Renaissance-Theater: Der Clou steckt in der Stofftapete
Das Renaissance-Theater in Charlottenburg wird bald 90 Jahre alt. Unendlich viele Berümtheiten sind hier aufgetreten Und vor allem ist ist es das einzige gut erhaltene Art-Déco-Theater Europas.
Kümmern muss man sich um den alten Kasten schon. Bevor er einen Nagel in die Wand haut, überlegt Haushandwerker Thilo Polley erst dreimal. Dabei macht der gelernte Baufachwerker aus Marzahn sonst gar keinen ängstlichen Eindruck. Aber das Renaissance-Theater flößt ihm seit seinem Dienstantritt 1995 Ehrfurcht ein, samt Licht, Wasser, Heizung und Bühne.
Was soll da erst Eva-Maria Nietzsche- Lau sagen. Die Charlottenburgerin wohnt gleich um die Ecke und hat als Schließerin im historischen Eckhaus Knesebeck- und Hardenbergstraße angefangen: „vorübergehend“ – vor 46 Jahren. Jetzt herrscht sie als Vorderhausinspektorin freundlich aber bestimmt über zwölf Garderobieren und Schließerinnen und steht jeden Abend sorgfältig zurechtgemacht im Foyer hinterm Büchertisch. Augen hat sie wie ein Luchs. Wehe, wenn einer sein Rotweinglas auf eine der kleinen Konsolen stellt. Himmel, wenn das umkippt. So wie 2006, als am zweiten Tag, nachdem die goldgelbe Wandbespannung – originalgetreu erneuert – wieder das Theater zierte, ein Rotweinglas eine ganze Bahn der teuren Art-Déco-Tapete versaute.
Natürlich seien die überall im Foyer verteilten „Bitte nichts abstellen“-Schilder blöd, seufzt Intendant Horst-H. Filohn, der seit 1977 am Haus ist, „aber kämpfen Sie mal 20 Jahre für eine erneuerte Tapete“. Zum Glück haben viele Freunde des Privattheaters dabei geholfen – auch Loriot.
Sein erster Beruf sei natürlich Theaterdirektor, sagt der gebürtige Brandenburger Filohn, „aber zugleich bin ich auch Museumswärter und Denkmalschützer“. So wie Thilo Polley, Eva-Maria Nietzsche-Lau und die anderen 20 Vollzeit- und 100 Teilzeitmitarbeiter des Renaissance-Theaters.
Das besteht seit 88 Jahren und ist bekannt als Wirkungsstätte großer Namen wie Curt Goetz, Valeska Gert, Curt Bois, Boleslaw Barlog, Heinrich George, Valeska Gert, Heinz Rühmann, Adele Sandrock, Horst Buchholz oder Judy Winter, als Veranstaltungsort der „Berliner Lektionen“, als Bühne für Buchpräsentationen von Klaus Wowereit über Ulrich Tukur bis zu Frank-Walter Steinmeier und vor allem als gehobenes Boulevardtheater. Doch der Clou steckt in der Stofftapete: Das Renaissance-Theater ist Europas einziges so gut erhaltenes Art-Déco-Theater.
Eine wunderschöne Schatztruhe, sagt Chansonnier Tim Fischer, der hier Friedrich Hollaender sang. Eins der schönsten Theater der Stadt, sagt Gerd Wameling, der hier Yasmina-Reza-Stücke spielte. Ein Kleinod mit wunderbaren Proportionen, sagt Kollegin Imogen Kogge, die in der im Mai wieder zu sehenden Inszenierung „Blütenträume“ auf der Bühne steht. Mein Zuhause, sagt Boris Aljinovic, der jahrelang fest hier gespielt hat und es bald wieder tut.
Im Parkett dreht der Vordermann den Kopf, tuschelt mit der Nachbarin, zeigt nach oben zum Balkon. Die wendet ebenfalls den Hals und schaut hoch. So geht das abends kurz vor der Vorstellung dauernd im eleganten Theatersaal. Nackenstarre beim Publikum ist im Renaissance-Theater normal. „Schöne Intarsien“, „von 1900 mindestens“, „bestimmt Ebenholz“, „sicher teuer“, „vielleicht Jugendstil“, sind ganz typische Satzfetzen. Und in der Pause zupfen sich Leute mit Weingläsern in der Hand am Ärmel und zeigen auf die funkelnden Lüster, die goldglänzenden Türbeschläge, die Messingtierchen im oberen Foyer oder die floralen Treppenornamente.
Dabei war im Oktober 1922, als Theodor Tagger das ehemalige Terra-Kino nahe des Ernst-Reuter-Platzes unter dem Namen Renaissance-Theater wieder eröffnet, von architektonischem Glanz noch nichts zu sehen. Seine moderne Versuchsbühne für junge, vorwärts drängende Dramatiker war ein unkomfortabler, hässlicher Schlauch. Große Namen sind trotzdem schon da. Helene Weigel gelingt hier ihr Durchbruch, Friedrich Hollaenders erste Kabarett-Revue feiert Premiere. Schnell ist der Neuzugang unter den damals knapp 40 Bühnen Berlins in aller Munde. Und Tagger wird später unter dem Pseudonym Ferdinand Bruckner zu einem der erfolgreichsten deutschen Dramatiker. Da ist schon längst ein Anderer Direktor des in den ersten Januartagen 1927 wieder eröffneten, inzwischen umgebauten Hauses. Das neue Kammerspieltheater im Art-Déco-Stil beeindruckt die Berliner: „Durch die Hardenbergstraße schimmert jetzt allabendlich ein magisches Geleucht. Wer Licht und Farbe liebt, wird unwiderstehlich angezogen und steht entzückt von dem Märchenpalast des Renaissance-Theaters“, schwärmt der „Vorwärts“ über den neuen Vorbau mit seinen blauen Leuchtbogenfenstern, die heute – nach der Wiederherstellung Mitte der Achtziger – fast wieder so aussehen.
Glas und Licht als Element der Theaterarchitektur ist Ende der zwanziger Jahre der letzte Schrei, quasi als Leuchtreklame für die Kunst. Oskar Kaufmann heißt der Mann, der aus dem Renaissance-Theater das ebenso intime wie verspielte Art- Déco-Haus gemacht hat, dass sich heute noch fast unbeschadet bewundern lässt.
„Mir geht schon beim Reinkommen das Herz auf“, sagt Imogen Kogge, die lange bevor sie selbst auf der Bühne des Renaissance-Theaters stand, schon als Zehlendorfer Schülerin mit ihren Eltern unter dem prachtvollen Kronleuchter saß. Wegen der Schönheit des kleinen Hauses, aber vor allem weil Publikum und Schauspieler hier so nah beieinander sind und das Holz die Stimmen so gut von der Bühne in den Saal trägt. Die tolle Akustik loben alle. „Der Saal ist wie ein Geigenkasten“, sagt Gerd Wameling und meint damit den Klang im Innern einer Geige. Nur, dass Geigenkästen sonst nicht mit üppigen Wandbildern aus Edelhölzern, Perlmutt und Zinn ausgestattet sind. Geschaffen hat die verspielten Commedia dell'arte-Szenen der Maler und Innenarchitekt César Klein, einer der wichtigsten Ausstatter des expressionistischen Films. Für den schönen Schimmer heute ist Thilo Polley zuständig. „Zweimal im Jahr poliere ich die.“
Der rundum vertäfelte Theaterraum war Oskar Kaufmanns Spezialität. Sieben Theater hat er in Berlin gebaut, darunter die Ku'dammbühnen, das Hebbel- Theater und die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Davon überstanden nur Hebbel und Renaissance den Bombenkrieg zumindest innen unbeschädigt.
460 bis 540 Plätze, Jahresbudget gut vier Millionen Euro, davon zwei Millionen Subventionen, Auslastung knapp 70 Prozent. Horst-H. Filohn rattert noch ein paar Fakten runter. Dass so ein Haus mit starker historischer Atmosphäre statt jung und wild auch mal ein bisschen bieder rüberkommt, selbst wenn es Gegenwartsdramatik macht, lässt ihn so gelassen wie alle Tops und Flops. „Theater geht gut oder schlecht und meistens ist man selber Schuld“, grinst er. Und so ein Haus spiele halt im Stück immer mit. Lottomittel und Denkmalschutz ermöglichen, dass er sich ums Art-Déco-Theater auch in diesem Jahr kümmern kann. Der Kronleuchter wird aufpoliert – damit er weiter leuchtet.
Adresse: Renaissance-Theater, Knesebeck- Ecke Hardenbergstraße, Charlottenburg, Telefonnummer 312 42 02, www.renaissance-theater.de.
Führungen: zur Langen Nacht der Opern und Theater am 16. April, zum Tag des offenen Denkmals am 10./11.September.
Lesetipp: Steffi Recknagel „Das Renaissance-Theater. Biografie einer Berliner Bühne“, Henschel Verlag, 264 Seiten, 14,90 Euro. Erhältlich im Theater.