Popmusiker auf Abwegen: Wahre Größe gibt es nur schwarz auf weiß
Ob Westbam, Andreas Dorau oder Kim Gordon: Immer mehr Popmusiker veröffentlichen Bücher. Reicht das Schreiben von Songs, von Musik als künstlerisches Ausdrucksmittel nicht?
Es war im Jahr 2003, als der Hamburger Diskursrocker Kristof Schreuf beim Bachmann-Preislesen in Klagenfurt ungewohntes Terrain betrat. Schreuf las einen seltsamen, die Grenzen von Sinn und Unsinn schön abschreitenden Text mit dem Titel „Wahrheit ist das, wovon Männer gerne behaupten, dass es ihnen um sie geht“ und wies im seiner Lesung vorangestellten Porträtfilmchen darauf hin, dass es für ihn keine Unterscheidung zwischen Schriftsteller und Nicht-Schriftsteller gebe. „Anfänger beim Rocken“ sollte Schreufs damals bei Suhrkamp angekündigtes Erzähldebüt selbstironisch und auf Salinger verweisend heißen.
Das Buch ist zwar immer noch nicht erschienen. Doch es scheint, als hätte Schreuf damals tatsächlich einen Anfang gemacht, beim Schreiben halt. Er hat Schule gemacht, nicht nur in Klagenfurt, wo die Pop-Subversion durch Autoren und Autorinnen wie Peter Licht und Kathrin Passig inzwischen zum Alltag gehört, sondern auf dem Buchmarkt überhaupt. Popmusiker von heute schreiben nicht nur Texte für ihre Songs, sondern auch Bücher. War es früher – neben einschlägigen kleinen Verlagen wie Ventil oder Hannibal – vor allem der Verlag Kiepenheuer & Witsch, in dessen Programmen sich Pop und Literatur nicht ausschlossen, erscheinen heute so gut wie in jedem Literaturverlag gleichfalls Popbücher und Musikerbiografien, Romane und Autobiografien von Popmusikern. Tendenz steigend, wie das kommende Frühjahr beweist. Die Gründe für diesen Boom sind vielfältig. Auch wenn man sich zunächst fragt: Reicht das Schreiben von Songs, von Musik als künstlerisches Ausdrucksmittel nicht? Lässt sich nicht allein damit ein Alterswerk vorlegen, ein Pop-Künstlerleben Revue passieren?
Der Erfolg der Herr-Lehmann-Bücher des Element-Of-Crime-Masterminds Sven Regener dürfte zum Beispiel einer der Gründe auf der Verwerterseite sein. Einen wie Regener wünschen sich viele Verlage – das dachte man schon, als vor zwei Jahren bei Hoffmann und Campe das Romandebüt von Frank Spilker erschien, des Sängers der Hamburger Band Die Sterne. Der nächste Romanschreiber aus der Hamburger Diskursrock-Schule ist nun Jochen Distelmeyer von Blumfeld. „Otis“, so der Titel, im Übrigen der Spitzentitel bei Rowohlt dieses Frühjahr, erscheint Ende Januar und soll wohl ein Berlin-Roman sein. Der Verlag verzichtet in seiner Ankündigung auf jegliche Genre-Einordnung und liefert nur eine kurze Plot-Darstellung, verspricht aber, dass Distelmeyer „auf den ihm eigenen dichterischen Ton“ nicht verzichte.
Also Liebeslyrik, Cut-Up-Texte, Samples, Sätze wie „Sind zwei zu viel, um frei zu sein? Oder brauch ich Dich, um ich zu sein?“. Es ist doch ein großer Unterschied, einen Roman oder einen Song zu schreiben, (siehe auch: Prosa/Lyrik), wie auch das unspektakuläre, höchstens solide Romandebüt des Sterne-Musikers bewies: Gängige Popslogans, gar Witz gab es darin nicht, geschweige denn eine eigene Sprache. Zumal Spilker seltsamerweise darauf verzichtete, aus seinem Musiker- und Tourleben zu schöpfen.
Es liegt für Musiker natürlich erst mal näher, Autobiografien zu veröffentlichen. Das ist auch für die Verlage sicherer, haben doch viele Popstars einen nicht viel kleineren Bekanntheitsgrad als die vielen Fernsehprominenten, die Bücher veröffentlichen – und eine über Jahrzehnte gewachsene Fanschar wie etwa Neil Young, Bob Dylan oder Patti Smith. Auffällig aber ist, dass auch der Underground Bücher schreibt. Demnächst erscheinen Autobiografien von der „Indie-Ikone“ (wie es bei KiWi heißt) und Sonic-Youth-Musikerin Kim Gordon: „Girl in a Band“ heißt ihr Buch. Oder von dem NDW-Helden („Fred vom Jupiter“) Andreas Dorau, „Ärger mit der Unsterblichkeit“. Dorau, so der Verlag, erzählt, mit Sven Regener als Ghostwriter, „unglaubliche Geschichten aus seinem Leben“. Von seinem Leben und „über dreißig Jahre Musik, Feiern und Clubkulturen“ berichtet auch Techno-DJ Westbam in „Die Macht der Nacht“, was dann kaum noch überrascht: Die Techno- und Clubkultur gerade der neunziger und nuller Jahre ist zuletzt von allen Seiten und aus allen Kellern beleuchtet und nacherzählt worden, von Jürgen Teipel („Mehr als laut“) bis hin zum Berghain-Türsteher Sven Marquardt („Die Nacht ist Leben“).
Das Kanonisieren von Pop und bestimmten Popszenen geht also intensiv weiter. Auch für Musiker ist es da attraktiv, die flüchtigen Popmomente auf den Bühnen und den DJ-Kanzeln festzuhalten, die Dreiminuten-Single und den Club-Hit in eine Erzählung zu betten und damit zu sichern. Ein Buch hat eben doch Bestand, ist ein ganz eigener Wert.
Natürlich gehört es seit jeher zum kapitalistischen Verwertungszusammenhang von Pop und der Popmusik, stets neue Absatzmärkte zu finden, Popbücher sind da einfach ein Segment. Aber es gibt auch eine Art Pop-Prekariat: Musiker, die allein von der Musik nicht leben können. Die keine großen Stars geworden sind und sich neue Betätigungsfelder suchen, auch weil sie eine gewisse, für Verlage wieder interessante Prominenz besitzen. Hierzulande wäre da Christine Rösinger zu nennen, die inzwischen drei Bücher bei S. Fischer veröffentlicht hat. Oder wieder Frank Spilker. Seine Band existiert zwar noch und veröffentlicht auch Alben, aber die große Zeit der Sterne waren die neunziger Jahre: Warum also nicht mit Romanen Geld verdienen?
Auch Annika Line Trost lässt sich hier einreihen, Musikerin des Electronic- Punk-Duos Cobra Killer, die auch für „Bild“ und „BZ“ schreibt. Bei Fischer erscheint bald ihr Buch „75 F“ über das Leben mit einem großen Busen, „übers Erwachsenwerden, Frausein und wahre Größe“, so der Verlag. Hm, hm. Ob das lesenswert ist? Kristof Schreufs Klagenfurt-Text übrigens handelt von jemandem, der von Beruf einfach Konsument ist und weiß: „Oft hatte es sogar den Anschein, dass es ungezogen ist, genau zu sagen, welche Tätigkeiten zu einem Beruf gehören“. Das passt gut zu den multimedialen Aktivitäten vieler Musiker. Es wird wirklich langsam Zeit für Schreufs Buch „Anfänger beim Rocken“.
Gerrit Bartels
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