Das Ende der Kudamm-Bühnen: Zwei Abrisse und ein Neuanfang
Die Ku’damm-Bühnen werden abgerissen, eine Tragödie. Ihr Chef Martin Woelffer versucht, nach vorn zu blicken. Ein Spaziergang zum Schillertheater.
Ach, wie viele fürchterlich abgedroschene Bilder könnte man nun bemühen angesichts dieses Schietwetters da draußen. Vom Himmel, der weint, von einer Stadt, die ihn im Regen stehen gelassen hat. Aber dafür ist Martin Woelffer, der sich ausgerechnet an einem der wenigen Regentage Zeit genommen hat für einen Streifzug durch seinen Kiez, viel zu positiv eingestellt. Es ist ja auch alles gesagt über den Verlust seiner Ku’damm- Bühnen, die historischen Spielstätten, die nun in wenigen Tagen abgerissen werden.
Ein unglaubliches Drama verkorkster Stadtplanung, das vielleicht irgendwann mal jemand in einem Stück verarbeitet, doch er, der Chef der Bühnen, kann das sicher nicht schreiben. Er ist ja hier aufgewachsen in den Theatern, die sein Großvater 1950 übernahm und sein Vater 2004 an ihn übergab – weil die Deutsche Bank sie rauswerfen wollte und er spontan entschied, dass das doch nun ein guter Zeitpunkt für einen Neubeginn wäre. Martin Woelffers Geschichte am Kurfürstendamm beginnt folglich mit dem drohenden Abriss, der nun beschlossene Sache ist, doch enden soll sie hier sicher nicht.
Bausünden und ein Deal
„Sie sind ja viel besser angezogen als ich“, sagt er und blickt unter dem geschwungenen Vordach der Komödie in den Nieselregen hinaus. Weißes Hemd, graues Sakko, Jeans, schwarze Turnschuhe. „Ich hole mir noch eben einen Pulli aus dem Auto.“ Also doch noch einmal hinein in die Vergangenheit, durchs Ku’damm-Karree, 70er-Jahre-Bausünde, Bahnhofshallenakustik. „Das allein war schon ein Skandal“, sagt Woelffer. Die Trostlosigkeit hat sich noch verstärkt, seit die letzten Geschäfte schlossen. Dem Karree trauert niemand nach.
„Magazin“ steht noch immer über dem kleinen Durchgang zum Bühneneingang, hier hat Woelffer, heute 54, begonnen, 1990 war das. Er, der eigentlich gar kein Theater hatte machen wollen und schon gar nicht hier am Ku’damm, spießiger geht es ja wohl nicht! Sein Vater ließ ihn, Literaturstudent an der FU, der mit der Hausbesetzerszene sympathisierte, auf der kleinen Studiobühne gewähren, wo jetzt alles zusammengepackt wird für den Umzug ins Schillertheater. Drei Jahre Zwischenspiel.
Woelffer posiert fürs Foto, Hände an der Kiste, „sieht jetzt so aus, als ob ich das alles eingepackt hätte“, sagt er lachend, die beiden Mitarbeiter, die das eigentlich machen, lachen herzlich mit. Ist ja auch was dran. Familienbetrieb eben, viele der 50 Mitarbeiter sind schon 10, 20, 30 Jahre, ach: ewig!, dabei. Derzeit vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwer eine Träne verdrückt, sagt Woelffer. Hinter der Studiobühne breitet er die Arme aus. Hier soll ein neues Theater entstehen, sein neues Theater. Das ist der Deal.
„Wir haben mehr rausgeholt, als ursprünglich drin war“, sagt er. Ursprünglich, das hieß: nichts. Beide Theater weg, ersetzt durch ein neues Karree, noch mehr Shopping am Boulevard, die Kultur wird entsorgt. 14 zähe Verhandlungsjahre später darf Woelffer ein neues Theater entwerfen. „Allein das ist schon eine Sensation“, sagt er, „das passiert sehr selten.“
Der Bau im Souterrain unter einem „Stadtplatz“ soll den Investor rund 15 Millionen Euro kosten, Woelffer bekommt 3,3 Millionen für die Innenausstattung. Mietfrei darf er es betreiben, für mindestens 20 Jahre, mit der Option auf zehn weitere. Die jährliche Förderung des Senats wird von 200 000 auf 900 000 Euro erhöht, immer noch zu wenig, wenn man sich die Subventionierung anderer Theater so anguckt, aber eine Verbesserung. Und Woelffer ist es schließlich gewohnt, dass es um die Existenz geht, findet es ganz gut, ein Kämpfer sein zu müssen, das fördert die Kreativität. „Es ist ein Deal, mit dem alle Seiten leben können“, sagt Woelffer. Er, der Investor und der Senat.
Wenn doch nur die alten Theater nicht wären. Sein sicherer Ort, „die Theater gab es immer für mich“. Das macht ihm den Abschied besonders schwer. Aber so isses jetzt eben, sagt Woelffer, betont bestimmt. Er hat keine Lust mehr, zu klagen, der Blick geht nach vorn.
Ein Leben am Ku'damm
Also los, laufen wir in Richtung Zukunft, einmal rüber zum Schillertheater. Den Pulli zieht er doch nicht an, lässt auch den Schirm eingeklappt, die Brille bleibt oldschoolig im etwas zu offenen Hemd eingehängt. Ob Eitelkeit oder Vergesslichkeit, man weiß es beim ihm nicht so genau. Ist ja auch nicht viel Zeit, und eigentlich hat er zu jeder Bodenwelle eine Geschichte zu erzählen. Zum Beispiel gleich nebenan, in der Brasserie „Le Paris“, die damals noch anders hieß, hat sein Vater früher jeden Tag gesessen. Als Kind hat er dort einerseits gelernt, auf gutes Essen zu achten, andererseits gelitten, weil seine Kinderfragen als lustige Episoden in großer Runde ausgebreitet wurden. Er saß daneben und dachte: So hab’ ich das doch gar nicht gemeint!
Vielleicht geht er auch deswegen heute ungern aus nach den Vorstellungen, wie es üblich ist in der Szene. Er trifft sich mit Schauspielern lieber vor dem Auftritt. Danach ist er gern für sich, am liebsten mit einem Weißwein auf der Terrasse, aber ungern beruflich, „weil es ja am nächsten Morgen schon weitergeht“. Zehn bis zwölf Stunden verbringt er täglich im Theater, in Probenphasen meist länger.
Über die Kreuzung an der Uhlandstraße in die Grolmanstraße. Erstaunlich, wie nah das Schillertheater ist, „nur gedanklich ist es eine ganz andere Gegend“, sagt Woelffer. Ein großer Vorteil, dass sie im selben Bezirk weitermachen können. „Für uns ist das Wichtigste, dass das Publikum mitkommt“, sagt Woelffer, erleichtert, dass der Vorverkauf für die ersten Vorstellungen Ende September gut angelaufen ist. „Jetzt müssen wir nur noch gut sein.“ Die Bühnenfassung von „Willkommen bei den Hartmanns“ sei zwar „noch eine Baustelle“, aber es wird schon werden und danach spielt Katharina Thalbach „Hase Hase“, 1992 ein Riesenerfolg am Schillertheater, da kann eigentlich nichts schiefgehen.
Seine größte Angst war, dass sie da auf der großen Bühne sitzen und niemand vorbeikommt. Denn Laufkundschaft, Woelffer schätzt sie auf ein Viertel der Einnahmen, gibt es dort kaum. Keine Touristen, die sagen: Ach, der Mommsen, den kenn’ ich doch aus dem Tatort!
Doch die Leute ziehen mit um, sicher wollen auch viele, die den Verein „Rettet die Ku’damm-Bühnen“ unterstützt haben, ein Zeichen setzen: Zweimal 200 000 Unterschriften für die Erhaltung der Bühnen gesammelt, nichts hat es genützt.
Aber zum Glück gibt es den „Diener“ noch! Das ist noch so eine Institution, eine dieser Alt-Berliner Kneipen, die es immer geben muss, wo früher Manne Krug und Udo Jürgens saßen, wo man heute Maxim Biller trifft und an besonderen Tagen auch Martin Woelffer, gerade erst wieder haben sie hier Premiere mit Dominic Raacke gefeiert, der sich am Ku‘damm neu verliebt hat ins Theaterspielen. „Eine Künstlerkneipe solange ich denken kann“, sagt Woelffer. Hier gibt es Eier in Senfsoße und Strammen Max . „Ich hoffe, dass es ihn noch lange gibt“, sagt er, der ja nun weiß, wie vergänglich das alles sein kann.
Jede Ecke hat Geschichte
Er seufzt. „Es ist ein Berliner Phänomen, dass so was überhaupt möglich ist“, sagt er. Klaus Lederer, seit 2016 Kultursenator der Linkspartei, sei der Erste gewesen, der sich ernsthaft für eine Lösung für alle Beteiligten interessiert hätte. Vorher überwog immer das Gefühl, die Theaterfrage am Kurfürstendamm sei politisch mehr Last als Lust. Ein klares Bekenntnis hätte Woelffer sich gewünscht, mehr Mut von den vergangenen Regierenden. „Die Berliner Politik ist dafür verantwortlich, welches Gebäude geschützt wird und welches nicht.“ Doch die Antwort die er immer wieder bekommen hat: Nicht zuständig. „Ohne politische Rückendeckung ist es für ein Kulturunternehmen schwer.“
Woelffer seufzt noch einmal, richtet sich auf, als falle ihm ein, dass er doch eigentlich nach vorn blicken möchte. „Erst mal muss man sich verabschieden, um wirklich neu starten zu können.“
Rüber zum Savignyplatz, oben rauscht die Stadtbahn, unten kennt Woelffer jeden Laden: das „Brel“, der „Bücherbogen“ und da links rein, in der Knesebeck, im „Café 1900“, „gibt es die besten selbst gemachten Kuchen“. Ein Stück weiter das „Green Saigon“, toller Asia-Laden. Mittags versucht er immer mal rauszukommen aus dem Theater, doch meist vergisst er das Essen. Bei Habitare kauft er gern Möbel ein, ach guck mal, das „Florian“ heißt nicht mehr „Florian“, aber das „Café Savigny“ gibt es natürlich noch, sehr guter Kaffee, und den „Zwiebelfisch“, „den gibt es glaube ich schon immer“, sagt er lachend. Aufgewachsen ist er zwar in Westend, doch häufig ist er nach der Schule direkt ins Theater, weiß noch, wie er unterm Schreibtisch seines Großvaters herumgekrabbelt ist. Später, wenn das Moped eine Panne hatte, ist er einfach in die Tischlerei gefahren und hat gefragt: Kann mir jemand helfen?
Jetzt müssen wir uns aber ranhalten, sagt er, gleich sind wir schon da. Am Ende teilt sich die Grolmanstraße: Rechts das „Petit Royal“, Ableger des großen „Grill Royal“, Promirestaurant an der Friedrichstraße, links ein indischer Imbiss, den es schon immer gibt. Den mag ich, sagt er, will aber auch die Neuen mal ausprobieren. „Man muss neugierig bleiben.“ Auf dem Spielplatz Goethestraße haben sich seine Kinder zum ersten Mal von der großen Rutsche getraut, jetzt ist die Tochter 16, der Sohn, 22. „Die rutschen nicht mehr“, sagt Woelffer lachend, „und schon gar nicht mit mir.“
Nächste Ecke, nächste Anekdote. Der schicke Laden an der Schlüterstraße hieß früher „Hertha“ und war genau so. Sein Jugendfreund Johannes B. Kerner hat damals hier gejobbt. „Hier hat er uns in großer Runde seine erste Radioreportage vorgespielt, auf Kassette natürlich.“ Kerner war damals Hospitant beim SFB, stolz wie Bolle schmiss er Runden, der Rest ist bekannt. Wenn sie sich sehen, ist noch alles wie früher, sagt Woelffer. Sie schaffen es selten, aber regelmäßig.
Angekommen im Schillertheater
Schon biegen wir in die Schillerstraße ein, Hintereingang über den Parkplatz. Beim Pförtner muss man sich in eine Liste eintragen, graues Karopapier, handgezogene Kugelschreiberlinien. Ein kurzer Dialog über die Brandschutztür, Woelffer ist verwirrt. Brauchen wir den Schlüssel oder nicht? „Man merkt: Wir sind hier noch nicht Hausherr“, sagt er dann. Den etwas angeranzten Charme haben die Theater gemeinsam, wenn auch die Zeit eine ganz andere war. Er öffnet die Tür zum Saal, setzt sich in einen der roten Sessel.
Wenn er hier ist, überwiegt die Vorfreude. „Es ist schon eine Ehre, hier wieder Theater machen zu dürfen.“ Und er merkt: Das ist eine Adresse, die für Künstler interessant ist. Katharina Thalbach zum Beispiel erzählt zwar derzeit überall, wie sehr sie sich für ihre Stadt schämt, da man ihr die Komödie abreißt. „Aber sie findet es ganz toll, dass sie noch mal in ihr altes Haus darf.“ Noch so eine Wunde der Stadt. „Das Schillertheater zu schließen war ein Zeichen damals, dass der Westen gar nichts wert ist. Für die Kultur hier in der Gegend war das wirklich fatal.“ Zum Glück war die Staatsoper hier, das habe den Ort wieder bekannt gemacht. Der Orchestergraben, extra eingebaut, muss nun allerdings wieder weg, diese Riesenlücke – furchtbar für Sprechtheater! Woelffer will ran an die Leute, immerhin 1100, zwar weniger als am Ku’damm, aber da waren die 1400 verteilt auf zwei Theater. Eine Herausforderung, aber das war es ja immer.
Einen Mietvertrag hat Woelffer noch nicht. Aber wird schon. Und falls nicht, hat er jetzt sehr viele Kontakte. Denn einen positiven Effekt hatte das Drama um die Bühnen: Niemand kann behaupten, noch nie von ihnen gehört zu haben.
Am Sonnabend, 26. Mai, wird Abschied gefeiert, Eintritt ist frei, die letzte Vorstellung am Sonntag ist ausverkauft. Alle Infos unter: www.komoedie-berlin.de
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