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Vierzig Minuten Applaus. Frank Castorf mit seinem Publikum.
© dpa

Ende der Ära Castorf: Das Ende vom Abschied

Zum Finale der Ära Castorf wird an der Volksbühne gefeiert, mit „Baumeister Solness“ und Open-Air-Party im Regen.

Eigentlich hielt man sich nach den letzten Volksbühnen-Wochen ja schon für einigermaßen endspielgestählt: Jeden Abend eine Derniere am Rosa-Luxemburg-Platz, jeden Abend stehende Ovationen, Jubel, Abschiedstränen.

Aber am Ende hat all das Training nichts genützt. Als die Volksbühne am Samstagnachmittag tatsächlich ihre allerletzte Vorstellung der Ära Castorf spielt, brechen noch einmal sämtliche Dämme – auf der Bühne wie im Zuschauerraum. Auf dem Programm steht natürlich Henrik Ibsens „Baumeister Solness“, jenes VertigoDrama eines alternden Architekten, das Frank Castorf bereits 2014 als lässig-ironisches Selbstporträt inszeniert hatte. Parallelen gibt es ja zuhauf zwischen dem Stadtplaner, der seine Ablösung fürchtet, und dem Volksbühnen-Intendanten. Zumindest an einem Haus, das mit seiner (Selbst-)Ironie und dem luzide-nonchalanten Ineinander von Kunst und Leben bis zuletzt Maßstäbe gesetzt hat.

Geteilte Lebenszeit

Die Glücklichen, die Karten bekommen haben, saugen das alles noch einmal regelrecht auf, bevor es unwiderruflich weg ist. Der Unterschied ist ja: Normalerweise sieht man im Theater mal mehr, mal weniger tollen Schauspielern in mal mehr, mal weniger tollen Inszenierungen zu. Mit den Volksbühnen-Schauspielern dagegen teilt man Lebenszeit; im konkreten Fall noch einmal vier großartige, traurige, beglückende Stunden.

Dass Frank Castorf nie zum Schluss kommt, gehört zur DNA des Hauses – und wird noch einmal mit Grandezza ausgereizt. Es will ja auch keiner weg hier, weder von der Bühne noch aus dem Saal. Viele Zuschauer haben bis zuletzt gekämpft: Die jüngste Petition mit prominenten Unterzeichnern von Dietmar Dath bis zu Hans-Thies Lehmann wurde erst vor wenigen Tagen gestartet.

Irgendwann entschweben Marc Hosemann als Solness/Castorf und Kathrin Angerer als personifizierte jugendliche Herausforderung via Hebebühne in Richtung Schnürboden – mit David Bowie: „Ground Control to Major Tom“. Wer bis dahin noch keine feuchten Augen hatte, bekommt sie jetzt.

Der Schluss nach dem Schluss

Aber es kommt noch ein Schluss. Und noch einer. Und noch einer. Zum Beispiel der, wo Angerer und Hosemann aus gediegener Zukunft auf die Volksbühnenzeit zurückblicken. „Und, was hast du so erlebt?“, will er wissen, und sie antwortet: „Ich habe einen netten jungen Mann kennengelernt. Hier, in der Volksbühne, den Nachfolger von Frank“. Diese Art Humor beherrschen auch nicht alle Theater.

Als es dann irgendwann doch vorbei ist, kommen sie alle auf die Bühne. Die Schauspieler, die diese 25-jährige Ära geprägt haben, die Techniker, die Mitarbeiter des Hauses. Von Henry Hübchen bis zu Jeannette Spassova. Vielleicht wird man sie irgendwo wiedersehen, aber es wird nicht dasselbe sein: Die Volksbühne hat als Kraftzentrum für das Schräge, Besondere, Überdurchschnittliche gewirkt – auch als Paradigma für die anderen Theater.

Schauspieler und Publikum applaudieren sich gegenseitig, 40 Minuten lang. Ohne die Balkan-Band, die alle symbolisch aus dem Haus geleitet, um auf dem Vorplatz eine Open-Air-Party zu feiern, hätten sie wahrscheinlich nie aufgehört. Draußen werden dann – nach dem Abbau der „Ost“-Lettern und des Räuberrads – als letztes Wahrzeichen auch die Volksbühnenfahnen eingeholt. Kultursenator Klaus Lederer distanziert sich in einer kurzen Rede noch einmal von der Entscheidung seiner Vorgänger, verschenkt Weinflaschen, beschwört mit Heiner Müller das Potenzial des Theaters als „Störfaktor“ und tanzt und singt später mit Alexander Scheer und Co. Das Volksbühnen-Ensemble rockt auch die letzte Party.

Zorn ist nicht immer Wut

Frank Castorf hält ebenfalls eine kurze Rede, philosophiert nonchalant über die Differenz zwischen „Zorn“ und „Wut“, dankt erst seinen Feinden, dann seinen Freunden und verteidigt noch einmal den Radabbau. „Ein Rad hat sich zu bewegen“, sagt er, und überhaupt habe das Räuberrad seit jeher als Signal gegolten: „Achtung, hier lauert Gefahr“. Dann wünscht der Hausherr „uns allen einen symbolischen Abend mit viel Regen“ - der auch aufs Stichwort einsetzt. Die lange Tafel entlang der Rosa-Luxemburg-Straße verschwindet unter Schirmen.

„Soll jetzt wirklich Schluss sein?“, hatte Angerer Hosemann beim gefühlt siebten der zehn „Solness“-Schlüsse gefragt. Darauf er: „Ja klar!“ Und sie: „Aber wir haben doch noch so viel Bonusmaterial!“ Vermutlich hätte die Castorf-Volksbühne noch viel zu erzählen gehabt.

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