Komödie am Kurfürstendamm: Unverhofft kommt oft
Der Umzug: Die Komödie am Kurfürstendamm spielt jetzt im Schillertheater – „Willkommen bei den Hartmanns“.
Dieses Haus ist eben doch ein Theater und keine Oper, auch wenn Daniel Barenboim und seine Truppe hier jahrelang, und durchaus mit glücklichen Momenten, ihr Ausweichquartier bezogen hatten. Aber so richtig recken und strecken konnte sich die Staatsoper im Schillertheater nie. Wer den Saal jetzt betritt, spürt: Es ist eine Art von Heimkehr, eine Rückkehr des Hauses zu seiner eigentlichen Bestimmung. Ein bisschen, als würden die Geister von Boleslaw Barlog und Hans Lietzau aus den Lamellen heraus winken. Das Schillertheater ist jetzt eben wieder ein Schauspielhaus, wenn auch als Boulevardtheater – zumindest bis ins Jahr 2021.
So lange sollen nach bisheriger Planung die Kudamm-Bühnen Untermieter sein, während die beiden historischen Bühnen am Kurfürstendamm abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Was, es soll an dieser Stelle noch mal gesagt sein, ein Skandal ist. Als könnte Berlin mit Vorkriegs-Bausubstanz, die ja immer auch das Gedächtnis dieser Stadt aufbewahrt, nur so um sich werfen. Die beiden Bühnen hat Oskar Kaufmann entworfen, wie übrigens auch die Volksbühne und das Renaissance-Theater, und Max Reinhardt war hier Direktor. Zählt alles nichts, schon klar. Trotzdem lassen sich Atmosphäre und Geschichte nicht mal eben mit ein paar Millionen neu bauen. Die beiden Bühnen waren in den 70er Jahren schon mal in ein modernes Einkaufszentrum integriert worden, warum war das jetzt nicht mehr möglich?
Das Schillertheater also. Die roten gepolsterten Stühle, die mitgenommen wurden vom Kurfürstendamm, machen sich gut auf dem sandfarbenen Teppichboden, der an diesem Abend das erste wirklich regennasse Schuhwerk seit einem halben Jahr verkraften muss. Rot ist auch die traditionelle Bowle, die natürlich wieder ausgeschenkt wird und Herz und Gemüt wärmen soll. Goldene Lettern aus Luftballons formen das Wort „Willkommen“ – und so heißt auch die Eröffnungsinszenierung im neuen Haus, die Direktor Martin Woelffer selbst besorgt: „Willkommen bei den Hartmanns“, nach dem Film von Simon Verhoeven, der 2016 ein großer Kinoerfolg war. Die Bühnenfassung hat John von Düffel erstellt. Ein Wagnis ist die Wahl des Stücks schon. Denn es ist nicht gerade festlich, sondern greift mit der Familie Hartmann, die einen Flüchtling bei sich wohnen lässt, ein hochbrisantes Thema auf. Und doch wirkt es, obwohl gerade mal zwei Jahre alt, schon wieder historisch. Von Willkommenskultur ist ja längst keine Rede mehr. Inzwischen lautet der dominante Diskurs, dass man die Ängste von Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen müsse, die wahrscheinlich noch nie einen Flüchtling gesehen haben (vor allem in Sachsen nicht), aber kein Problem damit haben, in Demos mitzumarschieren, auf denen der Hitlergruß skandiert wird.
Harter Stoff umhüllt mit dem Zucker des Boulevardtheaters
„Willkommen bei den Hartmanns“ umhüllt den harten Stoff mit dem Zucker des Boulevardtheaters, und das heißt vor allem: mit Humor. Der ist bei Rufus Beck bestens aufgehoben (besser als bei Heiner Lauterbach in der Filmvorlage). Weil Beck sich furchtlos und mit viel Selbstironie in eine eigentlich völlig unironische Rolle stürzt: die von Vater Richard Hartmann, der seine Jugend nicht loslassen kann und deshalb auch die Chirurgenkarriere über die Pensionsgrenze hinaus ausdehnt, der sich Botox spritzen lässt und peinlicherweise im selben Club tanzt wie seine Tochter (Pia-Micaela Barucki als Sophie) und der junge, gutaussehende Nachwuchsarzt (Mike Adler als Tarek Berger).
Es sind zum einen die kleinen Momente, in denen Beck brilliert. Wenn er sich in sprachliche Peinlichkeiten verheddert oder nicht vor seiner Frau in die Knie gehen kann, ohne dass ihm ein gelenkschmerzbasiertes „Uh-oh“ entfährt. Zum anderen ist es die zunächst kaum merkbare Entwicklung, die seine Figur durchmacht, wenn Richard die Idee seiner Frau, den Nigerianer Diallo Makabouri aufzunehmen, erst rigoros ablehnt – und schließlich mitfiebert, ob der Asylantrag genehmigt wird oder nicht. Eine Entwicklung, wie sie parallel zum Vater auch Sohn Philip (tatsächlich Rufus Becks Sohn: Jonathan Beck) durchläuft.
Gesine Cukrowski ist Mutter Angelika Hartmann, die im Vergleich zu Senta Berger im Film ein bisschen zu jung ist, um Großmutter zu spielen. Aber wie sie das tut, wie sie vorzugsweise mit geschürzten Lippen einen Distanzraum um sich schafft und dann doch einen sehr menschlichen Einfall hat, das funktioniert. Es schwächt ihren Entschluss nicht im Mindesten, dass er der Langeweile und ein bisschen auch der Einsamkeit entspringt. Langeweile ist die Ursuppe der Kreativität, sie schafft die besten Ideen, weswegen es übrigens auch so fatal ist, dass das Smartphone die Langeweile raubt. Sie, die ehemalige Lehrerin, will Diallo fast schmerzhaft mit Bildungsbrocken deutsche Sprache und Kultur beibringen, mit Goethes „Über allen Gipfeln...“, mit Bachs Präludium C-Dur aus dem Wohltemperierten Klavier – und mit Wittgensteins Ausspruch „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Was auf Diallo gemünzt ist, aber auf sie selbst und die anderen wohlmeinenden Deutschen zurückfällt: Wie sollen sie die Menschen nennen, die da zu ihnen kommen? Schwarze, Farbige, Afrikaner, Flüchtlinge, Geflüchtete?
Spür die pulsierende Kraft des Dschungels
Prototyp der Helferin, die sich ihrer eigenen Rassismen gar nicht bewusst ist, ist Dreadlock-Freundin Heike (furios: Marion Kracht), die von „ihren“ Flüchtlings-Schülern keinen abgeben will und mit Rasseln in der Hand ein großes Willkommensfest veranstaltet: „Du musst das wilde Tier in dir entdecken! Spür die pulsierende Kraft des Dschungels!“ Immerhin, als einzige macht sie wenigstens kurz mal darauf aufmerksam, dass die Flüchtlingsbewegungen auch so etwas wie Ursachen haben. Und schließt sie mit einem Thema kurz, zu dem weder Horst Seehofer noch die AfD Relevantes beizutragen haben: die CO2-bedingte Erderhitzung, beschönigend auch Klimawandel genannt. „Der Sommer war geil, oder? Aber kein Wunder, dass so viele fliehen müssen, wenn ihre Brunnen austrocknen.“ Was zugleich die einzige Aktualisierung des Stücks gegenüber dem Film ist.
Diallo wird ein bisschen zu sehr als der „gute Flüchtling“ konstruiert, aber Quatis Tarkington spielt ihn überzeugend mit den großen Augen eines Kindes, das staunend eine völlig fremde Welt entdeckt, in der Katzen Huhn mit Garnelen bekommen – „wie richtiges Essen!“ – und der Vater morgens auf dem Band läuft und dabei Nachrichten guckt, „während sein Gesicht immer jünger wird“. Interessant ist dabei die Blickumkehr, in der die Deutschen zu Beobachtungsobjekten werden und Diallo zu ihrem Therapeuten.
Stephan Fernau hat die Kulisse einer Zehlendorfer Villa gebaut, deren Fassade sich adventskalenderartig öffnet und die die Themen von Integration und Exklusion visuell noch mal aufgreift: Man sieht das Haus von außen, doch hinter den Fenstern liegt nicht das Innere, sondern wieder der Garten. Die Bühne, die im Schillertheater wesentlich größer und vor allem auch höher ist als an den bisherigen Spielstätten, wird dadurch gut genutzt. Wie man überhaupt sagen kann, dass die Ku’damm-Bühnen das Schillertheater zu füllen wissen, von der Besucherzahl wie von der Atmosphäre her, zumindest an diesem Premierenabend. Ob sich das auch im Repertoire verstetigt, wird man sehen.
Wie entlässt einen das Stück? Nach dem Applaus wird oben im Foyer gefeiert. Was verständlich ist. Und sich trotzdem nicht gut anfühlt. Hat Diallo nicht gerade erzählt, wie Boko Haram seine Eltern umgebracht und die Schule angezündet hat, die sein Vater gebaut hat – nicht ohne alle Schüler und Schülerinnen einzusperren? Wer floh, wurde erschossen. So ist das mit dem Theater: Irgendwann ist es zu Ende. Und dann klirren die Sektgläser.
Weitere Vorstellungen bis 28. Oktober.