Alya Sebti im Porträt: Der Süden, die Sünden
Kurswechsel an der Berliner ifa-Galerie: Chefin Alya Sebti schaut auf die Kolonialgeschichte.
Jung sind die Zuhörer und international, das fällt sofort auf. Alya Sebti, sandfarbener Blazer und ebensolcher Schal, nimmt das Mikrofon und erklärt den Abend: Er gehört zu einer Gesprächsreihe über das Zusammenleben in globalisierten Gesellschaften. „Merci beaucoup“, dankt sie mehrmals dem Publikum fürs Kommen – und dem Podium, jungen Akademikerinnen und Akademikern, die über den Status asiatischer Bevölkerungsgruppen in Deutschland diskutieren wollen.
Später sitzt die 34-jährige Alya Sebti in der ersten Reihe und schreibt mit, über einem Block den Kopf gesenkt, die halblangen dunklen Locken kürzer als im vergangenen Jahr, als sie die Stelle als Direktorin der Berliner ifa-Galerie antrat. Seitdem herrschen hier andere Töne. Neben Französisch und Englisch sind nun Arabisch und Spanisch zu hören.
In dem schlichten Saal an der Linienstraße geht es jetzt um die Langzeitfolgen des Kolonialismus. „Untie to Tie“, „Entknoten, um zu verbinden“ heißt die Reihe, die sich Alya Sebti für das Jahr ausgedacht hat, in dem das ifa, das in Stuttgart beheimatete Institut für Auslandsbeziehung, seine Gründung vor 100 Jahren feiert. Den Anfang in Berlin machte im März der Künstler Pascale Marthine Tayou mit einer Installation zu einer verlassenen deutschen Kolonialsiedlung in Namibia.
Sie studierte in Frankreich, arbeitete in Italien und Spanien
Alya Sebti kommt aus Marokko. In Frankreich studierte sie Kunstgeschichte und Kulturmanagement, sie arbeitete in Italien und Spanien. Zwischen 2011 und 2014 leitete sie die 5. Marrakesch-Biennale. Darüber lernte sie das ifa kennen – ausgerechnet, weil sie das Institut um Geld bat, wie sie sich lachend erinnert – lieber auf Englisch, obwohl sie sehr gut Deutsch spricht. Als die Stelle der Direktorin frei wurde, bewarb sie sich. Das ifa habe sich für Sebti entschieden, weil sie „hervorragend international vernetzt“ und „in unterschiedlichen Kulturkreisen zu Hause“ sei, schrieb damals in einem Online-Magazin Elke aus dem Moore, die Leiterin der ifa-Kunstabteilung.
Sebti verkörpert den Kurswechsel des Hauses, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Das Institut soll nicht mehr Kultur ex- oder importieren, sondern mit weltweiten Partnern gleichberechtigt entwickeln, auch, um ein „globales Verantwortungsgefühl“ zu wecken, wie der Generalsekretär im Frühjahr sagte. Nur so ließen sich Krisen wie Klimawandel und Fluchtursachen lösen. Eine Voraussetzung dafür sei, so aus dem Moore, dass sich Europa der kolonialen Vergangenheit stelle.
Für Sebti ist die Zeit günstig. Kolonialherrschaft war lang kein Thema in Deutschland, doch 2016 hat der Bundestag die Massaker an den Herero durch deutsche Soldaten als Völkermord anerkannt. Das Deutsche Historische Museum hat soeben in seiner Ausstellung zu deutschem Kolonialismus über 120 000 Besucherinnen und Besucher gezählt. Und der Künstler Pascale Marthine Tayou sagt über sein Berliner Publikum: Klug, aufmerksam und neugierig sei es gewesen, Besucher hätten ihm keine fundamental anderen Fragen gestellt als anderswo.
In den Schulen komme die Kolonialzeit kaum vor, sagt sie
Sebti meint, heute gehe es nicht mehr darum „ob, sondern wie in Deutschland über die Kolonialzeit gesprochen wird“. Vor drei Jahren zog sie nach Berlin, arbeitete als freie Kuratorin und war kürzlich in der Jury, die die Kandidatinnen für den Preis der Nationalgalerie vorgeschlagen hat. Als sie in der ifa-Galerie anfing, brachte die „B. Z.“ eine kleine Homestory mit Foto: Sebti in weißen Söckchen auf dem Sofa zwischen Bücherstapeln.
Im südlichen Kreuzberg lebt sie, zusammen mit ihrem Lebenspartner und dessen Tochter im schulpflichtigen Alter. In den Schulen, sagt Sebti, komme die Kolonialzeit kaum vor. Für die ifa-Galerie recherchiert daher ein Universitätsseminar Unterrichtsmaterial zum Thema, das Schulen zugänglich gemacht werden soll. Auf weltbürgerliche Bildung legt Sebti Wert. Es gibt jetzt die digitale Radiostation Saoutradio mit Hörspielen und Kompositionen aus dem globalen Süden. Und in der ifa-Galerie einen offenen Studiensaal mit Büchern und Filmen über die Geschichte des Südens und des Rassismus, betreut von Redakteurinnen des Kunstmagazins „Contemporary &“. Vor allem aber will Sebti ein Publikum jenseits der ohnehin Interessierten gewinnen. Deshalb setzt sie auch auf Konzerte und Tanz, veranstaltet mit anderen Häusern wie dem Acud.
Alya Sebti lässt den Gästen viel, manchmal zu viel Raum
Nicht alles klappt. Sebti lässt den Gästen viel, manchmal zu viel Raum. Ein Abend mit dem Künstlerradio Kunci aus Indonesien wurde zäh, weil sich die Vortragenden in technischen Problemen ihrer Laptops verloren. Und aus dem Ruder lief besagtes Gespräch zu asiatischen Milieus, konzipiert und moderiert von dem Anthropologen Jonas Tinius. Aus dem Publikum fragte der deutsch-afrikanische Kulturaktivist Michael Küppers-Adebisi, warum auf dem Podium, das in Tayous Ausstellung stattfand, Vertreter der afrikanischen Diaspora fehlten. Danach sprachen alle nur noch darüber, wer wen wo warum repräsentiert.
Der Abend hat Sebti nachdenklich gemacht, solch heftige Reaktionen habe sie in Frankreich nicht erlebt. Sie will ihr Konzept nachjustieren. Neue Gelegenheiten gibt es viele: Die Internetseiten zu „Untie to Tie“ strotzen vor Terminen. Soeben hat der zweite Teil begonnen. Die Ausstellung von Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente handelt davon, wie der amerikanische Tourismus das mit den USA assoziierte Puerto Rico fest im Griff hat.
Bei der gut besuchten Eröffnung steht Sebti am Rand, während Gastkuratorin und Leiterinnen von Partnerhäusern sprechen. Sie überschreiten ihre Redezeiten. Sebti lässt sie lächelnd gewähren, hebt nur einmal dezent den Zeigefinger. Bei Wein, Wasser und Gebäck plaudern dann alle durcheinander. Auch Michael Küppers-Adebisi und der Anthropologe Jonas Tinius sind gekommen. Die beiden haben sich inzwischen näher kennengelernt und werden womöglich, so sagen sie unabhängig voneinander, gemeinsam eine Diskussion veranstalten. Alya Sebti ist keine strenge Hausherrin, lieber bringt sie Kulturakteure als kluge Gastgeberin und Netzwerkerin auf Trab.
Im Rahmen des Langzzeitprojekts „Untie to Tie“ zeigen die Künstlerinnen Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente in der ifa-Galerie, Linienstr. 139/140, bis 17. 9. ihre Arbeiten unter dem Titel „Vorsicht Stufe / Kopf weg“.
Claudia Wahjudi
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