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Martin Luther King Jr. 1964 bei einer Pressekonferenz in New York.
© dpa

Vor 50 Jahren wurde der Bürgerrechtler ermordet: Martin Luther Kings Traum wirkt bis heute nach

Am 4. April 1968 wurde in Memphis der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. ermordet. Was sein Tod für die Achtundsechziger bedeutete, und warum die Welt Redner wie ihn dringend nötig hätte.

Der Amerikanische Traum war für das 19. und 20. Jahrhundert noch die Vorstellung von grenzenloser Freiheit und möglichst ebensolchem Wohlstand. Martin Luther King Jr. aber hat diese im Pionierzeitalter und den Sehnsüchten der Millionen Einwanderer gründende Vision nicht nur in seine eigene Epoche geholt. Der aus Atlanta stammende afroamerikanische Pastor und Bürgerrechtler hat den Traum (an)verwandelt, hat ihn, obwohl er von Amerika sprach, zugleich universalisiert und mit seiner Jahrhundert-Rede unter dem mehrfach wiederkehrenden Motto „I have a dream“ am 28. August 1963 vor dem Lincoln Memorial in Washington in eine bis heute andauernde Gegenwart geholt.

Aktuell ging es damals, vor 55 Jahren und einer Viertelmillion Teilnehmern, beim „Marsch auf Washington“ um gleiche Rechte für Kinder und Erwachsene aller Hautfarben in Schule, Beruf und und gesellschaftlicher Teilhabe. Die von King angeführte afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung kämpfte vor allem gegen die in einigen US-Südstaaten faktisch noch immer praktizierte Apartheid und offene Benachteiligung schwarzer Amerikaner.

Kings Traum hingegen war, dass sich die Nachfahren „der Sklavenhalter und der Sklaven brüderlich“ die Hände reichen mögen, dass Kinder aller Rassen und Religionen gleichberechtigt und friedlich miteinander aufwachsen sollten. Der Prediger verband dabei die von der Französischen Revolution und dann den US-Verfassungsvätern geprägten sozialen und humanen Ideale auch mit einer Vision der gelebten Ökumene.

FBI-Chef J. Edgar Hoover verdächtigte King als Kommunist

Zwei Tage nach dieser die Welt weit über Amerika hinaus elektrisierenden Rede bezeichnete ein damals naturgemäß weißer FBI-Mitarbeiter jenen Martin Luther King in einem internen Memorandum als „den gefährlichsten Neger dieser Nation“ und er zog sofort eine Verbindung zum „Kommunismus und der nationalen Sicherheit“. FBI-Chef J. Edgar Hoover verdächtigte King gleichfalls als Kommunist und nannte ihn den „notorischsten Lügner des Landes“. Knapp fünf Jahre später, am 4. April 1968, wurde King in Memphis, Tennessee, dann von einem Rassisten erschossen.

Vier Jahre zuvor, im April 1964, schien die Bürgerrechtsbewegung mit dem vom Kongress verabschiedeten Civil Rights Act schon auf der historischen Siegerstraße zu sein. Und vierzig Jahre nach Kings Ermordung wurde mit Barack Obama der erste Afroamerikaner Präsident der USA. Obama hat sich selbst häufig auf Martin Luther King berufen. Amerika und die Welt schienen so um einiges weiter zu sein.

Das Attentat auf King wirkte auch in Europa wie ein Schock

Doch schon während Obamas beiden Amtszeiten sind die Gespenster der Vergangenheit wieder auferstanden. Rassisten kamen als Populisten, weiße Polizisten erschossen mehrfach unbewaffnete junge Afroamerikaner (Stichwort: Ferguson), es gab erneut „race riots“ – und heute regiert Donald Trump. Wer nun in einer globalen Welt voll wachsender religiöser und kultureller Intoleranzen die berühmte „I have a dream“-Rede auf Youtube wieder sieht und hört, bekommt ziemlich leicht feuchte Augen.

Tatsächlich wirkte das Attentat auf King auch in Europa wie ein Schock. Es war das Jahr 1968, mit dem sich ein halbes Jahrhundert später ja immer noch ein Signal des revolutionären oder zumindest kulturevolutionären Aufbruchs verbindet. Der eigentliche Aufbruch aber fand in den Jahren zuvor statt. Und 1968 markierte schon das vielfach blutig eingefärbte Ende des radikalen Utopismus und rosaroten Optimismus.

Die Ermordung Martin Luther Kings am 4. April um 18 Uhr 01, von der man in Europa durch den Zeitunterschied erst am folgenden Morgen erfuhr, wurde zum fatalen Fanal. Eine Woche später fielen auch in Berlin Schüsse und verletzten lebensgefährlich den Studentenführer Rudi Dutschke, die deutsche Symbolfigur der Neuen Linken. Bald darauf geriet Frankreich im „Pariser Mai“ in den Ausnahmezustand, doch nach wenigen Tagen brach die Revolte zusammen. Und noch bevor russische Panzer im August den „Prager Frühling“ niederwalzten, erschoss ein Attentäter im Juni 1968 in Los Angeles Robert Kennedy, den anderen, weißen Hoffnungsträger der durch den Vietnamkrieg und Bürgerunruhen zerrissenen USA.

Das Jahr 1968 war auch ein blutiges

So markiert 1968 auch eine Blutspur. Angefangen mit dem Mord an MLK, kaum fünf Jahre nach dem Mord an JFK. Vor Robert Kennedy war ja schon der noch berühmtere Bruder das Opfer gewesen.

In Deutschland, später, wurde das Pathos der bis ins Visionäre ausgreifenden politischen Rede lange Zeit recht schief angesehen. So, als wirke Helmut Schmidts Diktum nach, dass jeder, der Visionen habe, zum Arzt gehen solle. Freilich hatte Schmidt, der sonst durchaus sprachbewusst formulierte, Visionen eher mit Halluzinationen verwechselt. Denn Visionen haben die Menschheit im Guten wie im Schlechten immer angetrieben. Womöglich verdankt sich einer ersten Vision sogar der aufrechte Gang. Zumindest schärft der erhobene Kopf den Blick voraus.

Nach zwölf Jahren redetechnisch stocknüchterner, absolut visionsfreier Merkel-Kanzlerschaft wächst gerade wieder das Interesse an, das Bedürfnis nach etwas mehr mitreißender und perspektivisch geweiterter Rede.

Kings Rede gleicht einer zweiten Bergpredigt

Natürlich birgt dies zugleich die Gefahr des Demagogischen. Doch eine politische Vision kann durchaus Blickschärfe und Gedankenklarheit einbegreifen und hat nichts notwendig zu tun mit Schwärmertum, polemischem Geschrei oder dumpfdunkler Pathetik. Auch John F. Kennedy gab dafür ein Beispiel.

JFK und MLK, die beiden vor 55 und vor 50 Jahren ermordeten Protagonisten eines erneuerten, bürgerrechtlich gewandelten Amerikas, haben mit ihren beiden wohl größten, visionärsten Reden die Welt real verändert. Als Kennedy im Mai 1961 als Antwort auf den ersten russischen Kosmonauten verkündete, mit den USA werde die Menschheit binnen zehn Jahren den Mond betreten, hatte er der Verwirklichung eines – gewiss nicht notwendigen, aber sehr ursprünglichen – Menschheitstraums den Weg bereitet. Und Martin Luther Kings rhetorisch glanzvolle, in ihrer fast sängerischen Rhythmik bis heute bewegenden „Dream“-Speech gab der Politik und einer zerrissenen Gesellschaft doch mindestens eine Wegweisung. Eine Deutung, hinter die auch ihre Verleugner nicht mehr unbemerkt oder wie arglos zurückkönnen. Kings emphatisch-empathische, gefühlsbewegende Bürgerrechtserklärung gleicht einer zweiten Bergpredigt – und einer neuerlichen Menschenrechtserklärung.

Man stelle sich nur für einen Moment vor, der Friedensnobelpreisträger King oder ein Nachfolger, eine Nachfolgerin würde eine solche Rede heute in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York halten. Oder als Europa-Rede in Brüssel, Berlin, Warschau, Rom oder Budapest. Man würde vielleicht staunen, wie viel mehr Mitträumer es gäbe, gerade unter den Jungen.

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