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Anne-Sophie Mutter
© dpa

Anne-Sophie Mutter und die Staatskapelle: Vertreibung aus dem Paradies

Ein Abend der verpassten Begegnungen: Anne-Sophie Mutter und Barenboims Staatskapelle mit Beethovens Violinkonzert in der Philharmonie.

Toru Takemitsu gibt den Ton vor. Sein Memorial für den Meisterregisseur Andrej Tarkowskij eröffnet das Festtage-Konzert mit Barenboims Staatskapelle in der Philharmonie. Trauer betäubt, schnürt die Luft ab, wieder und wieder transzendieren sich die chromatischen Kurzmotive von „Nostalghia“ in höchste Flageolett- Höhen hinein. Nichts regt sich, nur manchmal flimmert die Luft. Anne-Sophie Mutter kehrt neben der Kontemplation auch die Scheu hervor, die Takemitsu den Tönen beigesellt. Verbietet sich angesichts des Todes nicht jedes Vibrato? Wobei Mutters bezwingende Ruhe nicht überspringen mag auf ein, mit Verlaub, ärgerlich unruhiges Publikum.

Es wird ein Abend der verpassten Begegnungen. Bei Beethovens einzigem Violinkonzert hat Anne-Sophie Mutter anderes im Sinn als Daniel Barenboim. Die Virtuosin, deren erste Begegnung mit Karajan und den Berliner Philharmonikern vor 40 Jahren mit einem Jubiläumskonzert im Mai gefeiert wird, spielte es bekanntlich schon mit 16 ein. Mutter und Beethoven, auch das ist Legende, auch das ein Fall für Nostalgiker. Also entkleidet sie op. 61 seiner Konventionen, wie sie es inzwischen häufig mit Repertoirewerken tut. Dünnt die Melodien zu hauchdünnen Fäden aus, lässt sie wie bei Takemitsu himmelwärts verschwinden, tastet den Notentext im Larghetto wie eine Blindenschrift ab. Betörend gläserne Triller, extremes Piano, fahler Klang: Das allzu Vertraute wird zum fremden, fernen Stern.

Mutter entrückt, Barenboim bleibt irdisch

Mutter experimentiert. Sie entrückt Beethoven, treibt ihn ins Irreale, geht bei den Kadenzen umgekehrt teils wütend zu Werke. Und Barenboim? Zwar drosselt er schon bei den Paukenschlägen der Introduktion das Tempo, bleibt aber in irdischen Gefilden. Zu unverblümt die Einsätze, das Rondo derb, bei allem Bemühen um Kongenialität kommen Solistin und Staatskapelle nicht recht zusammen. Nun ist ein Festtage-Abend kein Werkstattkonzert, dennoch hätte man sich mehr gemeinsame Probenzeit gewünscht, trotz Barenboims wie immer ehrfurchtgebietendem Oster-Marathon. Denn das Violinkonzert ist kein Virtuosenstück mit Orchesterbegleitung, sondern eine denkbar eng verzahnte Komposition.

Ein langer, fast überlanger Abend. Aber selbst die Kanzlerin, Block A, Reihe 10, harrt sichtlich begeistert bis zum Schluss aus. Nach der Pause folgen Debussys Naturgemälde „La Mer“ und Alban Bergs Stücke für Orchester op. 6, beide dreisätzig, beide für große Besetzung. Vergessen alle Kontemplation, Barenboim malt eine dunkel glühende Sonne, einen stürmisch aufgewühlten Ozean. Noch einmal manifestieren sich die dramatisch entfesselten Elemente bei Berg, jetzt aber im Zerrspiegel. Amorphes Ur-Chaos zu Beginn, schrill und schmerzhaft blenden die letzten Reste jeglicher Natur- und Musikschönheit. Die Vertreibung aus dem Paradies endet mit einem Hammerschlag.

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