Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“: Alles nur geträumt
Staatsopern-Festtage: Zubin Metha dirigiert, Claus Guth inszeniert „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss.
Voll ist es im Theodor-Heuss-Saal, einem Raum im Bauch des Schiller Theaters. Daniel Barenboim und Jürgen Flimm haben geladen, um das Programm der Festtage 2018 bekannt zu geben, bevor sich der Vorhang zur Opernpremiere der diesjährigen Barenboim-and-Friends-Show hebt. Doch den herbeigeeilten Journalisten liegt mehr daran, endlich zu erfahren, was denn nun wann Unter den Linden gespielt wird und wann das Schiller Theater wieder in seiner Rolle versinkt, die Vergangenheit zu verkörpern. Doch darüber wollen die beiden Herren kein Wort verlieren. Stöhnen weht durch die Stuhlreihen. Nur, wenn die für den Bau Verantwortlichen mit am Tisch sitzen, werde geredet. Es muss ja schließlich klar bleiben, wer die Schuldigen sind für dieses überlange Auswärtsspiel.
Die Pläne für die Festtage 2018, die vom 24. März bis zum 2. April stattfinden, sind schnell erzählt: Barenboim dirigiert erstmals Verdis „Falstaff“, während Wagners „Parsifal“ noch einmal auf die Bühne zurückkehrt, ebenfalls von Barenboim geleitet. Die Wiener Philharmoniker schauen für Mahlers Siebte vorbei, Debussy wird zum 100. Todestag mit einem Staatskapellen-Konzert und dem Duo-Recital von Argerich und Barenboim geehrt. Spannender sind die Nebentöne dieser Präsentation: Barenboims Traum davon, Wagners Opern noch einmal zyklisch zu zeigen, wenn seine Kräfte es zulassen. Flimm versucht unterdessen mit mäßigem Erfolg, sich die Krawatte zu binden. Dann dankt er Barenboim für sein Abschiedskonzert bei den Festtagen 2018: Zum 1. April 2018 scheidet der Intendant endgültig vom Haus.
Märchen der Menschwerdung
Unten im Saal, im sehr tief heruntergefahrenen Orchestergraben, stimmen sich derweil die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle ein. Für nur drei Festtagsaufführungen wurde Claus Guths Inszenierung der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss nach Berlin verpflanzt. 2012 feierte sie in Mailand Premiere, 2014 war sie in London zu sehen. Wenigstens kann man diesem Regisseur zutrauen, gedanklich präzise Interpretationen zu erarbeiten, die vielfaches Umtopfen überstehen – sonst müsste man sich schon fragen, wo hier die beschworene Festtagsexklusivität zu finden sei. Natürlich ist es ein Coup, Zubin Metha ans Pult zu locken, einen bekennenden Strauss- Liebhaber, der unerschütterlich positiv seine Kreise zieht und niemandem mehr etwas beweisen muss. Staunenswert, wie entspannt der 80-jährige Dirigent diesen langen Abend meistert.
Es fällt heute leicht, die klagenden Stimmen der Ungeborenen und den Makel der unfruchtbaren Frau als reaktionäres Gedankengut im Libretto von Hugo von Hofmannsthal zu entlarven. Doch der Dichter entwickelte mit „Die Frau ohne Schatten“ eine Variante für sein Lebensthema der Verwandlung, das er mit dem Musiker Strauss teilte. In seinem Märchen der Menschwerdung hallen auch die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs nach und mit ihnen die bange Frage, ob diese Welt überhaupt noch Nachkommen haben könne. Zauberflöte und Faust, alles, was hehr ist und gut, wird bemüht, um einen komplizierten Prozess zu beschreiben, bei dem am Ende ein Nein zum Gesetz der Väter das Ja zum Leben bedeutet. Geister-, Tier- und Menschenwelt durchdringen sich schicksalhaft, wie dies nur in den Gefilden des Traums möglich wird. Claus Guth ist nicht der erste Regisseur, der die gesamte „Frau ohne Schatten“ als Traum der Kaiserin interpretiert, einer verwundeten, zwischen männlichen Autoritäten taumelnden Frau.
Die Welt dreht leer
Das sieht wie immer bei Guth auch erst einmal gut aus: ein weit geschwungenes, edelverholztes Krankenzimmer, eine anmutige Gazelle als Alter Ego der Kaiserin, eine dämonische Amme, der ein Gefolge mit harten schwarzen Flügeln zu Gebote steht. Ebenfalls unvermeidlich gesellt sich ein drehender Raumkern hinzu, der die großen Fenster immer wieder gegen ärmliche Schächte und nasses Gebirge tauscht. Dieses Rotieren um die eigene Achse ist ein Markenzeichen von Guth und seinem Bühnenbildner Christian Schmidt. Dass es auch leer drehen kann, darauf gibt diese „Frau ohne Schatten“ deutliche Hinweise. Nichts will haften bleiben an den Figuren, die sehr im Ungefähren agieren, wo sie doch unter dem schärfenden Blick des Traums kenntlich werden sollen.
An Arbeitsverweigerung seitens der Solisten liegt das nicht: Camilla Nylund müht sich mit guten Kräften bei ihrem Rollendebüt als Kaiserin, die Stimme kann leicht ansprechen, verfügt aber auch über klug genutzte Reserven. Ihr Kaiser Burkhard Fritz vermag sich nicht vollends der Erstarrung zu erwehren, die in seiner Figur schlummert. Michaela Schuster dagegen, schon in Mailand und London als Amme dabei, scheut die groteske Überzeichnung nicht, sie ist, als Einzige, tatsächlich Albtraummaterial. Wolfgang Koch, auf dem die Last der menschlichen Stimme im Stück liegt, singt seinen Barak solide, aber in sicherer Entfernung zum Herzensbruch, seiner unzufriedenen Frau verleiht Iréne Theorin widerborstige Giftigkeit.
Ringen mit den Urgewalten
Doch diese Premiere ist vor allem eines: der im Wortsinne schmerzvolle Abgesang an ein Haus, das seiner im Grunde genommen unmöglichen Mission, einem modernen Opernbetrieb Obdach zu geben, erstaunlich gut gerecht wurde. Ohne geborgten Glamour, doch dafür mit einer ungezwungenen Eleganz. Bei „Die Frau ohne Schatten“ aber wird eine Grenze überschritten, jenseits derer das Schiller Theater nur noch bescheiden klingt. Wie schnell ist der akustische point of no return erreicht, wenn die Staatskapelle mit den Urgewalten ringt, wie wenig klingt der exotische Zauber der Celesta und der Gongs nach, wie gnadenlos knallen die Stimmen der Solisten aus ihrem Furnierrund heraus. Dazu scheppert der Chor wie vom Handy eingespielt. Nein, dieser Hörsturz-Strauss macht keine Freude. Gewaltiger Aufwand, keine Verwandlung - nur Entzauberung.
Weitere Vorstellungen am 13. und 16. April