Berliner Volksbühne: Was der Abgang von Sophie Rois bedeutet
Sophie Rois war eine Ikone der Castorf-Ära, eigentlich unkündbar. Ihr Abgang bestätigt, was man ahnte: In der Volksbühne findet ein Systemwechsel statt. Ein Kommentar.
Zwar ist an der Berliner Volksbühne seit dem Intendanzwechsel von Frank Castorf zu Chris Dercon im Sommer sowieso (fast) nichts mehr, wie es war. Aber diese Nachricht kommt trotzdem einem Paukenschlag gleich: Sophie Rois verlässt die Volksbühne! Denn mit der Ausnahmeschauspielerin, Trägerin des Berliner Theaterpreises und des Gertrud-Eysoldt-Ringes, hat ja jetzt nicht irgendeine, sondern tatsächlich die Identifikationsfigur des Hauses ihren Vertrag gekündigt. An einer Bühne, die sie 25 Jahre lang – die gesamte Castorf-Ära hindurch – geprägt hat.
Innerhalb der (Berliner) Theaterlandschaft ist das in etwa so, als würde Ulrich Matthes dem DT den Rücken kehren. Oder, wenn man über den Branchentellerrand schaut, Thomas Müller dem FC Bayern. Und zwar nicht mit finanziellem Großanreiz in Richtung Real Madrid oder Paris Saint-Germain. Sondern mutmaßlich in eine freie, strukturell prekäre Berufszukunft.
Rois wollte Dercon eine Chance geben
Wer den Theaterbetrieb auch nur ein bisschen kennt, weiß, was dieser Schritt bedeutet. Sophie Rois war an der Volksbühne unkündbar: betriebsintern ein Sechser im Lotto. Den opfert man nicht aus einer Laune heraus. Sondern dafür muss man wirklich zwingende Gründe haben. Zumal Rois – neben Silvia Rieger und Sir Henry – ja zu jenen drei (von den bereits durch Castorf von einst 27 auf elf reduzierten) festen Ensemblemitgliedern gehört hatte, die nach dem Intendanzwechsel am Haus verblieben und somit prinzipiell bereit waren, dem Neuen erst einmal eine Chance zu geben. Eine faire und angesichts der Hitzigkeit, mit der der „Berliner Theaterstreit“ geführt wurde, für eine Ikone der Castorf-Volksbühne sicher auch mutige Entscheidung. Selbst, wenn Rois sich zunächst für ein Jahr hatte beurlauben lassen, um in Ruhe „zu beobachten, was da passiert“. Doch jetzt, sagt sie in einem Interview mit dem Sender HR2-Kultur, das am Montag ausgestrahlt wird, sei die Kündigung „überfällig“ gewesen. Damit scheint immer klarer Kontur anzunehmen, was bereits seit Monaten in den Foyers geraunt wurde: das Ende der Volksbühne als Ensemblebetrieb.
Seit ihrer Berufung hatten Chris Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock ja immer wieder betont, ein Ensemble aufbauen zu wollen. Auf einer Podiumsdiskussion mit sämtlichen Berliner Intendantinnen und Intendanten in der Akademie der Künste vor einer Woche (Tagesspiegel vom 4. Dezember) sagte Piekenbrock nun allerdings Sätze wie: „Wir werden nicht ein 22-köpfiges Ensemble aufbauen, das ist in diesem Setting, was wir gewählt haben, gar nicht möglich.“ Und gab ferner – was man in dieser Klarheit erstmals hörte – zu Protokoll, dass die Ensemble- und Repertoirefrage in den Gesprächen mit Michael Müller und dem damaligen Kulturstaatssekretär Tim Renner während des Berufungsverfahrens keine Rolle gespielt habe.
Setting statt Schauspielerpersönlichkeit
Rois’ Kündigung kann man nun praktisch als Bestätigung dieses Paradigmenwechsels lesen. Zumal in den ersten Produktionen, die unter Dercons Intendanz in der Volksbühne zu sehen waren, ja auch künstlerisch klar wurde, wohin die Reise geht: Theater wird hier vom Format her gedacht. Vom, um bei Piekenbrocks Formulierung zu bleiben, „Setting“, nicht von der Schauspielerpersönlichkeit. Und zwar auch und gerade im dezidierten Schauspiel-Segment des Hauses, bei Susanne Kennedys entindividualisiertem Masken- und Playbacktheater.
Es geht nicht darum, dass Paradigmenwechsel, ästhetische wie strukturelle, per se ein Sakrileg wären. Sondern, wie es DT-Intendant Ulrich Khuon auf der besagten Podiumsdiskussion auf den Punkt brachte, dass da offenbar „ein Systemwechsel stattfand, der so nicht benannt wurde“. Im Grunde kann man jetzt lediglich hoffen, dass es „nur“ die Volksbühne bleibt, die die Ausnahmeschauspielerin Sophie Rois verliert. Und nicht die ganze (Theater-)Stadt Berlin.