Joe Cocker zum 70. Geburtstag: Wenn die Seele bebt
Du kannst den Hut aufbehalten: Der Rocksänger Joe Cocker wird 70.
November 1980, Metropol, West-Berlin. Um halb sechs unten im Café. Schnelles Interview mit Joe Cocker. Interview? Er kippt in einer Viertelstunde drei Bier weg, murmelt ein paar Sätze, dann schleift ihn der Manager ins Hotel. Gut fünf Stunden später neigt sich ein fantastisches Konzert dem Ende zu. Der Sänger holt zum Finale aus, rudert linkisch mit den Armen, der Oberkörper pumpt – und der Urschrei: „With A Little Help From My Friends“! Das nette Geplätscher der Beatles hat Joe Cocker in einen Gewittersturm verwandelt.
Es war 1968 der erste große Hit des Klempners aus Sheffield, der am heutigen Dienstag seinen 70. Geburtstag feiert. Er sang das Lied, das sein Song wurde, in Woodstock, und Amerika staunte über diesen weißen Soul-Berserker, der sie alle von der Bühne fegte – sich selbst eingeschlossen. Nach der berühmten „Mad Dogs and Englishmen“-Tour war er finanziell und körperlich erledigt, und „Feelin’ Alright“, eine seiner frühen Glanznummern, klang da wie Hohn. Es ist ein Wunder und ein großes Glück, dass Cocker die große Rockstar-Selbsthinrichtungswelle der frühen siebziger Jahre überlebt hat. Wie oft hing er zugeballert auf der Bühne, ging ins Studio und nahm Songperlen wie „You Are So Beautiful“ auf. Seine Reibeisenstimme hat die Zärtlichkeit eines King Kong, der eine blonde Frau in luftige Höhen hebt.
„Up Where We Belong“, sein Duett mit Jennifer Warnes, war 1983 ein kommerzielles Comeback. Der Song gehörte zum Soundtrack von „An Officer And A Gentleman“. Ein paar Jahre später hat sich Cocker mit einem anderen Film eingeprägt, der Sadomaso-Romanze „9 1/2 Weeks“ mit Mickey Rourke und Kim Basinger, die den heißen Tipp bekam: „You Can Leave Your Hat On“. Sein späterer Hit „Unchain My Heart“ hätte auch in dieses Kinoabenteuer gepasst.
Einem Song kann kaum etwas Besseres passieren, als von Joe Cocker gecovert zu werden. Bob Dylans „Girl From The North Country“ hat er ebenso in Stein gemeißelt wie Leonard Cohens „Bird On A Wire“ oder „Delta Lady“ von Leon Russell, mit dem er lange zusammenspielte. Noch immer geht er häufig auf Tournee, veröffentlicht Alben, zuletzt „Hard Knocks“ und „Fire It Up“. Er lebt auf einer Ranch in Colorado und bedauert, dass er nichts mehr trinken darf. Seine Auftritte – auch immer mal wieder in Berlin – leben von der Routine und den besonderen Momenten, wenn die Stimme sich schüttelt und zu ihrer sublimen Wildheit findet. Joe Cocker ist wie ein Opernsänger zu betrachten. Er sang die ganz großen Partien des Rock und Blues, unter seiner Gewalt bebte der Boden.
Rüdiger Schaper