Preis für Popkultur: Unsere liebsten Männer
Drangsal, Bosse, Moderat: Beim erstmals in Berlin vergebenen Preis für Popkultur dominierten männliche Künstler. Durch den Abend im Tempodrom führte Bernd Begemann.
Helene Fischer hat schon so viele Echo-Preise gewonnen, dass sie für die Aufbewahrung der klobigen Trophäen eine eigene Garage anmieten könnte. Die Dominanz der Schlagerpop-Diva, aber auch der Echo für die Rechtsrocker von Frei.Wild haben dieses Jahr wieder gezeigt, wie fragwürdig ein hauptsächlich an Verkaufszahlen orientierter Musikpreis ist.
Eine Alternative dazu möchte der „Verein zur Förderung der Popkultur“ mit seinem am Freitag erstmals verliehenen Preis für Popkultur installieren. Die derzeit rund 350 Mitglieder, allesamt aus der Branche – Musikerinnen, Promoter, Labelmacher, Journalistinnen – vergeben ihn in zwölf Kategorien. Und bei aller „Transparenz und Fairness“, die die Macher im Vorfeld betonten, ist es natürlich auch ein Industriepreis, ein Marketinginstrument.
Deshalb passt es gut, dass Tobias Bamborschke von Isolation Berlin den Abend im Tempodrom mit den Zeilen „Ich bin ein Produkt / Ich will, dass man mich schluckt / Dass man mich konsumiert / Sich in mir verliert“, eröffnet. Das kurze Set des Indierock-Quartetts ist ein starker Auftakt, doch von da ab geht es größtenteils bergab.
Was schon mit dem Moderator Bernd Begemann beginnt, der wie ein aufgekratzter Boxkampf-Ansager über die Bühne tigert und als erstes möchte, dass die 2000 Gäste seinen Namen brüllen. Das klappt nicht, soll es ja auch nicht, aber die halb-ironische Art, mit der der Hamburger Musiker durch die Show führt, wirkt wenig sachdienlich geschweige denn mitreißend.
Drangsal motzt gegen AnnenMayKantereit
Als erstes ist der Preis für den hoffnungsvollsten Newcomer dran. Er geht an den 23-jährigen Wahl-Berliner Drangsal, der seinen Achtziger-Wave-Pop genauso clever kalkuliert wie seine Dankesrede, die nur aus einem Satz besteht: „Hauptsache nicht AnnenMayKantereit“, sagt er und klemmt sich den Bilderrahmen mit dem Preis unter den Arm. Seine Kölner Kollegen, die viele Fans im Saal haben und deutlich erfolgreicher sind als Drangsal, werden trotz drei weiterer Nominierungen tatsächlich leer ausgehen an diesem Abend. Anders als er dürfen sie auch nicht live spielen.
Neben den erwähnten Isolation Berlin stehen noch Bosse, Caspar und Boy auf dem Programm, womit vier der fünf Auftritte des Abends von Männern bestritten werden. Bei den Nominierten ist das Verhältnis ähnlich: In den Kategorien Newcomer, beeindruckendste Live-Show, Lieblingsalbum und Lieblingsvideo stehen gar keine Frauen zur Wahl und als Lieblingsband tritt das Duo Boy gegen vier Männer-Formationen an, von denen schließlich Moderat gewinnen, die zudem in der Album-Kategorie ausgezeichnet werden.
Katja Lucker mahnt mehr Frauenpräsenz an
Musikmanagerin Anne Haffmans, einzige Frau im neunköpfigen Vorstand des Vereins, erklärte die Männerdomianz vorab damit, dass viele starke Veröffentlichungen von Frauen nicht in den Nominierungszeitraum fielen. Es ergibt trotzdem ein schräges Bild, zumal man für die Show ja durchaus weibliche Acts hätte buchen können. Aus Berlin zum Beispiel Sookee, Lary, Masha Qrella, Wallis Bird...
Berechtigterweise mahnt Musicboard- Chefin Katja Lucker bei ihrer Laudatio auf die Initiative „Plus 1 – Refugees Welcome“ für das nächste Jahr mehr Frauenpräsenz an. Auch sonst täte dem Preis mehr Diversität gut. Wenig Hip-Hop, kaum Clubmusik und fast nur weiße Gesichter – hat die deutsche Popkultur da nicht mehr zu bieten? Dass ein so schlichter Deutschrocker wie Bosse von der Jury zum „Lieblingssolokünstler“ gekürt wird, lässt an der Anti-Echo-Power des Preises zweifeln. Vielleicht war es als Dankeschön für seine Mittelfinger gegen Nazis (und Frei.Wild) bei der Konkurrenz-Gala gedacht. Etwas viel der Ehre, zumal sein Kurzkonzert eine quälend öde Angelegenheit ist. Dann schon lieber Casper. Der Rapper hat Blixa Bargeld dabei, der mit einem Textzettel auftritt, den er gar nicht braucht und der das als „Lieblingslied“ ausgezeichnete „Lang lebe der Tod“ in einem finalen Krähenschrei zerfetzt. Ein großer Pop-Moment an einem nicht so großen Abend.
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