Arrogant, überheblich und zynisch: Alice Schwarzer missbraucht das Kopftuch
Der Feminismus in Deutschland hat sich weiterentwickelt. Alice Schwarzer sollte das Kopftuch nicht für ihre eigene politische Agenda einspannen. Eine Kolumne.
Ich trage kein Kopftuch. Ich möchte es nicht tragen. Und vermutlich werde ich es auch niemals tun. Das muss ich vorab klären. Wer mich kennt, weiß, dass ich mich kaum noch zu muslimischen Themen äußere. Ich habe zu oft die Erfahrung gemacht, dass es dabei nicht mehr um das Inhaltliche geht, sondern darum, auf der einen Seite seinen Religionshass und auf der anderen Seite seine Religionsbesessenheit für alle sichtbar vor sich her zu tragen. Mein Glaube ist etwas sehr intimes. Weder lasse ich mir von der einen Seite vorschreiben, wie ich ihn zu leben habe noch von der anderen vor ihren Karren spannen.
Ich breche meinen Grundsatz, weil mich etwas nicht loslässt. Es ist eine kurze Szene, die sich vor der Goethe-Universität in Frankfurt abgespielt hat. Die Uni veranstaltete eine Diskussion zum Thema „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“, zu der auch Alice Schwarzer eingeladen war.
Läge Alice Schwarzer etwas an Frauen, würde sie Allianzen suchen
Vor der Veranstaltung demonstrierten Frauen – darunter eine mit Kopftuch – gegen Schwarzers ablehnende Position. Als Schwarzer die Frau mit dem Kopftuch während der hitzigen Situation anfasst, verbittet sich die Frau das. Daraufhin hebt Schwarzer die Arme und ruft zynisch: „Ohhhhh, ich dachte, nur ein Mann darf Sie nicht anfassen.“
Diese wenigen Sekunden haben bei mir, die mit dem Kopftuch weder religiös, noch politisch, noch modisch etwas anfangen kann, großes Unbehagen ausgelöst. Da ist eine erwachsene Frau, die für ihr Kopftuch einsteht, klar demonstriert, dass sie es freiwillig trägt. Aber Schwarzer behandelt sie, als sei sie fremdbestimmt. Das zeigt auf schmerzhafte Weise, wie wenig Respekt Schwarzer vor der Selbstbestimmung der Frauen hat, für die sie ja angeblich kämpft. Sie kommt mir mittlerweile so vor, wie unsere alte Nachbarin in Duisburg, die immer, wenn ihr unser Verhalten nicht passte, sagte: „In Deutschland machen wir das aber so.“
Nun bin ich eine Frau, die sich weder von ihrem muslimischen Vater vorschreiben lassen würde, ein Kopftuch zu tragen noch von ihrem Schweizer Lebensgefährten, mit der traditionellen Gotthelftracht seines Berner Kantons herumzulaufen. Beiden würde ich den Vogel zeigen und sagen: „Tragt es doch selber, wenn es euch so sehr gefällt.“ Ich weiß aber, dass nicht alle Frauen den Mut, die Möglichkeit und die Unabhängigkeit haben, sich gegen den Zwang ihrer Familien und Ehemänner zu stellen. Ich weiß, dass viele muslimische Frauen nicht die Freiheit haben, sich für oder gegen das Kopftuch zu entscheiden. Es bricht mir das Herz, wenn ich mit Lehrerinnen spreche, die mir erzählen, dass zehnjährige Mädchen von ihren Vätern dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen.
Ich kann also für ein Kopftuchverbot sein und trotzdem die Entscheidung einer erwachsenen Frau respektieren, wenn sie es tragen möchte. Läge Alice Schwarzer wirklich etwas an den Frauen, würde sie Allianzen suchen, die sie beim Kampf gegen die Unterdrückung der Frau unterstützen. Statt sich aber mit feministischen Frauen, ob mit oder ohne Kopftuch zu verbünden, um gemeinsam für Selbstbestimmung zu kämpfen, bringt sie Mitstreiterinnen mit ihrer Arroganz, Überheblichkeit und ihrem Zynismus gegen sich auf.
Genau wie die Islamisten, denen sie das gerne vorwirft, missbraucht sie das Kopftuch als politisches Symbol für ihre eigene Agenda. Selbst wenn Alice Schwarzer es nicht wahrhaben möchte, auch der Feminismus hat sich in Deutschland weiterentwickelt. Er ist heute so vielfältig, wie es die Frauen sind, die in diesem Land leben.
Hatice Akyün