Reni Eddo-Lodge über Rassismus: „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“
Die britische Bloggerin erklärt in ihrem Buch, wie sie den Rassismus links-liberaler Kreise erlebt – und was gegen ihn helfen würde.
Nicht das Ku-Klux-Clan-Mitglied ist das größte Hindernis auf dem Weg zur Freiheit, sondern der „moderate Weiße“, schrieb Martin Luther King 1963 in einem Brief aus einer Gefängniszelle in Birmingham, Alabama. Der Weiße, der nach Ordnung ruft, wenn er für Gerechtigkeit kämpfen sollte und der paternalistisch über die Methoden und den Zeitpunkt des Befreiungskampfes der Schwarzen entscheiden will. „Lauwarme Akzeptanz ist viel verwirrender als offene Zurückweisung“, schrieb King.
Diese moderaten Weißen tummeln sich noch heute selbst in links-liberalen Kreisen. Sie machen sich lustig über „Safe Spaces“, wo Menschen of Color zusammenkommen und sich austauschen. Oder sie sind weiße Feministinnen, die in ihrem Einsatz gegen das Patriarchat partout keinen Platz für antirassistische Kämpfe sehen. Ihr Rassismus ist so subtil, dass rassistisch diskriminierte Menschen sich ständig Paranoia und Übertreibung vorwerfen lassen müssen. Mit diesen Weißen wollte Reni Eddo-Lodge sich nicht länger auseinandersetzen. Gut fünfzig Jahre nachdem King seinen Brief aus dem Gefängnis schrieb, veröffentlichte die britische Journalistin den Essay „Why I'm No Longer Talking to White People About Race“ auf ihrem Blog. Die damals 24-Jährige beschrieb, wie emotional erschöpfend es ist, ungläubige Weiße immer wieder von der Existenz des strukturellen Rassismus überzeugen zu müssen. Der Blogpost wurde millionenfach geteilt und löste eine hitzige Debatte aus. Eddo-Lodge hat daraufhin ein ganzes Buch geschrieben, das nun mit dem Titel „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ auch auf Deutsch erschienen ist (Aus dem Englischen von Anette Grube. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2019.263 Seiten, 18 €).
Mit einfachen Worten erklärt Eddo-Lodge, was struktureller Rassismus ist und wie er sich auswirkt. Es handele sich dabei um „Dutzende, Hunderte, oder Tausende Menschen mit derselben Voreingenommenheit, die sich zu einer Organisation zusammenschließen und dementsprechend handeln“. Rassismus sei historisch, kulturell und institutionell fest im System verankert. Er habe also nichts mit den moralischen Werten Einzelner zu tun, sondern mit gesellschaftlicher Macht – weißer Dominanz zugunsten einer falschen Harmonie.
Reni Eddo-Lodge konzentriert sich in ihrem Buch vor allem auf Geschichte und Politik ihres Heimatlandes Großbritannien. Doch viele ihrer Erkenntnisse lassen sich leicht in den deutschen Kontext übertragen. Etwa der Fall des schwarzen Studenten Stephen Lawrence, der 1993 aus rassistischen Motiven erstochen wurde. Die Londoner Polizei ließ Verdächtige wieder frei, später wies man ihr institutionalisierten Rassismus nach. Erst 2012 wurden zwei der fünf mutmaßlichen Täter für den Mord verurteilt. Die Parallelen zum systemischen Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden sind offensichtlich: von den NSU-Ermittlungen über Hans-Georg Maaßen bis zum Tod von Oury Jalloh.
Rassismus durchzieht alle Bereiche des Lebens
Eddo-Lodge kritisiert auch den neoliberalen Gedanken der Leistungsgesellschaft. Anhand vieler Statistiken zeigt sie, dass Menschen of Color seit ihrer frühesten Kindheit strukturell benachteiligt werden und dass harte Arbeit für viele eben nicht zum Erfolg führe. Rassismus ist systemisch verankert, und weiße Menschen profitieren von diesem System, ob sie wollen oder nicht. Die Abwesenheit von negativen Folgen des Rassismus nennt sie „White Privilege“. Damit meint Eddo-Lodge „die Tatsache, dass deine Hautfarbe, wenn du weiß bist, den Verlauf deines Lebens mit großer Sicherheit positiv beeinflussen wird. Und du wirst es wahrscheinlich nicht einmal bemerken.“
Ein Manko dieses ansonsten starken Buches ist die oft sehr ungenaue Übersetzung ins Deutsche, insbesondere die Entscheidung, das englische Wort „Race“ mit „Hautfarbe“ zu übersetzen. Sicher spielen Assoziationen mit der nationalsozialistischen Ideologie hierbei eine große Rolle. Doch dem Konzept von „Race“ als politischer und kultureller Kategorie ist Rassismus schon inhärent. Dies geht bei Übersetzungen wie „Hautfarbe“ oder „Ethnizität“ verloren. Die bessere Lösung wäre, den Begriff „Race“ mit seiner vielschichtigen Bedeutung im Englischen zu belassen, wie das auch bei anderen Begriffen wie „White Privilege“ geschehen ist.
Trotz dieser Ungenauigkeit verdeutlicht Eddo-Lodge in ihrem wichtigen Buch anschaulich, wie Rassismus alle Bereiche des Lebens durchzieht – und dass auch „gute, wohlmeinende Menschen“ rassistisch sein können. Dafür braucht es weder Springerstiefel noch die KKK-Kapuze. Dass Weiße sich ihre Vorteile und Vorurteile endlich selbst eingestehen, wäre der erste Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft.
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