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Probe zur Aufführung von "Caligula" am Berliner Ensemble.
© Wolfgang Kumm/dpa

Berliner Intendanten diskutieren: Das Ensembletheater: Herzstück des deutschen Repertoiresystems?

Großes Thema, große Runde: In der Akademie der Künste diskutieren Berlins Theaterintendanten über die Bedeutung des Ensembletheaters und den Systemwechsel an der Volksbühne.

Vor vielen, vielen Monaten, da tobte in Berlin eine recht aufgeregte Diskussion über die Frage, was denn ein Ensembletheater sei. Der Anlass war, selbstredend, die Berufung Chris Dercons zum Leiter der Volksbühne und die Vorahnung vieler, dass damit die Umwandlung des Hauses in einen Gastspielbetrieb verbunden sein könnte. Nun, am ersten besinnlichen Sonntag im Advent, hat die Akademie der Künste zur Generaldebatte in ihren Plenarsaal am Pariser Platz geladen. Titel der Veranstaltung: „Was ist ein Ensembletheater?“ Offensichtlich glauben die Akademie-Mitglieder an die alte Weisheit: Was lange gärt, wird endlich gut.

Auf dem Podium sind die Leiterinnen und Leiter der wichtigsten Berliner Sprechtheater versammelt, weswegen, wie Moderatorin Nele Hertling bedauert, kein Platz mehr für die Chefs der Opernhäuser oder des Balletts blieb. Vielleicht nächstes Mal. Die Runde – und das Thema – sind ja auch so schon groß genug.

Vielleicht ist es mit dem Ensemble wie mit der Liebe

Also, was ist dieses ominöse Ensemble-Gebilde? Das Herzstück eines vorbildlich leuchtenden deutschen Repertoiresystems, das manche, so Hertling, schon unter Denkmalschutz stellen wollen? Der Neid des Auslands ist uns jedenfalls sicher, das kann Schaubühnen-Leiter Thomas Ostermeier mit einem frischen Reisebericht aus Paris bezeugen. Oder ist das Ensemble vor allem ein identitätsstiftender Trupp, der den Stadttheatern auch in Berlin ihr spezifisches Profil verleiht? Oder verhält es sich mit dem Ensemble am Ende wie mit der Liebe? Schwer, eine Definition dafür zu finden, aber wenn’s das Wahre ist, erkennt man es schon?

In diesem Geiste plätschert die Diskussion unaufgeregt dahin. Es wird über Fluch und Segen von Mitbestimmungsmodellen sinniert (wie an Philipp Harpains Grips Theater noch immer praktiziert) und über die Frage referiert, welcher Theaterleiter den angestellten Schauspielern Verträge mit nur zwei Rollen pro Spielzeit erlaubt.

Annemie Vanackere bekennt sich dazu, einen Ensemblebegriff für ihr HAU gar nicht reklamieren zu wollen, sondern stattdessen auf ein Repertoire zu setzen, das die freien Gruppen liefern. Gorki-Intendantin Shermin Langhoff merkt an, dass unter ungünstigen politischen Voraussetzungen die Mittel für solche Compagnien im Zweifelsfall auch schnell mal gestrichen werden können. Ulrich Khuon vom DT fokussiert sich derweil auf den philosophischen Überbau und orakelt: „Das Hauptproblem dieser Diskussion und unseres Lebens ist doch: der wesentliche Teil bleibt unsichtbar“. Und Oliver Reese schließlich, dienstjunger Intendant des Berliner Ensembles (sic!), hat irgendwann genug davon, dass dauernd Begriffe wie „Utopie“ oder „Vision“ durch den Lautsprecher flattern und nagelt die Debatte in erfrischendem Pragmatismus auf Vertragstexte runter: Er habe laut Arbeitspapier das BE als „Ensembletheater“ zu führen und 28 Stellen zu besetzen, das bedeute doch schließlich was, Punkt.

Unfaire Ressourcenverteilung

Apropos. Wie sieht’s eigentlich aus an der Volksbühnen-Front? Das Dercon-Haus wird auf dem Podium von Marietta Piekenbrock vertreten, der Programmdirektorin, die vor allem durch blumige Einlassungen zu „Künstlerfamilien“ und „tribalen Strukturen“ auffällt und allen Ernstes erklärt, nach Lage der Dinge bräuchte sie eigentlich „ein hundertköpfiges Ensemble“ am Haus – weil ja all diese hochspezialisierten Künstlerpersönlichkeiten dort tätig seien. „Ich kann doch einem Boris Charmatz kein Schauspielensemble anbieten!“ Tatsächlich sind derzeit drei von zwölf Schauspielpositionen besetzt, zwei weitere Verträge seien in Verhandlung, berichtet Piekenbrock nach energischer Nachfrage durch Oliver Reese, mit Tänzer Frank Willens und Aktionskünstlerin Anne Tismer. Sie sagt auch: „Wir werden uns Zeit lassen, unser Ensemble zu bilden.“

Interessant. Shermin Langhoff, die in nur einem Jahr und mit einem verschwindend geringen Etat das Gorki-Theater neu aufstellen musste, ist nicht die Einzige, die sich über die ungleiche Verteilung der Ressourcen Zeit und Geld seitens der Kulturpolitik wundert. Ulrich Khuon schließlich bringt in einem bemerkenswert deutlichen Statement das eigentliche Problem auf den Punkt: nämlich, dass der offensichtliche Systemwechsel an der Volksbühne nie offen benannt, sondern „von allen Seiten verschleiert“ worden sei. So findet diese Diskussion die Antwort auf ihre titelgebende Frage schließlich im Gegenbeispiel. Was ist kein Ensembletheater? Die Volksbühne.

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