„Congo Tales“ im Museum Barberini: Wem die Götter zürnen
Das Museum Barberini zeigt Fabeln und Erzählungen aus dem Kongo, ins Bild gesetzt von dem New Yorker Fotografen Pieter Henket.
Im Obergeschoss des Museums Barberini sind die Räume gerade erst strahlend weiß gestrichen worden: für die große Retrospektive zu Gerhard Richters abstrakten Bildern. Im Erdgeschoss hingegen dominiert dunkles Anthrazit. Kontrastprogramm, nicht nur in Sachen Farbe. Denn zeitgleich zu Gemälden von einem der berühmtesten zeitgenössischen Künstler Deutschlands sind nun Fotografien des in New York lebenden Niederländers Pieter Henket zu sehen, die von einem im Barberini bisher kaum berücksichtigten Erdteil erzählen.
In „Congo Tales“ illustriert Pieter Henket Fabeln und mündliche Überlieferungen aus dem Kongo. Aus dem Land gäbe es allerhand zu erzählen und aus europäischer Distanz – wenig Erquickliches: Der westliche und zentrale Teil des Kongos war einst französische Kolonie, dann sozialistische Volksrepublik, in den späten 1990ern tobte ein Bürgerkrieg. Seit 1997 regiert Denis Sassou-Nguesso das Land Kongo-Brazzaville, das in Nachbarschaft zur Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire) liegt. Es gilt als autoritärer Staat.
Die „Congo Tales“ haben mit all dem wenig zu tun. Hier regieren das Hochglanzformat und die „Tales“, die Märchen, stehen im Vordergrund: Gezeigt werden fotografische Destillate aus afrikanischen Märchen. „Die zwei Schwestern Nkééngé“ zum Beispiel, die sich gesunde Kinder wünschen und, wie Orpheus, durch einen Regelverstoß von den Göttern bestraft werden. Henkets Foto zeigt zwei Frauen unter riesenhaften, tropischen Bäumen. Sie sehen klein aus vor der ewig wirkenden Natur – die ebenfalls bedroht ist, auch darauf will die Schau aufmerksam machen.
Die Initiatorin der „Congo Tales“ ist Stefanie Plattner
Pieter Henket mag man als Modefotograf kennen, er hat aber auch schon Berühmtheiten wie den Harry-Potter-Star Alan Rickman glamourös in Szene gesetzt. Für „Congo Tales“ hat Henket sich in die Region Mbomo im kongolesischen Odzala-Kokoua-Nationalpark begeben und dort Kinder, Frauen und Greise fotografiert – ganz so, als wären sie Filmstars.
Gewissermaßen sind sie es auch: Die Menschen auf den Bildern stellen Szenen aus Märchen nach, die sie den Machern der „Congo Tales“ erzählt haben. In jahrelanger Arbeit sind diese Märchen vor Ort zusammengetragen worden.
Hier ergibt sich dann die Verbindung zu Museumgründer Hasso Plattner und der Frage, warum das Museum Barberini nach Monet, DDR-Kunst, Beckmann und Richter ausgerechnet fotografisch aufpolierte Märchen aus dem Kongo zeigt. Die Initiatorin der „Congo Tales“ ist Stefanie Plattner, die Tochter jenes Mannes, der den Ausstellungsort, das Museum Barberini, gegründet hat. Die Verbindung in den Kongo hat Mutter Sabine Plattner geknüpft, die sich mit ihrer Organisation Sabine Plattner African Charities (SPAC) für Bildung und Naturschutz in Afrika starkmacht. Im Vorwort des Katalogs beschreibt Sabine Plattner, wie sie einst selbst als Kind durch den märchenhaften Schwarzwald tanzte und Jahre später von den Geschichten im „schwarzen Herzen“ Afrikas daran erinnerte wurde.
Die Schau bildet den Auftakt für ein größeres Vorhaben
Tochter Stefanie Plattner ist Filmproduzentin. In „Congo Tales“ zeigt sie „The Crocodile and the Little Fish“, einen auf drei Leinwänden laufenden Kurzfilm in Lingala – einer der Hauptsprachen im Kongo –, bei dem sie Regie führte. Kinder aus Mbomo spielen Kinder aus Mbomo. Viel Grün, starke Farbkontraste, rauschendes Schilf, eine Erzählung von Fressen und Gefressenwerden, Tod und Auferstehung. Am Ende lachende Kinder, die schlimmen Erlebnisse waren nur ein Traum.
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Der Film ist gut gemacht, er lädt wie die gesamte Schau dazu ein, sich auf fremde Erzählungen einzulassen – die Dialoge werden nicht ins Deutsche übersetzt, trotzdem vermag das Geschehen zu berühren.
Die Schau bildet den Auftakt für ein größeres Vorhaben: „Congo Tales“ soll der erste Teil von „Tales of Us“ sein, einem Projekt, in dem auch an anderen Orten Erzählungen eingesammelt werden, die sonst möglicherweise vergessen würden. „Wir sind die Hebammen des Projekts“, sagt Stefanie Plattner, die sich seit sieben Jahren mit dem Thema beschäftigt. 30 Mitarbeiter in Deutschland und noch einmal so viele im Kongo arbeiten mit.
Geschichten von Liebe und Hass, Demut und Gewalt
So kann man „Congo Tales“ wohl auch als ziemlich unverhohlene, groß angelegte Werbekampagne für die Aktivitäten der Plattner-Familie ansehen: Im schönen Museum Barberini schöne Bilder und Filme über regionale Erzählungen und kollektive Identitäten zu zeigen – das ergibt ein schönes Lehrstück über die Bandbreite sozial engagierten Mäzenatentums.
Man kann sich aber auch einen Audioguide ausleihen und sich im Erdgeschoss des Barberini in die Märchen vertiefen, die hinter der teilweise irritierend glatten Oberfläche der Bilder stecken. Es sind Geschichten von Liebe und Hass, Hunger, Demut und Gewalt. Geschichten, wie sie auch die Brüder Grimm einst aufzeichneten und wie sie heute noch vom Leben geschrieben werden, nicht nur im Kongo.
Bis 31. Oktober, Museum Barberini, Alter Markt, Humboldtstr. 5 – 6, Potsdam, Mo und Mi – So 10 – 19 Uhr
Lena Schneider