Blumfelds Comeback-Tour „L’ État Et Moi“: Verstärkerdämmerung
Der Angriff der Nostalgie und der Ich-Maschinen auf die Gegenwart und die übrige Zeit: Blumfelds "L'État Et Moi"-Jubiläumskonzert im Berliner Astra.
Mit der Band Blumfeld verhält es sich dieser Tage wieder einmal so, als seien nicht lange sieben Jahre seit ihrer Auflösung und offiziellen, von 1000 Tränen und nicht weniger Nachrufen begleiteteten Abschiedstour ins Land gegangen, als sei es nicht noch viel längere 20 Jahre her, da ihr zweites Album „L’ État Et Moi“ erschienen ist. Kaum hatten Jochen Distelmeyer und die zwei anderen Ur-Mitglieder der Band Eike Bohlken und André Rattay verkündet, sich zu einer „L’-État-Et-Moi“-Jubiläums-Tour zusammenzufinden, waren die Konzerte ausverkauft – und auch die langen, dieses Ereignis würdigenden Interviews geführt: „Comeback des Jahres“ und „Absolut hier und heute“ heißt es in der September-Ausgabe des „Rolling Stone“. Und in der „Spex“ ziert Distelmeyers Konterfei das Cover wie ehedem bei fast jedem neuen Blumfeld-oder-Distelmeyer-Album:„Der Apfelmann ist wieder da“.
Und wieder einmal steht die Bedeutung, die diesem Comeback beigemessen wird, das seinerzeit Bedeutende der „Diskursrock-Band“ Blumfeld und „L´ État Et Moi“, das nun abermals erschöpfend erörtert wird, in keinem Verhältnis zu der sehr simplen Geschichte über die Genese dieser Konzerttour. In Blumfeld und ihre sechs Alben ließ sich ja vom 1991er-Debüt „Ich-Maschine“ an immer viel mehr hereininterpretieren als es Distelmeyer in Interviews zugeben mochte. Die Spanne zwischen peinlicher Innerlichkeitsprosa und Pop- und Polit-Diskurs, zwischen Kitsch, Literarizität und Zitatpop hielt der heute 47-jährige von jeher bewusst weit.
Ein junger Mann hätte ihn auf der Straße auf das 20-Jahre-Jubiläum des Albums angesprochen und gefragt, ob denn da was geplant sei, so Distelmeyer nun in den Interviews. Weil es bei ihm gut passte, er Lust hatte und die Idee ein paar Tage später auch von offiziellerer Seite an ihn und die anderen rangetragen wurde, habe die Sache ihre Eigendynamik bekommen.
Blumfeld im Berliner Nachtleben-Vergnügungspark
Deshalb steht die Blumfeld-Urbesetzung nun also an diesem Samstagabend auch auf der Bühne des Astras im Berliner Nachtleben-Vergnügungspark Friedrichshain. Distelmeyer hält dann bei den Zugaben wirklich Ausschau nach jenem jungen Mann, „der dafür verantwortlich ist, das wir jetzt wieder live spielen. Melde Dich, wenn Du hier bist!“ Jochen Distelmeyer wirkt aufgeräumt, betont aufgekratzt. Ihm geht es darum, dass sein Publikum einen „tollen“ Abend hat, genauso „toll“ und „super“, wie er das alles findet. Auch der durchgebrannte Verstärker nach einem Drittel des Konzerts macht ihm keine schlechte Laune: Muss halt für ein paar Minuten unterbrochen und ein neuer aufgebaut werden. Ist halt „keep it real“, kommentiert der Blumfeld-Sänger und spielt mit seiner Band schließlich ein zweites Mal das Stück „Eine eigene Geschichte“, um den gerissenen Konzertfaden aufzunehmen (denn spontan ist auch hier nichts, alles genauestens programmiert!). Trotz der guten Laune auf der Bühne und im Publikum dürfte sich mancher Besucher gefragt haben, warum er gekommen ist und was das Ganze eigentlich soll. Dieses Konzert, diese Blumfeld-Tour ist natürlich ein weiteres Kapitel im großen Buch der 20-Jahre-Jubiläumseditionen von großen Alben der neunziger Jahre und insbesondere der konzertanten Wiederaufführungen noch größerer Alben der Rockgeschichte von Sonic Youths „Daydream Nation“ über Televisons „Marquee Moon“ bis hin zu Lou Reeds „Berlin“.
Und genauso natürlich hat der Besuch eines solchen Konzerts mit Treue und alter Zuneigung zu tun, mit der Erinnerung an früher. Man schaut hier nochmal auf den jungen Menschen, der man einst war und der Blumfeld wichtig fand (von wegen politisiertes Pop-Ich, mit der Betonung auf Ich!), und was aus ihm geworden ist. Da lässt man auch die einstigen Auftritte der Band in mitunter längst verblichenen Berliner Clubs (Jojo, Gérard Philipe, Loft, Kalkscheune) Revue passieren. Kurzum: Viel Nostalgie ist hier mit im Haus.
Die meisten der alten Blumfeld-Stücke klingen erstaunlich frisch
Um dieser Nostalgie-Falle halbwegs zu entkommen, verzichten Blumfeld zum einen darauf, „L’ Ètat Et Moi“ Song für Song nachzuspielen, es gibt dann auch Stücke von „Ich-Maschine“ und „Old Nobody“. Dem Großwerkhaften des Albums hätte eine geschlossene Aufführung allerdings viel besseren Ausdruck verliehen, inklusive des Spoken-Word-Titelstücks mit Zeilen wie „Deutschland, Deutschland spürst du mich, heut nacht da komm ich über dich“ und „Rock’n’ Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben“. Zum anderen verliert Distelmeyer kein Wort über das, was war, oder wie so manches seiner Lieder zustande kam.
Es ist nicht zuletzt die Musik, die jetzt verstärkt für sich sprechen soll. Was da früher manchmal etwas dürr und klapprig wirkte, gerade im Vergleich mit dem damals die Rockszene beherrschenden US-Grunge, hat die Zeit wirklich gut überstanden, das meiste klingt erstaunlich frisch. Warum sind Stücke wie „Verstärker“ oder „Ich, wie es wirklich war“ nicht viel, viel größere Hits geworden, fragt man sich überrascht. Distelmeyers Gitarren- und Bohlkens Bassspiel haben etwas sehr eigenes, sind quengelnd druckvoll, zumal ausgerechnet als der Verstärker Distelmeyers durchschmort, ein zusätzlicher Gitarrist die Band verstärkt.
Nur selten hat man den Eindruck, dass Distelmeyer neben sich steht und sich etwas verwundert zeigt über den jungen Mann, der einst Zeilen dichtete wie „Ich war dabei mir eine Art von Verschwinden, die den Tod (Text) bezwingt, auszudenken“ oder „Zeittotschläger laufen um ihr Leben, bevor die Schulbank sie kriegt und ihnen alles wegnimmt“. Zumeist ist er ganz drin in seinen Stücken, trägt er konzentriert seine Lyrics vor, versieht er am Ende zwei Songs auch mit neuen Passagen, etwa mit Zeilen von Astrud Gilbertos „The Girl From Ipanema“. Das Sloganhafte, das Collagierte, die Zitate, all das blitzt natürlich zuvorderst auf beim genaueren Hinhören, das kennt auch keine Zeit, von „Teil einer Jugendbewegung“ über „Macht verrückt, was Euch verrückt macht“ bis hin zu „Wir sind politisch und sexuell anders denkend“. (Allerdings: Wie „denkt“ man sexuell anders?)
Dass sich Blumfeld-Stücke heutzutage noch gut hören lassen, liegt an Distelmeyers damaliger Weigerung, explizite Inhalte zu transportieren, „realistisch“ zu sein; an seinem Anspruch, dem Text eine eigene Party zu gönnen, ihn als entscheidende Produktivkraft zu verstehen. Höchstens häufig vorkommende Vokabeln wie „Geschichte“ oder „politisch“ gemahnen an die Zeit, in der „Ich-Maschine“ und „L’ État et moi“ entstanden sind, vom „Mantel der Geschichte“ bis zum „Ende der Geschichte“ war damals bekanntlich viel die Rede. Ob die Blumfeld-Geschichte fortgesetzt wird, haben Distelmeyer und seine Mitstreiter offen gelassen. Den Angriff der Vergangenheit auf sich und ihr bisheriges Schaffen haben sie jedenfalls zufriedenstellend abgewehrt.
Gerrit Bartels
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