Starschauspieler und Intendant im Interview: Ulrich Matthes und Ulrich Khuon: Spielt lauter!
Das Deutsche Theater Berlin, ein weites Land: Schauspieler Ulrich Matthes und Intendant Ulrich Khuon unterhalten sich über die hauptstädtischen Bühnen, die Qualität von Ensembles – und das Verhältnis zur Kritik.
Dass Theaterleute öffentlich über Kritiker reden, ist eine Seltenheit. Hier geschieht es, im Gespräch mit Ulrich Matthes und Ulrich Khuon über das Deutsche, aber auch das deutsche Theater, das nach seiner Mitte sucht. Die Idee zu dem Treffen entstand nach einer Premiere: Warum nicht einmal offen miteinander sprechen statt immer nur hinter den Kulissen oder in der Kantine, mit einem Bier bewaffnet? Das Interview im Intendantenzimmer fand bei Kaffee und Wasser statt.
Herr Khuon, Herr Matthes, wie fühlen Sie sich von der Berliner Theaterkritik behandelt?
ULRICH MATTHES: Interessante Frage! Das insinuiert ja, dass wir uns nicht so gut behandelt fühlen müssten!
Ihre Kollegen, die Hausregisseure Stephan Kimmig und Andreas Kriegenburg, haben sich in Interviews teils bitter beklagt. Tenor: „In Hamburg war die Stimmung sehr schön, hier in Berlin hat es das Feuilleton in kürzester Zeit geschafft, dass man sich nicht mehr so auf die Premieren freut. Da gibt es viele Versuche, uns anzupissen.“
MATTHES: Solche Äußerungen würden Sie von mir nie zu hören bekommen. Nicht weil ich ein besserer Mensch bin als Kriegenburg oder als Stephan, sondern weil ich an Pauschalurteile wie „die Kritik“ oder „die Stimmung in Berlin“ nicht glaube. Über Kritiken von Ihnen beiden zum Beispiel habe ich mich schon gleichermaßen sehr gefreut und sehr geärgert. Das halte ich für normal.
Wir auch.
MATTHES: Die Berliner Kritik ist – bis zu diesem Punkt würde ich mich pauschal vorwagen – hart, sehr selbstbewusst und manchmal ein bisschen zu kulturpolitisch. In der Mehrzahl finde ich sie okay.
Herr Khuon, Sie haben vorher als Intendant in Hannover und in Hamburg große Erfolge gefeiert. Wie empfinden Sie die Atmosphäre in der Stadt?
ULRICH KHUON: Ich verstehe schon, dass Stephan Kimmig oder Andreas Kriegenburg, der in München gerade Opernregisseur des Jahres geworden ist, Mühe haben mit so einer Breitseite an Kritik. Die dürfen das natürlich so subjektiv sehen. Berlin stellt unglaublich viele Theatererfahrungen bereit, sowohl aktuelle als auch historische. Diese Stadt ist wie ein Feinschmeckerparadies. So kommt es mir manchmal auch in den Kritiken vor: Wenn ich jeden zweiten Abend ein Spitzenrestaurant beurteilen soll, ist das natürlich anstrengend.
Also, es ist schon auch mal eine Aufführung dabei, die sich eher nach Kantine anfühlt oder nach ...
MATTHES (lacht): ... Würstchenbude.
KHUON: Ich wollte ja nur sagen, dass Sie hier sehr viel ins Theater gehen müssen – oder wollen. Das ist etwas anderes, als wenn Sie in Stuttgart oder Frankfurt Theaterkritiker sind. Und das hat auch Konsequenzen für die Erwartungshaltung.
Sicher. Andererseits ist es ja nicht so, dass Berliner Kritiker sich grundsätzlich nicht begeistern ließen. Zuletzt etwa vom postmigrantischen Maxim Gorki Theater.
MATTHES: Die Begeisterungsfähigkeit wird natürlich auch immer dann entzündet, wenn es etwas Neues gibt. Und zwar – ich spreche jetzt konkret vom Gorki-Theater – etwas wirklich ungewöhnliches und grundsätzlich auch erst mal sympathisches Neues. Da sind die Vorschusslorbeeren enorm, was ich in keiner Weise kritisiere. Ich verfolge dieses Projekt auch mit Sympathie! Es gibt aber einen wesentlichen Punkt, der die anderen großen Berliner Häuser von uns unterscheidet: Gorki, Schaubühne, Berliner Ensemble und Volksbühne haben jeweils klare Marken. Wir nicht.
Das müssen Sie uns erklären!
MATTHES: Es gibt bei uns nicht diesen Stempel: die Postmigranten, der interessant gepflegte Realismus, das Museum oder die Dekonstruktionsanstalt. Und für mich als Schauspieler an diesem Haus ist es großartig, den unterschiedlichsten Ästhetiken, Spielweisen und Neugierden von Regisseuren ausgesetzt zu sein. Für den Blick von außen macht es die Sache natürlich deutlich schwieriger.
Für uns ist die Marke „DT“ ziemlich klar, zumindest historisch: das größte und stärkste Haus am Platz, auch das mit den höchsten Zuschüssen!
KHUON: Klar, das muss man annehmen. Aber „das stärkste“ ist schwerer zu beschreiben als andere Profile. Dabei gibt es schon etwas Markantes: Da ist zunächst einmal das stärkste Ensemble. Zumindest wäre das die Sehnsucht oder das Ziel. Ich habe mit gut der Hälfte aus dem Ensemble meines Vorgängers Bernd Wilms weitergearbeitet, dann kam ein Drittel aus Hamburg dazu und dann noch einige ganz Neue. Daraus so eine Art widerspruchsreiche Einheit zu formen, ist natürlich etwas anderes, als wenn man mit einer komplett neu zusammengesetzten Gruppe beginnt.
Herr Matthes, ist die Ensemble-Fusion aus Ihrer Sicht gelungen?
MATTHES: Das war ein Prozess, der am Anfang tatsächlich noch ein bisschen hakte. Das war spürbar. Aber inzwischen ist er vollzogen. Ich sage das mal so knackig: Ich halte unser Ensemble in der Breite mit Abstand für das beste dieser Stadt. Wenn ich mir meine Kollegen angucke, dann finde ich da eine Qualität, die in der Form an keinem anderen Berliner Theater vorhanden ist!
Sieht das der Intendant genauso?
KHUON: Ja. Natürlich gibt es auch in den anderen Häusern herausragende Schauspielerinnen und Schauspieler. Aber gerade wenn man an Ensemble-Stücke wie „Demokratie“, „Wienerwald“ oder „Aus der Zeit fallen“ denkt, wo es nicht darauf ankommt, einzelne Spitzen zu präsentieren, dann gelingt uns das schon außergewöhnlich gut. Das würde ich auch über Berlin hinaus in Anspruch nehmen.
Für das Ihrer Ansicht nach „beste Ensemble der Stadt“ ...
MATTHES: ... in der Breite, wohlgemerkt, in der Breite ...
... war das DT in den letzten fünf Jahren beim Berliner Theatertreffen aber extrem unterrepräsentiert!
MATTHES: Ich spreche ja auch vom Ensemble. Beim Theatertreffen werden doch im Wesentlichen Regiearbeiten gewürdigt! Ich habe mich schon oft mit Kritikern unterhalten, die mir sagten: Was ihr da als Schauspieler macht, ist ja großartig, das ist ja unbenommen. Da wird man dann quasi mit einem Nebensatz so weggefrühstückt. Aber die Aufführung insgesamt sei ja konzeptionell, inszenatorisch eher konventionell.
KHUON: Ich finde auch, dass beim Theatertreffen in erster Linie Konzepte oder starke Inszenierungen honoriert werden.
Laute Ideen für eine laute Stadt
Gut, sprechen wir über Konzepte!
KHUON: Unsere Themen: Herrschaft, Gewalt, Demokratiefähigkeit, die politisch aufgeladenen Fragen nach dem kriegerischen Zustand unserer Gesellschaft, dieses Verteidigen einer intakten Insel – all dies haben wir seit dieser Spielzeit lauter und deutlicher nach außen kommuniziert. Das ist auch richtig in einer Stadt, die insgesamt sehr laut ist.
Sie werben neuerdings mit auffälligen Plakatmotiven.
KHUON: Das hat mit der Lautstärke Berlins zu tun. Wo wir stehen, kann ich selbst nicht beurteilen, dafür gibt es Kritiker und ein Publikum. Aber auf jeden Fall ist es auch ein Weg des Zuhörens! Das haben andere vor mir auch erlebt. Die haben dann halt irgendwann aufgegeben oder sind so lange geblieben, bis sie entweder akzeptiert waren oder – was weiß ich – untergegangen sind.
Sie haben Ihren Vertrag vorfristig bis 2019 verlängert.
KHUON: Wir sagen ja immer: Wir machen Theater für diese Stadt. Und damit die Stadt überhaupt hören will, was man zu ihr zu sagen hat, muss man auch in sie hineinhören. Von außen auf Berlin zu blicken und zu glauben, man wisse, wie die Stadt tickt, ist ein Irrtum! Den habe ich nie begangen. Das hat mit einer differenzierten Denk- und Betrachtungsweise zu tun, die manche dann als Vorsicht bezeichnen oder als was auch immer.
Herr Matthes, was sagen Sie als einziger gebürtiger Berliner in der Runde: Braucht man hier die sprichwörtliche große Klappe, um gehört zu werden?
MATTHES: Ich habe schon mit einigen Regisseuren gearbeitet, die diese große Klappe hatten. Das macht die Arbeit nicht leichter. Deshalb finde ich es erst mal angenehm, dass Uli Khuon sie so gar nicht hat. Aber natürlich ist in Berlin auch der Event gefragt, das Besondere, das dann Stadtgespräch wird. Das ist im besten Fall eine tolle Aufführung, zum Beispiel von Jürgen Gosch oder von Herbert Fritsch. Nur machen diese Highlights nicht den Hautgout, die Ausstrahlung eines Theaters aus, sondern der tägliche Spielplan. Und da habe ich den anderen Häusern gegenüber überhaupt keine Komplexe. Ich bin ja jemand, der sich wirklich sehr viel anschaut.
Halten Sie unsere Wahrnehmung, dass es derzeit viele passable, mitunter auch gute Arbeiten gibt, aber kaum wirklich herausragende Inszenierungen, für eine déformation professionnelle?
MATTHES: Nein, das ist auch mein Eindruck.
Woran liegt das?
MATTHES: Ich glaube, wir sind in einer Phase, in der das Theater sich besinnt. Man versucht sich erneut der Tradition des Literaturtheaters und der Schauspielerpersönlichkeit zu versichern, weiß aber auch, dass man den Weg der Performance schon relativ weit gegangen ist. Die Frage ist, wie man das jetzt zusammenkriegt.
KHUON: Man kann das aber auch mal aus einer anderen Perspektive betrachten! Wir sind ja ungefähr achtzig Abende im Jahr unterwegs. In Deutschland, aber auch in Peking, Buenos Aires, Santiago de Chile, Paris, Moskau, Wien. Dort gibt es also ein Interesse, von unserer Arbeit zu profitieren. Da spürt man einen neugierigeren, im positiven Sinne erregteren Blick, als Sie ihn jetzt beschreiben.
Neugier hin oder her: Wir beobachten eine starke Tendenz zur Verkleinerung in jeder Hinsicht. Symptomatisch: Stephan Kimmigs Antiken-Inszenierung „Ödipus Stadt“ mit Ihnen, Herrn Matthes, als Ödipus, die in zweieinhalb Stunden durch den Macht-, Mord- und Totschlagszyklus der Labdakiden rast. Normalerweise sind das vier abendfüllende Tragödien.
KHUON: Ich fand es gerade gut, dass der große Bogen so konzentriert erzählt wird!
Die Fachzeitschrift „Theater heute“ schrieb sinngemäß, das sei Theater im Fernsehformat – wobei man nicht dem Fernsehen zu nahe treten wolle.
MATTHES: Ganz gleich, ob man diese Aufführung – so wie ich – im Einzelnen für super geglückt hält oder nicht: Mit den Zuschauern finden hinterher endlose Gespräche über Politik statt. Egal, ob das Studenten sind, alte Schaubühnen-Gucker oder die Bundeskanzlerin und ihr Mann.
Schön, wenn es so ist und die Bundeskanzlerin sich angeregt fühlt! Wir bleiben trotzdem dabei: Wir sind mit vielen Theaterabenden schneller fertig, als uns lieb ist.
MATTHES: Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Theater nicht mehr so groß ist wie früher (unterbricht sich und lacht): Oh Gott, jetzt rede ich schon wie ‚Opi erzählt vom Krieg‘!
Erzählen Sie doch!
MATTHES: Zum einen sind die möglichen Ablenkungen enorm. Zum anderen hat das Theater aber selbst in toto tatsächlich diese politische Kraft nicht mehr.
Warum nicht?
KHUON: Botho Strauß hat schon in den siebziger Jahren gesagt, dass das Theater ein gewundenes Instrument ist, in das wir mit unglaublicher Kraft hineinblasen, und manchmal kommen relativ leise oder schwache Töne dabei heraus. Die Wahrnehmung, dass man dieses komplexe System mit sehr viel Energie befeuert und dann halt unterschiedliche Ergebnisse sichtbar werden, ist wohl eine Dauererfahrung. Gesellschaftlich ist es zurzeit einfach so, dass wir viele globale, lokal kaum zu beeinflussende Problemherde haben. Grundsätzlich gibt es zwar viele Fragestellungen, denen wir relativ rätselnd gegenüberstehen, die wir aber auch in Verbindung zu uns sehen: die Klimakatastrophe, der Finanz-Crash, religiös aufgeladene Politik, auf die man sehr schwer mit umfassenden schlüssigen Erzählungen antworten kann. Wir müssen die großen Narrative neu erfinden.
MATTHES: Man kann doch diese Dringlichkeit nicht herbeizaubern! Warum eine Aufführung manchmal gelingt und manchmal nicht, das ist einfach ein großes Mysterium des Theaters! Gerade probieren wir mit der Regisseurin Jette Steckel „Das weite Land“ ...
... Arthur Schnitzlers Tragikomödie über die Affären des Fabrikanten Hofreiter und seiner Frau Genia, die Mitte Dezember Premiere haben wird ...
MATTHES: ... und wir reden uns die Köpfe heiß, wie man diese Probleme sich verfehlender, verletzender, demütigender, liebender Menschen von vor 100 Jahren für heute relevant bekommt.
Das glauben wir Ihnen bedingungslos.
MATTHES: Und wir haben – dafür kann ich mich verbürgen – alle ein Höchstmaß an Willen, daraus eine dringliche und Sie betreffende Aufführung zu machen! Ob's gelingt – wie gesagt: ein Mysterium. Und Geschmackssache (lacht).
Das Gespräch führten Christine Wahl und Rüdiger Schaper.
Ulrich Khuon, geboren 1951 in Stuttgart, leitet seit 2009 das Deutsche Theater Berlin. Er studierte Theologie und Germanistik und kam nach einigen Jahren als Theater- und Literaturkritiker als Dramaturg ans Stadttheater Konstanz, wo er später Intendant wurde. Seine weitere Stationen als Theaterchef waren das Schauspielhaus Hannover (1993 bis 2000) und anschließend das Hamburger Thalia Theater.
Ulrich Matthes, geboren 1959 in Berlin, ist einer der herausragenden Schauspieler des Landes. Seit 2004 gehört er zum Ensemble des DT. Ursprünglich wollte er Lehrer werden, brach jedoch sein Germanistikstudium ab. Frühe Engagements führten ihn nach Krefeld und Düsseldorf, später ging es nach München, ans Wiener Burgtheater und die Schaubühne in Berlin. Ulrich Matthes ist auch im Fernsehen und Kino („Winterschläfer“, „Der Untergang“, „Der neunte Tag“) zu sehen. Zuletzt spielte er im „Tatort“: „Im Schmerz geboren“.
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