents als Workshop für den Nachwuchs sinnvoll und richtig. Ausgangspunkt unserer Initiative waren Gerüchte, die uns das Gefühl gaben, oh nein, es gibt keinen Neuanfang 2019, es gibt keine neue Vision, sondern more of the same oder noch schlimmer – also diese Präsidentenlösung …
Sie meinen, dass Kosslick zwar die künstlerische Leitung abgibt, aber als Präsident der oberste Chef bleibt und eine neue künstlerische Leitung unter ihm rangiert? Sie wollen lieber einen klaren Schnitt, ein würdiges Ende der Ära Kosslick und freie Hand für eine künftige Leitung?
Ja. Wir haben auch das Gefühl, dass die Berlinale im 16. Jahr Kosslick ein bisschen ausgeleiert ist. Also sehr stark an Profil verloren hat, auch international. Der deutsche Film fühlt sich dort nicht mehr so gut aufgehoben. Das Festival ist vollkommen unübersichtlich geworden, deshalb erlaubt es keine spezifischen Perspektiven mehr – weil es eben alles zeigt. Wenn man 400 präsentiert, ist die Frage: Was meint das noch?
Sie wollen eine klarere Profilierung der einzelnen Sektionen, ein Überdenken der bisherigen Reihenstruktur?
Ja, absolut.
Laufen denn auf anderen Festivals die besseren Filme?
Meiner Meinung nach laufen auf der Berlinale jedes Jahr tolle Filme. Aber da jeder auf einem anderen Festival ist, wenn er auf der Berlinale ist, sieht auch jeder andere Filme. Es ist unmöglich, alle Berlinale-Filme zu sehen – und so verschwinden halt tolle Filme im Sumpf des Mittelmäßigen.
Halten Sie denn vor allem den Wettbewerb für problematisch?
Würde ich nicht sagen. Das Schwanken der Qualität, die Heterogenität des Wettbewerbs wird von vielen Akteuren schon lange beklagt. Aber es betrifft eigentlich die ganze Veranstaltung. Also welches Profil haben Reihen wie das Panorama oder das Forum? Warum gibt es im Hauptprogramm neben dem Wettbewerb und den außer Konkurrenz gezeigten Filmen noch Specials oder wie das alles heißt?
In Cannes und Venedig laufen deutlich weniger deutsche Filme, manchmal gar keine. Warum fühlen sich die deutschen Filmschaffenden trotz Kosslicks Großoffensive für die hiesige Branche schlecht behandelt?
Ich kann da nicht im Auftrag aller Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sprechen, diese Themen werden bei uns sehr heterogen gesehen. Nach meiner Meinung gab es einige Fehlentscheidungen des Festivals. Filme, die nicht gezeigt wurden oder nicht so, wie es angemessen gewesen wäre. Vor allem halte ich die Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ für problematisch. Im Grunde ist sie ein Ghetto, kein internationaler Gast verirrt sich je dorthin. Das deutsche Kino schmort im eigenen Saft und ist auf der Berlinale wie weggesperrt – während der Anteil deutscher Filme im Hauptprogramm nicht gestiegen ist.
Wie sieht denn Ihr Wunschkandidat aus?
Wir haben uns unter den Initiatoren des Aufrufs früh darauf verständigt, dass wir eine Namensdiskussion vermeiden wollen. Aber unser Wunschkandidat wäre jemand, der vor allem kuratorisch erfahren ist, der wirklich glaubhaft fürs Kino brennt, der nicht Funktionär ist, nicht aus der Förderbürokratie kommt, der nicht in alle Richtungen Beißhemmungen hat, weil er die deutsche Szene schon zu gut kennt – also jemand, der frei künstlerische Entscheidungen treffen kann.
Sollte jemand aus dem Ausland kommen?
Nur insofern, als dass jemand aus der deutschen Szene meistens in alle Richtungen schon an Kompromisse gewöhnt ist, weil die deutsche Szene halt so familiär ist. Ansonsten glaube ich natürlich, dass es in Deutschland großartige Leute dafür gäbe. Die Frage wäre nur, sind sie prominent genug, um so ein großes Festival zu leiten.
Haben Sie über die Oscar-Problematik gesprochen? Weil die Berlinale für die Oscars-Saison zu spät stattfindet, laufen keine gehobenen US-Arthousefilme mehr, anders als in Venedig, Cannes oder Toronto.
Das ist ein Problem, ja. Aber ein kleineres Festival wie etwa Locarno zeigt, dass man mit Liebe und Kontakten auch unabhängig vom Oscar-Zirkus zu tollen Filmen kommt. Das vermisse ich persönlich am Führungsteam unter Dieter Kosslick am meisten: dass sich das Festival wirklich mit den Filmemachern verbindet.
Christoph Hochhäusler (45) ist Regisseur und Autor. Er hat Architektur an der TU Berlin und Filmregie an der Hochschule für Fernsehen und Film München studiert. Seit Januar 2017 ist er leitender Regiedozent an der DFFB Berlin. Er hat zahlreiche filmpublizistische Arbeiten verfasst.