Traufhöhe von Berliner Häusern: Wer lebt schon gern in Wohngebirgen
Berlin braucht mehr Häuser. Bei den Formen sollten wir Maß halten. Die Grünen-Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig spricht sich für die Traufhöhe aus. Ein Gastbeitrag.
Der Architekt Philipp Oswalt hat in seinem Artikel „Das Trauma der Traufhöhe“ im Tagesspiegel vom 8. Februar 2017 die Berliner Baupraxis kritisiert. Hier antwortet ihm Franziska Eichstädt-Bohlig, Stadtplanerin und Politikerin der Grünen.
Durch die Vereinigung hatte Berlin in den vergangenen 25 Jahren mitten im Zentrum und in der Innenstadt so viel Brachen und Bauland wie wohl kaum eine andere Metropole. Diese Flächen wurden überwiegend in den Jahren bebaut, in denen es in Berlin trotz Hauptstadtzuzug keinen großen Investitionsdruck und Wohnungsbaubedarf gab.
Die Hochhausplanung am Alexanderplatz wurde bis heute nicht realisiert. Dass vieles an der neueren Bebauung trist und wenig urban wirkt, liegt nicht an zu geringer Dichte, sondern am Typus der Kapitalverwertungsimmobilie. Anonyme Investoren bauen stereotype Funktionsgebäude für stereotype Standardnutzungen. Die Öde der Hotelblöcke am Hauptbahnhof wäre bei 40 Meter hoher Bebauung genauso trostlos, wie sie es bei 25 Meter Höhe sind.
Gerechtigkeitsprinzip des Planungsrechts wird ausgehöhlt
Philipp Oswalt kritisiert die Orientierung vieler innerstädtischer Bauvorhaben an der rund 20 Meter hohen Traufhöhe der Berliner Gründerzeitbebauung. Er möchte sie verdoppelt sehen auf 40 Meter Höhe, insbesondere an Hauptstraßen. Gleichzeitig klagt er, die Berliner Bauordnung würde zu stark auf Licht, Luft und Sonne achten und eine „großstädtische Modernisierung hintertreiben“. Das dahinterstehende Ziel, durch städtische Verdichtung Zersiedlung und Flächenverbrauch am Stadtrand zu vermindern, ist ehrenvoll. Aber die Forderung, Berlins Gründerzeitbebauung zu Hochhausquartieren zu machen, ist absurd.
Ich möchte die in den 80er Jahren unter dem Motto „die Innenstadt als Wohnort“ wieder gebräuchlich gewordene Orientierung des Bauens an dem Regelwerk der gründerzeitlichen Blockbebauung verteidigen. Das schließt im Einzelfall andere Planungsentscheidungen nicht aus. Ich halte es aber für falsch, die einheitliche Traufhöhe, die in unterschiedlichen Varianten ja auch viele andere Städte prägt, als überflüssige Anwendung veralteter feuerpolizeilicher Vorgaben über Bord zu werfen. Nach den geltenden Anforderungen an den Brandschutz beginnt der Hochhaustypus bei etwa 25 Meter Gebäudehöhe.
Viele Investoren und Architekten propagieren höhere Gebäude als besonders urban und gleichermaßen flächensparend. Dahinter steckt das Interesse, größtmögliche Verwertungsrechte für die eigene Immobilie zu erlangen, ohne Rücksicht auf die Nachbarn. Wenn die Baubehörde dies dem ersten Bauherrn gewährt, muss sie bald auch dem Nachbareigentümer höheres Nutzungsrecht zubilligen. Das Gerechtigkeitsprinzip des Planungsrechts wird so immer weiter ausgehöhlt.
Alle brauchen Licht, Luft, Sonne
Die Senatskarte zur Baudichte zeigt, dass die höchste Dichte nicht bei Hochhausbebauung, sondern bei den Quartieren der fünf- bis achtgeschossigen Blockrandbebauung liegt. Die Blockbebauung schafft Urbanität durch die überschaubere Parzellierung, die klare Trennung von öffentlichem und privatem Raum und die lebendige Mischung von Wohnen, Handel, Gewerbe, Kultur und Vergnügen. Dieses Regelwerk ist in Verbindung mit den Berlin-typischen Straßenbäumen die städtebauliche Grundlage der Attraktivität unserer Innenstadt. Ein „gigantisches Museum“, dem es an Modernität mangelt, ist dieses vitale Berlin keineswegs. Zumal die Jahrzehnte der Stadterneuerung auch die alten Arbeiterquartiere zu lebenswerten und begehrten Stadtquartieren gemacht haben.
Wer diese Innenstadt als Wohnort erhalten will, muss die Forderung nach extensivem Hochhausbau in Wohn- und Mischquartieren ablehnen. Nicht nur Familien mit Kindern, sondern auch Singles und moderne Arbeitsplatznomaden brauchen Licht, Luft und Sonne. In vielen Gründerzeithäusern bekommen 30 bis 40 Prozent der Wohnungen das ganze Jahr über kein Sonnenlicht.
Der Städtebau der 50er und 60er Jahre hat wenig urbane aufgelockerte Siedlungen mit sehr viel Licht und Luft propagiert. Hier gibt es durchaus Verdichtungspotenziale und oft auch das Bedürfnis nach klarerer Abgrenzung von öffentlichem und privatem Raum. Aber auch dies erfordert ein Planen und Bauen mit viel Bürgerbeteiligung und Fingerspitzengefühl.
Berlin liegt nicht am Mittelmeer
Die Forderung nach weiterer Verringerung der Abstandsregeln bei Berlin-typischer Innenstadtbebauung ist zynisch. Berlin liegt nicht am Mittelmeer. Die neue Koalition will die derzeit geltende Abstandsregel von 40 wieder auf 50 Prozent der Gebäudehöhe anheben, weil in den letzten Jahren entstandene Gebäude ihren jeweiligen Nachbarn häufig zu dicht auf die Pelle gerückt sind.
Soweit Hochhäuser nicht als Machtdemonstration einer Firmenzentrale fungieren, eignen sie sich als Bautyp nur für diskrete anonyme Nutzungen. Wohnhochhäuser kann man bauen für Singles und globale Zweitwohnungen, nicht aber für Familien mit Kindern und nicht für das Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Milieus.
Richtig ist, dass auch Hochbebauung heute ökologisch und ökonomisch gut zu gestalten ist.[…] Es ist keineswegs eine Frage der Stockwerke, ob eine Hochhaussiedlung ein sozialer Brennpunkt wird oder gut funktioniert.
schreibt NutzerIn A.v.Lepsius
Die elegantesten Wohnhochhäuser Berlins wurden in den 50er Jahren für die Interbau im Hansaviertel gebaut. Sie stehen in einer gepflegten grünen Landschaft und aus den ehemaligen Sozialwohnungen sind längst Luxusappartements geworden. An den Rändern des neuen Gleisdreiecksparks wurde und wird hochverdichteter Wohnungsbau für Haushalte mit gut gefülltem Portemonnaie verwirklicht.
Sozial-ökonomische Leitbilder des Zusammenlebens
Demgegenüber hatten die Wohntürme des sozialen Wohnungsbaus der 60er und 70er Jahre allerorten große soziale Probleme mit Vandalismus, Aggressionen und Gewalt. Überschaubare Nachbarschaften konnten sich in diesen anonymen Wohntürmen nicht bilden. Die Häuser mussten teils aufwendig saniert, teils abgerissen werden. Die zuständigen Wohnungsbaugesellschaften mussten sich feinfühlige Belegungskonzepte ausdenken und praktische Sozialarbeit organisieren. Das Kottbusser Tor in Kreuzberg wird noch für viele Jahre der Berliner Prototyp für das falsche Auftürmen von Wohngebirgen bleiben.
Städte sind über Jahre und Jahrhunderte angeeigneter Lebensraum ihrer Bürger. Städtebau beinhaltet immer auch sozial-ökonomische Leitbilder des Zusammenlebens. Gerade Berlin hat viel Erfahrung darin, wie Stadt mit ideologisch motiviertem willkürlichen Städtebau überformt werden kann. Darum lasst unsere Stadt doch nach ihrer Façon selig werden. Berlin soll nicht Madrid oder Mailand werden und braucht keine zwanghafte Modernisierung, sondern schlichtes lebendiges Weiterbauen im und am Bestand.
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