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Eine Art Skyline. Der Potsdamer Platz gehört zu den wenigen Orten, an denen die Traufhöhenregel ausgesetzt wurde. Richtige Wolkenkratzer gibt es auch hier nicht.
© dpa

Stadtplanung: Ex-Direktor der Bauhaus-Stiftung: Berlin verbaut seine Zukunft

Vorschriften aus dem Geist des 19. Jahrhunderts und eine ängstliche und fantasielose Politik verhindern die notwendige Verdichtung der Stadt. Ein Kommentar.

In den Zwanzigerjahren war Berlin nicht nur eine der größten Städte der Welt, sondern auch eine der dichtesten. 1933 setzte ein Prozess von Zerstörung, Krise und Teilung ein, der zu einem unvergleichlichen Aderlass der Entleerung führte. Berlin wurde zur Welthauptstadt der Brachen. 27 Jahre nach dem Mauerfall ist ein bedenkliches Fazit zu ziehen: Die Leere und das in ihr wohnende Potenzial wurde von Banalitäten verzehrt, eine echte Dichte hat sich nicht eingestellt. Schuld daran ist das unselige Zusammentreffen dreier teilweise antagonistischer Kräfte, die gemeinsame eine große Antidichte-Koalition bilden.

Der erste Antidichte-Faktor ist die Berliner Traufhöhenideologie. Sie ist ein Produkt der begrenzten technischen Möglichkeiten der Berliner Feuerwehr im Jahr 1871, festgeschrieben in der damaligen Baupolizeiordnung. Feuerleitern waren in der Länge limitiert und die Bauhöhe entsprechend auf 22 Meter begrenzt. Bis heute besteht dieses Dogma, dabei sind die Fragen des Brandschutzes längst anderweitig gelöst.

Es ist völlig richtig, bei sorgfältig entworfenen Straßenräumen wie etwa dem barocken Boulevard Unter den Linden oder dem Pariser und Leipziger Platz die Proportionen zu erhalten. Aber die Traufkante in den großen Mietskasernenvierteln Berlins zu zementieren, hat nichts mit der Bewahrung von städtebaulicher und architektonischer Gestaltungen oder der Qualität von öffentlichen Räumen zu tun. Die baupolizeilichen Regeln von 1871 für einen gestaltungsarmen spekulativen Bauboom waren nie Garanten für guten Städtebau, sie sind es bis heute nicht.

Woher sie wohl kommt, diese tief verinnerlichte Hochhaus-Phobie der Berliner? Die hunderttausenden von Wohnungen die in der nächsten Zeit zu bauen sind, sind mit der vorgestrigen Traufhöhe einfach nicht zu stemmen. Das müsste doch jedem klar sein.

schreibt NutzerIn 1964

Das Nachjagen einer unerreichbaren Utopie und die restaurative Symbolpolitik

Das Traufhöhen-Dogma wirkt so stark, dass sich die Avantgardisten der heutigen Berliner Architektenszene wie Arno Brandlhuber und Christoph Langhoff lediglich trauen, die Traufhöhe um eine Etage anzuheben. Warum diese Verzagtheit? Bei der opulenten Breite der Berliner Hauptstraßen wäre es kein Problem, Gebäudehöhen zu verdoppeln: also nicht Aufbau einer Dachetage, sondern von fünf oder sechs Stockwerken. Den Aufschrei der „europäischen Stadt“-Ideologen kann man mit einem Flugticket nach Rom, Mailand oder Madrid parieren. Dort hat der Städtebau schon vor vielen Jahrzehnten ohne Probleme 40 Meter hohe Wohnbauten in die Innenstadt integriert. Und was in den altehrwürdigen Städten Italiens und Spaniens möglich ist, sollte für Berlin als Stadt der Moderne nicht zu gewagt sein.

Der zweite Antidichte-Faktor kommt ideologisch von der anderen Seite. In Feuilletons und in der Architekturwelt gilt die Charta von Athen für einen funktionalistischen, autogerechten Städtebau zwar schon seit Jahrzehnten als Verkörperung des Grundübels. Das ändert aber nichts daran, dass ihre völlig übersteigerte Forderung nach Licht, Luft, Sonne im Deutschen Baugesetzbuch und der Berliner Bauordnung bis heute als Orthodoxie eingeschrieben ist. Gemäß der dort festgelegten Mindestabstandsregeln und Dichtebegrenzungen sind viele der noch von früher vorhandenen innerstädtischen Baustrukturen für den Neubau eine unerreichbare Utopie. Während wir also bei der Traufhöhe frühere Beschränkungen ohne Sinn in die Gegenwart übertragen, legen wir uns hier Beschränkungen auf, die Dinge, die einmal selbstverständlich waren, unmöglich machen.

Der dritte Antidichte-Faktor ist die Berliner Politik, die jede Form einer großstädtischen Modernisierung hintertreibt und sich in eine restaurative Symbolpolitik verbissen hat. Sie missversteht Städtebau und Stadtplanung als historienversessene Stadtbildpflege. Gescheitert ist nicht nur die Länderfusion Berlin-Brandenburg – sie hätte die Chance geboten, die Metropolen- und Umlandentwicklung sinnvoll und integral zu gestalten und nicht zu einer interkommunalen Konkurrenz um Baulandvermarktung und Gewerbesteuerakquise verkommen zu lassen.

Ebenso verschlafen wurde die Formulierung neuer Mobilitätskonzepte. Noch heute operiert die Stadt an der Wiederherstellung von öffentlichen Nahverkehrsangeboten herum, die es schon vor 1945 gab. Zu Innovationen für Nah- und Fahrradverkehr muss die Berliner Politik durch Volksbegehren – wie bei der Initiative Volksentscheid Fahrrad – gezwungen werden. Urbane Dichte ist nicht allein eine Frage der gebauten Dichte, sondern ein Problem von zeitlichen Distanzen. Wenn sich durch verbesserte Verkehrsbeziehungen die Entfernung zwischen Spandau und Lichtenberg oder Zehlendorf und Pankow zeitlich halbiert, dann erhöht sich die im Alltag erlebte Dichte.

Die Stadt muss social investors fördern

Diese Erhöhung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung einer Stadt für alle. Die Schaffung neuer Baumöglichkeiten sollte nicht bloß den Markt für den boomenden kommerziellen Immobilienmarkt vergrößern. Wir müssen uns von einer Einstellung lösen, die den staatlichen Eigentümer als städtebauliches Übel sieht und der enthemmten Privatisierung huldigt. Auf diese Weise hat das Land Berlin seit 1990 310 000 Sozialbauwohnungen und Millionen von Quadratmetern an öffentlichem Grund und Boden verloren.

Zum einen muss die Stadt alternative Bauherrnschaften befördern, ob Baugruppen, neue Genossenschaften und andere Formen von gemeinnützigen, nicht profitorientierten Immobilienentwicklern, also social investors. Städtischer Grund und Boden sollte zum anderen nicht verkauft, sondern in Erbpacht vergeben werden. Das verhindert Spekulation, verhilft der Stadt zu nachhaltigen Einnahmen und räumt ihr bessere städtebauliche Gestaltungsoptionen für die Zukunft ein.

Und wenn die Bebaubarkeit für private Grundstücke erhöht wird, sollte der Planungsgewinn nicht wie bislang dem privaten Eigentümer zugutekommen, der dazu nichts beiträgt. Stattdessen sollte das zusätzlich mögliche Bauvolumen an die Realisierung von Sozialbauwohnungen in gleichem Umfang gebunden sein. In den USA gibt es seit den 1980er Jahren in einigen Städten und Bundesstaaten sogenannte Linkage-Regeln, mit denen ein Teil des Profits von Immobilieneigentümern durch erhöhte Grundstücksausnutzung für die Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum abgeschöpft wird.

Das Bauhaus hat die Schönheit von Bauten abgeschafft und die Zweckmäßigkeit zum alleinigen Prinzip erhoben. Erfolg? Überwiegend noch weniger zweckmäßige Gebäude, die nun auch noch jede Schönheit vermissen lassen.

schreibt NutzerIn pfauenauge7

Sicherung von städtebaulichen Besonderheiten und Freiräumen

Die Erhöhung der urbanen Dichte muss einhergehen mit der Sicherung von städtebaulichen Besonderheiten und Freiräumen. Berliner Dichte soll also nicht bedeuten, jede Baulücke und Brache zu bebauen oder Schrebergärten zu beseitigen. Im Gegenteil: Die Erhöhung der Gesamtkapazität sollte die Koexistenz von hoher baulicher Dichte und auch zuweilen überraschend üppigen Freiräumen ermöglichen. So würde die hohe Dichte die Freiheit für Zonen von Abwesenheit schaffen.

Berlin sollte sich nicht in jeder Hinsicht normalisieren und damit banalisieren, sondern endlich einen Weg finden, seine seit 1871 entwickelte Spezifität einer modernen Metropole mit den Anforderungen einer heutigen Modernisierung zu verbinden. Das heißt auch: Abschied nehmen von dem Missverständnis, Berlin sei ein gigantisches Museum.

Philipp Oswalt ist Architekt und Hochschullehrer. Von 2009 bis 2014 war er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Philipp Oswalt

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