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Dirigent Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin.
© dpa

Staatskapelle Berlin in der Philharmonie: Glut und Meer

Von Beethovens 1. Klavierkonzert bis zu sphärischen Klängen von Jörg Widmann und Vertracktem von Alban Berg. Die Staatskapelle Berlin spielt in der Philharmonie Raritäten.

Nahezu täglich ein anderes Bergmassiv zu stürmen, kann schlauchen. Nach dem Bruckner-Marathon von New York müssen sich die Staatskapelle Berlin und ihr Chef Daniel Barenboim erst mal erholen. Sie tun es in der Philharmonie auf ihre Art: mit Raritäten. Ja, natürlich zählt dazu auch Mozarts Divertimento G-Dur „Eine kleine Nachtmusik“. Weil wir das in ungezählten Aufzügen, Hotellobbys und Callcenter-Warteschleifen gemordete Stück eigentlich gar nicht mehr wirklich „hören“, schon gar nicht in der konzentrierten Situation eines Konzerts und in der vollen Länge von allen vier Sätzen. Mit forschem Tempo und zinnsoldatenmäßig aufrecht schreitenden Themen schält Barenboim den Klassiker Mozart heraus, der zur gleichen Zeit, im „Don Giovanni“, eigentlich schon viel avantgardistischere Sachen geschrieben hat.

Eher selten zu hören auch Beethovens 1. Klavierkonzert, meist rauben das 3. und 5. alle Aufmerksamkeit. Solist Piotr Anderszewski trägt Barenboims Stil aus dem Mozart-Stück weiter: Ordentlich, unaufgeregt und werkdienend, fast beiläufig, ohne die mätzchenverliebten Exaltiertheiten eines Tastenlöwen, geht er den Weg in die Innerlichkeit. Dem mittleren Largo-Satz bekommt das nicht gut, hier fehlt es an Spannung. In den beiden Ecksätzen jedoch lässt Anderszewski eine tiefe, intensive Glut leuchten. Barenboim spricht mit dem Orchester eine andere Sprache, spürt in den Tutti lieber das hochdramatische Welttheater auf, das auch in diesem frühen Beethoven steckt.

Ein Stück ohne hörbares Ziel, sich selbst genug

Riskant? Tollkühn? Die modernen Werke sind nicht schluckimpfungsartig zwischen den Zucker von Mozart und Beethoven gesteckt. Sondern stehen blockhaft am Ende, was dem Publikum in der Pause die Chance zur Flucht gibt. Tatsächlich klaffen Löcher in den Reihen.

Die meisten aber bleiben und hören, wie Jörg Widmann in „Armonica“ (2007) die Klangmischung der sphärischen Glasharmonika (Christa Schönfeldinger) mit den übrigen Instrumenten austestet, darunter einem hauchenden, menschlichen Atem imitierenden Akkordeon (Teodoro Anzelotti). Sehr langgezogene Töne verstärken die geisterhafte Stimmung, wie Wellen schwarzen Wassers in der Nacht schwappt die Musik ans Ohr. Ein Stück ohne hörbares Ziel. Es ist, wie das Meer, reiner Zustand, sich selbst genug.

Alban Berg hingegen erzählt in seinen drei Orchesterstücken op. 6 richtige Geschichten, im direkten Kontrast zu Widmann erscheint der Bürgerschreck plötzlich als Klassiker. Barenboim inszeniert ein grellbuntes Schlachtengemälde der Themen, von der Staatskapelle grandios gespielt – auch im vertrackten dritten Satz, dem Marsch, in dem lauter fiese rhythmische Ungleichzeitigkeiten stecken. Offenbar hallt das Bruckner-Erlebnis noch lange nach.

Udo Badelt

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