Berghain-Türsteher Sven Marquardt: Das Leben des Eisenmanns
Vom DDR-Underground ins Clubleben: Der Fotograf und Berghain-Türsteher Sven Marquardt hat mit "Die Nacht ist Leben" seine Lebenserinnerungen geschrieben.
Wie gut, dass in dieser Autobiografie des berühmten Türstehers des Berghains, Sven Marquardt, das Berghain nur am Rande vorkommt! So viel Berghain wie in den vergangenen Wochen war lange nicht, das geht Richtung Überdruss. Zehn-Jahres-Jubiläum, dazugehörige Jubiläumsausstellung und überhaupt: Der Techno-Club in dem ehemaligen Heizkraftwerk in der Nähe des Ostbahnhofs ist mitten in der Gesellschaft angekommen und so wichtig für Berlin wie der Bär, hat aber nichts von seiner Aura verloren, nichts von seinem Mythos, die ultimative Feier-Zentrale der Republik, wenn nicht gar der Welt zu sein.
Marquardt begnügt sich in „Die Nacht ist Leben“ mit einem Berghain-Kapitel am Ende. Darin berichtet er von seiner Tätigkeit und erzählt etwa, dass er nach zwei Jahrzehnten Türstehertätigkeit sehr genau weiß, „wer stört und wer Ärger macht und welche Gäste eine gute Mischung für die Nacht abgeben“. Und er führt kurz zu Beginn seines Buches in den Club, denn die sogenannte Halle des Berghains ist auch sein Arbeitsplatz als Künstler. Hier macht er seine Fotoshootings und hier war es die Begegnung mit einem seiner Models, einer älteren Dame mit beginnender Demenz, die womöglich zu dem Gedanken führte, als knapp über 50-Jähriger seine Erinnerungen mit der Journalistin Judka Strittmatter zu Papier zu bringen: „Ein trauriger, schmerzhafter Augenblick von schönen und traurigen Erinnerungen an Vergänglichkeit. Wie Frau Erblich so dastand, so fragil und verletzlich, das rührte mich, und ich musste kurz die Kamera weglegen.“
"Aus Pankow noch mal wegziehen? Sieht nicht so aus“
Tatsächlich hat Marquardt jenseits des Berghains genug Interessantes, überaus Lesenswertes zu erzählen. Sein Buch ist eine Mischung aus DDR-Underground-Biografie und Entwicklungs- und Künstlerroman. Geboren 1962 in Ost-Berlin als Kind eines typischen jung verheirateten DDR-Paares, der Vater Autobahnbauer, die Mutter medizinisch-technische Assistentin, wächst er in Pankow auf, wo er heute noch lebt, von ihm lapidar kommentiert: „Aus Pankow noch mal wegziehen? Sieht nicht so aus.“
Nach der Trennung der Eltern verschlägt es ihn gerade einmal ins benachbarte Prenzlauer Berg und nach Mitte. Hier taucht er im Alter von 14 Jahren „komplett in die Schwulenszene“ ab. Es beginnt ein Leben, das alles andere als DDR-typisch ist, aber selbst in der DDR-Subkultur noch speziell: Marquardt ist nicht nur homosexuell, sondern auch Punk, was ihm allein qua Aussehen Probleme mit der Polizei bereitet. Aber auch in der Schwulenszene, was ihn nun zu einer kleinen Schimpftirade gegen „Berufshomos“ ausholen lässt: „Warum muss man sich eine Regenbogenfahnen aufs Dach stecken? Und nur schwule Brötchen in schwulen Tüten beim schwulen Bäcker kaufen?“
Aber Marquardt macht auch eine Fotografie-Ausbildung, beginnt eigenständig zu fotografieren und Künstler kennenzulernen. Kurz vor der Wende wird er gar in den Verband Bildender Künstler aufgenommen, von 1987 bis 1989 fotografiert er für die DDR-Frauenzeitschrift „Sibylle“. Eine Mischung aus Morbidität, Verfall und inszenierter Schönheit zeichnet seine Arbeiten aus, und als Schauplätze seiner Aufnahmen bevorzugt er Industriebrachen- und gelände, heruntergekommene Häuser und Straßenzüge. „Unsaniert, morbide und belassen“, das ist das Berlin, das Marquardt liebt.
Bei aller Unangepasstheit ist von Politik keine Rede
Und genauso sieht auch Prenzlauer Berg in seinen Erinnerungen aus: leicht kaputt, pittoresk verfallen und menschenleer. Immer wieder weist er darauf hin, was an manchen für ihn seinerzeit wichtigen Berliner Ecken sich heute befindet, wie viele Baulücken mit Stadthäusern für reiche Zugezogene gefüllt worden sind. Aber Marquardt kennt keine Wehmut, und eine Litanei wider die Gentrifizierung anzustimmen, ist seine Sache ebenfalls nicht.
Was bei seiner Schilderung über die Jahre in der DDR auffällt: Bei aller Unangepasstheit ist von Politik keine Rede. Auch nicht davon, das Land zu verlassen, einen Ausreiseantrag zu stellen. Da fragt er sich einmal selbst überrascht: „Waren wir denn total unpolitisch? Oder war man schon politisch, wenn man Fotos machte oder ein Leben führte, das vorgesetzte Normen durchbrach“.
Es scheint, als hätte sich Marquardt damals schön eingerichtet in seinem hedonistischen DDR-Dasein, als hätte die DDR selbst noch jemandem wie ihm eine gewisse Geborgenheit vermittelt. Nach dem Fall der Mauer ist es dann auch für ihn vorbei mit der dahinschweifenden Sorglosigkeit, mit Ende 20 muss Geld und ein Lebensplan her. Die Kamera legt er erst mal weg, er verkauft Schuhe, landet aber schnell wieder dort, wo er sowieso am liebsten unterwegs war: im Nachtleben und später auf der anderen Seite, vor den Türen der Clubs.
Drogen sind das eine, womit er durch die 90er Jahre kommt, Tattoos das andere, sein „Tagebuch“. Nicht zuletzt die Dornen-Stacheldraht-Tattoos in seinem Gesicht haben ihm Namen wie „Eisenmann“ und „Tattoo-Fresse“ eingetragen. Dass Tattoos mit der Zeit unschärfer werden, ausfransen, ist ihm nur zu bewusst, entlockt ihm aber auch nur ein Achselzucken und die Aussage: „Tattoos zerfallen nun mal, genau wie wir.“ Das kann man überraschend altersweise finden – vor der Tür des Berghains sollte Sven Marquardt so einen Satz lieber nicht sagen, dann wäre der Spaß dort für viele wohl nur noch ein halber.
Sven Marquardt: Die Nacht ist Leben. Ullstein Verlag, Berlin 2014. 220 S., 14,99 €. Buchpremiere Do 14.8., 20 Uhr, Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3.
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