zum Hauptinhalt

Joe Cocker: Wer schreit, der bleibt

"Feelin’ Alright", "Unchain my Heart", und die Jahrzehnte fliegen: Joe Cocker in der Berliner O2 World hat mit einer auf Basskrawall getrimmten Band zu kämpfen.

Das kann ja gar nichts anderes werden als eine Hitparade, wenn er die Fans in der fast ausverkauften Halle nicht enttäuschen will: So viele Songs hat der 66-Jährige in vierzig Jahren gecovert und gecockert und in jene seltsamen Tiere verwandelt, die in menschlichen Ohren nisten. Man soll mit dem L-Wort sparsam umgehen, es am besten ruhen lassen. Doch wenn Joe Cocker auf der Bühne steht – er spart sich heutzutage das Gekreise und Gefuchtel, das schmerzhafte Verdrehen von Oberkörper und Armen –, dann kommt man um die legendären Nummern nicht herum. Ein paar Noten auf dem Klavier, ein Percussioneinsatz, und die Jahrzehnte fliegen.

„Feelin’ Alright“, „The Letter“, „Summer in the City“ , „Up where we belong“ – das geht Schlag auf Schlag. Leider holen sie hier gleich den Vorschlaghammer heraus. Die Band ist auf Schlagzeug- und Basskrawall getrimmt, Joe Cocker dringt nicht durch. Man kennt die Songs, denkt sich dazu, was die Soundanlage verschluckt. „You are so beautiful“: Tausendmal gehört, aber am Samstagabend ist nichts passiert. Selbst bei dieser akustischen Nummer ist die Stimme blechern, und das Piano hat überhaupt keine mittleren Lagen. Bloß spitze Höhen und dumpfe Schläge in den Bauch. „Hard Knocks“ heißt Joe Cockers neues Album, davon spielt er in Berlin auch ein paar Sachen, zu verstehen ist nichts. Er singt wohl von den alten Zeiten in Sheffield, unser guter alter Proletarier-Joe. Aber da müsste er schon mal was ansagen, mal Ruhe hineinbringen in seine scheppernde und dröhnende Eisenwarenhandlung mit den beiden rattenscharfen Sängerinnen, die wie aufgezogene Cheerleader mit Armen und Hüften kreisen.

Die Stimmung im weiten Rund ist gemischt, verhalten, abwartend. Erst nach über einer Stunde löst sich bei „Unchain my Heart“ die Tanzhemmung. Und „You can Leave your Hat on“, das wäre dann auch erledigt. Für Balladen ist kaum Zeit, sie spielen den Set lieblos herunter, ohne Inspiration. Die Arrangements halten sich im traditionellen Rahmen, ein bisschen Saxofonsahne, mal ein längeres Gitarrensolo, und viel Orgelgewimmer, so was galt ganz früher mal als progressiv. Solche alten Wörter fallen einem bei Joe Cocker ein.

Zu den Beatles hat Joe Cocker ein spezielles Verhältnis. Hier versucht er sich, immerhin mal was riskiert, an einer funkigen Version von „Come Together“. Ach, und wer es an diesem Abend zum ersten Mal live hört, jenes Lied von den Freunden und dass man in schweren Zeiten einander hilft, wer zum ersten Mal Cockers Urschrei vernimmt, der könnte sagen: nicht schlecht. Das kann er schon noch. Er kann überhaupt viel mehr, hätte er eine andere Band, bessere Arrangements und vielleicht auch mal einen Tontechniker.

Rüdiger Schaper

Zur Startseite