„Invisible“ in der ifa-Galerie Berlin: Wenn Eisenpartikel tanzen
Grenzen des Sichtbaren: In der Ausstellung „Invisible“ zeigt die Berliner ifa-Galerie zeitgenössische Kunst aus Marokko.
Die Pflanzen sind Zeugen der Schrecken, die sich in der Wüste ereignet haben. Die Nomadin Khadija selbst spricht seit über vierzig Jahren nicht davon, was ihr widerfahren ist als junge Frau in der südmarokkanischen Sahara. Was könnten uns die Kakteen, die allen Widrigkeiten zum Trotz seit Jahrtausenden in der kargen Landschaft wachsen, über die Geschichte erzählen? Damit beschäftigt sich der junge marokkanische Künstler Abdessamad El Montassir in seiner poetischen Videoarbeit „Achayef“. Neben den Wissensarchiven der Pflanzen geht es um die Weitergabe von Traumata von einer Generation an die nächste. Die Kinder Khadijas spüren das Trauma ihrer Mutter in sich, ebenso wie der Sohn eines Holocaust-Überlebenden, den El Montassir interviewt. Eine archaische Art der Gefühlsübertragung, irgendwo zwischen Tiefenpsychologie und Magie.
El Montassirs Video gehört zur Ausstellung „Invisible“, die in der Berliner Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) zu sehen ist. In der Schau geht es um die Grenzen des Sichtbaren und um das Spirituelle, das insbesondere in vielen afrikanischen Kulturen eine große Rolle spielt. Die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler aus Marokko setzen sich mit ihren Riten und Glaubensformen auseinander und erobern spirituelle Traditionen zurück, die in der westlichen Welt oft als irrelevant und veraltet angesehen werden.
Die Herangehensweisen der Künstler sind vielfältig
„Invisible“ ist Teil des transdisziplinären Forschungs- und Ausstellungsprojekts „Untie to Tie“ der Galerie, das noch bis 2020 läuft. Ein Jahr lang lag der Schwerpunkt auf kolonialen Vermächtnissen und Strukturen, die die heutigen Gesellschaften beeinflussen. Die aktuelle Schau leitet die zweite Phase mit dem Schwerpunkt „Bewegung“ ein, in der die Galerieleiterin Alya Sebti über koloniale Grenzen und Migration als natürliches Phänomen nachdenken will.
Die Herangehensweisen der Künstlerinnen und Künstler an das Thema sind vielfältig: Mit dem Meer als Ort der Begegnung beschäftigt sich Anna Raimondo in einem Hörstück, während Hicham Berrada in „Les Fleurs“ magnetische Blumen sichtbar werden lässt. Für seine Arbeit hat er Eisenpartikel gefilmt, die in einer schwarzen Flüssigkeit ein magnetisches Feld formen. Der Tanz der Partikel, die sich immer wieder neu ordnen, ist von hypnotischer Schönheit.
Politischer wird es bei Mohammed Laouli. In „Hassad al Houb / Labour of Love“ geht es um Rosenwasser, das weltweit als kosmetisches Mittel genutzt wird. Die Herstellung ist eine beschwerliche Arbeit, die in Marokko traditionell von Frauen verrichtet wird. Laouli hat ein neuartiges Rosenwasser als Heilmittel gegen patriarchales Denken produziert, einige Fläschchen davon stehen in der Berliner Galerie vor einer pinken Wand. In der dazugehörigen Videoarbeit liest eine Frau Zitate der feministischen Theoretikerin Silvia Federici vor. „Sie nennen es Liebe. Wir nennen es unbezahlte Arbeit“, flüstert die Stimme, während marokkanische Fliesen unter Wasser zu sehen sind. Laoulis Arbeit macht deutlich, dass kaum ein Bereich von mehr Traditionen und Mythen durchzogen ist als die Beziehung zwischen Mann und Frau. Und das nicht nur in Marokko.
ifa-Galerie Berlin, Linienstraße 139/140, bis 3. Februar, Di-So 14-18 Uhr