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Leonard Cohen begeisterte bei seinem Auftritt in der Berliner Waldbühne das Publikum.
© dapd

Leonard Cohen: Der erste und der letzte Tanz

Was lange währt, war immer schon gut: Leonard Cohen gibt in der Berliner Waldbühne ein bewegendes Konzert.

In Berlin findet zur Zeit das Internationale Literaturfestival statt. Doch die Poesie richtet sich nicht nach dem Kalender, sie geht und weht, wohin sie will. Und so ist es eben Zufall oder Fügung, dass Leonard Cohen, einer der größten Dichter dieser Welt, die auch nicht kaputter ist als in vorangegangenen Epochen – man merkt es nur schneller, es gibt kaum noch Ruhezonen – am Mittwochabend die Berliner Waldbühne mit seinen Versen, seinen Songs umarmt hat. Er ist wieder auf der Tour, das zweite Mal bereits nach dem sensationellen Comeback von 2008.

Man muss nicht älter werden, um Cohen zu verstehen, der in den frühen sechziger Jahren mit Lyrikbänden und Romanen zuerst hervortrat. Man versteht ihn jetzt aber anders, nach Jahren und Jahrzehnten. Man erkennt, dass er im Grunde nie bloß von Schmerz und Leid und Depression, Gewalt und Religion und Sex gesungen hat, sondern von der Freiheit. Von der Freiheit, sich in diesen Tiefen und Untiefen rettungslos zu verlieren. Von der Freiheit, Schmerz zu genießen, nach der Liebe oder der Einsamkeit zu leben. Von der Freiheit, ein Individuum zu sein. Im Sinne der jüdischen Tradition, im Sinne Montaignes, im Sinne des Rock’n’Roll, der auch eine Aufklärung war. „From the bloody cross on top of Calvary to the beach of Malibu.“ Von Golgatha nach Kalifornien, das ist die zurückgelegte, zurückzulegende intellektuell-poetische Strecke.

Der 77-Jährige macht an diesem Abend nicht so viele Ansagen. Zu dem Song „Democracy (is coming to the USA)“ aber meint er, das habe jetzt weder mit dem einen oder dem anderen Präsidentschaftskandidaten zu tun, es gehe vielmehr um den „besten Instinkt“ der westlichen Welt. Demokratie.

Kann man Glück in Zahlen ausdrücken? Es ist 22.45 Uhr, das Wetter hat gehalten, und der schmale Mann mit dem Nadelstreifen-Zweireiher und dem Hütchen, das er so gern vor seinen formidablen Musikern zieht, stürmt für die Zugaben auf die Bühne zurück. Das hat er sich bis zum Schluss aufgehoben: „First we take Manhattan / then we take Berlin“. Man hat das Gefühl, dass die Bäume mittanzen, diese schwarzen Gesellen am Rande eines singenden, sich im von Cohen geliebten Dreivierteltakt wiegenden Auditoriums. Er zeigt ein breites Lächeln. Er weiß, dass die 17 000 Fans ihm hier äußerst gewogen sind, dass er viele glücklich gemacht hat, in diesen feinen dreieinhalb Stunden. Wie immer hat eröffnet mit „Dance me to the end of love“, und er schließt – das ist wirklich die allerletzte Zugabe und ein neues Ritual – mit dem uralten Rausschmeißer „Save the Last Dance for Me“.

Neue Songs und alte Ideen

Aber der Reihe nach. Nichts vergessen, keine Träne verschütten. Der Auftakt ist schon überwältigend: „The Future“, „Bird on the Wire“, „Everybody Knows“. Die Tour, die ihn quer durch Europa führt, mit Auftritten in der Arena di Verona, Dublin (vier Konzerte), Wembley (zwei Abende!), heißt nach dem aktuellen Album „Old Ideas“ – und da kommen sie, die neuen Songs, „Amen“, „Darkness“, „Going Home“. Und mit ihnen kommt ein schleppender Ton, bon soir tristesse: Der Mann ist aber auch nicht mehr so jung, wie er eigentlich niemals war, und natürlich darf er diese dunklen Stimmungen ausfüllen, die früher aber etwas Kokettes, Verspieltes hatten. Jetzt ist die Lebensperspektive ernster, enger, die Optionen reduzieren sich, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Aber der Mann ist nicht nur mit der „golden voice“ beschenkt, sondern auch mit unglaublichem Humor. Wenn das Alter ein Anzug wäre, Leonard Cohen würde man ihn abkaufen. Auch gebraucht.

Plötzlich liegt ein Geschmack von Abschied auf allem. Ist er nicht doch ein wenig wacklig geworden, wie er sich da vor seinen Musikern hinkniet, vor dem Publikum an der Rampe? Ausführlich stellt er die Band vor, die der Bassist Roscoe Beck seit Jahrzehnten leitet – mit Javier Mas, der wie ein Flamencomeister die Gitarre zupft und rupft, die Mandoline zum Flirren bringt, mit dem hauchzarten Geiger Alexandru Bublitchi, mit den englischen Webb-Sisters (so hätte man es in Goethes Zeiten gesagt, englisch als Adjektiv von Engel, und Hattie und Charley kommen ja auch von der Insel) und mit Sharon Robinson, Cohens Co-Autorin und Begleiterin so vieler Jahre. Sie singt nachher solo „Alexandra leaving“, und da zeigt sich, dass sie als Background-Frau unter Wert verkauft ist, wie einst Jennifer Warnes, an die sich Cohen-Fans so gern erinnern. Auf der „Old Ideas“-CD ist sie auch mal wieder zu hören. Nun die Verbeugungen und das sonore „Thank you, my friends, you are so very kind ...“ – ist es vorbei? Geht er schon? Hat er keine Luft mehr?

Cohen spielt mit der sich anbahnenden Enttäuschung – und verkündet, dass jetzt Pause sei. Über den „Tower of Song“ (eine souverän selbstironische Dichtung) steigt er zu eben noch ungeahnten Höhen auf. Ja, die Erwartungen: „Suzanne“ lässt sich nicht lange bitten, und „I’m your Man“, in das er sich mit großer Lust und frischer Phrasierung vertieft, wird zur Hymne. Ein Hymniker ist er ohnehin. Beim „Hallelujah“ springen viele auf, es ist durch etliche leider kitschige Coverversionen sein populärstes Lied. So groß, so schön, so unsagbar traurig und elegant erzählt es, wie Kunst und Glaube entstehen kann und wie Liebe, körperliche Liebe stirbt. Der stärkste Vortrag des Abends: „The Partisan“, ein Song der französischen Résistance. Die Band steht in einer Reihe, der Rhythmus marschiert, Cohen treibt mit der Gitarre die Worte vor sich her: vom kalten Wind über den Gräbern und von namenlosen Helden, die stumm sterben, wenn die Soldaten kommen.

Der erste und der letzte Tanz, sie wollen sich berühren. Einst war Leonard Cohens Kosmos ein Schutzraum der Jugend. Jetzt leuchtet sein Stern in einem tieferen Dunkel.

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