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Rapper Casper unterwegs im "Hinterland".
© Olaf Heine

Casper und sein Album "Hinterland": „Deutsche haben Angst vor Gefühlen“

Der Hip-Hop-Star Casper spricht im Tagesspiegel-Interview über sein zweites Album „Hinterland“, das Leben in der westfälischen Provinz und seine religiöse Erziehung.

Casper, auf Ihrem neuen Album hört man Orgeln und Trompeten, Sie versuchen sich als Sänger, das Titelstück „Hinterland“ erinnert an das Hymnenhafte von Coldplay. Mit Verlaub: Ist das noch Hip-Hop?

So wie die Platte entstanden ist, schon. Ich kann ja nur im Hip-Hop-Kontext Songs schreiben, was anderes habe ich nie gelernt. Ich nehme ein fertiges Instrumental, und dazu entwickele ich dann einen Text. Wie über einen Beat. Mag sein, dass meine Platte nichts für klassische Rap-Hörer ist, aber ich bin jemand, der Grenzen austesten will, und ich bin froh, dass wir die Platte so geschafft haben.

Geschafft – das klingt arg mühsam.

War halt auch Arbeit. Ich hasse es, Alben zu machen. Das ist, als würde man Abiturprüfungen ablegen. Der Schaffensprozess ist wie das Lernen, drei Wochen vorher befällt einen die große Panik, und zum Schluss gibt man was ab, in das man alles reingesteckt hat. Danach ist das Ergebnis zum Abschuss freigegeben. Die Rezensionen sind so was wie die Noten.

Sie haben mit Konstantin Gropper von Get Well Soon und Markus Ganter zusammengearbeitet, beide für ihre elegische Art der Musik bekannt. Dafür sind sie von Berlin nach Mannheim gezogen.

Ja. Ich habe dort in einer Studenten-WG gewohnt, meine vier Mitbewohner waren alle Anfang 20. Fernab von Berlin und jeglichem Hype zu sein war super, und die Monate dort haben mich ein Stück weit an meine Studienzeit erinnert.

War es denn wichtig, sich aus dem Alltag rauszuziehen?

In gewisser Weise schon. Mannheim hat die Event-Dichte eines Dorfes, da passiert echt nichts. Wir saßen ein halbes Jahr lang bis spät in die Nacht im Studio und waren komplett in unserem eigenen Film.

Haben Sie sich je gefragt, was künstlerisch noch machbar ist – und womit Sie sich komplett ins Abseits stellen?

Nein, nie. Denn während der Aufnahmen hat das für mich alles Sinn ergeben. Mir war klar, dass ich eine Folk-Platte machen will, die ein bisschen nach Arcade Fire und Get Well Soon klingt. Erst als ich im Zug saß und mit den ersten acht Stücken nach Berlin gefahren bin, habe ich mein Gesicht in den Händen vergraben und gedacht: Was, wenn das alles großer Mist ist? Da befiel mich eine Panik.

Bei Ihnen gibt es Orchester-Bombast, Chöre und Händeklatschen. Werden Ihnen Hip-Hop-Fans das durchgehen lassen?

Sie müssen es! Das Soundgewand von Hip-Hop war zuletzt ja sehr steif, man hat sich auf dieses Bumm-Klack-Bummbumm-Klack eingeschossen. Das gilt dann als Hip-Hop und jeder, der sich nicht daran hält, muss sich rechtfertigen. Aber ich mache da nicht mit.

In Ihren Texten zitieren Sie Oasis, Tomte und Ton Steine Scherben.

Es gibt auch Hip-Hop-Zitate, aber die sind eher musikalischer Art. Textlich gesehen wüsste ich nicht, warum ich etwas von einer bestimmten Szene für eine bestimmte Szene reproduzieren sollte.

Weil es Teil der Rap-Tradition ist, sich auf andere Kollegen zu beziehen.

Der Dialog macht die Sache spannend. Ich habe als Hip-Hop-Künstler eine Platte gemacht, die von Arcade Fire und den Shins inspiriert ist. Darauf bringe ich Zitate von Ton Steine Scherben und Beats, die nach meinen amerikanischen Lieblingsproduzenten klingen. Nur so findet etwas statt, das interessant für mich ist. Innerhalb der Platte kommen verschiedene Szenen ins Gespräch, das ist mein Anspruch.

"Ich habe mich in der Musikszene lange als Fremdkörper gefühlt"

Rapper Casper unterwegs im "Hinterland".
Rapper Casper unterwegs im "Hinterland".
© Olaf Heine

In Ihren Stücken geht es um das Leben in der Provinz, ums Ausbrechen und Abhauen. Klassische Coming-of-Age-Themen. Der letzte Song heißt „Endlich angekommen“. Wird’s danach nicht langweilig?

Dann kann ich ja vielleicht mal dieses Aufbruchsthema hinter mir lassen und muss nicht länger als Projektionsfläche für jugendliche Angst und Befindlichkeiten herhalten. Abgesehen davon wollten wir einen Soundtrack zu einem imaginären Film schreiben, zu einem Road-Movie. Dass ich am Ende vom Ankommen erzähle, hat reale Bezüge. Es hat ewig gedauert, bis ich mich als Teil der Musikszene gefühlt habe. Ich habe Preise gewonnen, war zur Aftershow-Party beim Echo eingeladen. Aber ich habe mich da wie ein Fremdkörper gefühlt. Die letzte Platte hat mich extrem aufgewühlt: vom mittellosen Studenten wurde ich plötzlich zu einem Pop-Star, vor dessen Haustür Mädchen campen. Damit hatte ich extreme Schwierigkeiten. Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht.

Man könnte sagen: Sie sind der Schmerzensmann des deutschen Hip-Hop.

Schmerzensmann – was soll das denn sein? Klingt ja krass.

So nennt man Männer, die viel über ihre Befindlichkeiten nachdenken.

Echt? Ich glaube, der Deutsche hat Angst vor Gefühlen und davor, darüber zu sprechen. Sobald etwas keine ironische Metaebene hat, finden Leute das kitschig.

Dann lieber Emo-Rapper?

Ich selbst habe mich nie so gesehen, das Spiel aber ein Stück weit mitgespielt. Klar, schreibe ich emotionale Texte und habe einen Hang zu Pathos und Drama. Lars von Trier würde man ja auch nicht als Emo-Regisseur bezeichnen, bloß weil sich seine Art, Filme zu machen, von anderen unterscheidet. Nach meinem letzten Album gab es diesen Hype um mich, aber keine passende Schublade. Meine Musik war nicht richtig Indie, Rock war sie auch nicht. Also – zack! – Emo-Rap.

Immerhin attestiert Ihnen dieses Label eine Relevanz.

Das wiederum finde ich gut. Ich habe etwas aufgemacht, was sich Leute meinetwegen ausdenken mussten. Nur sehe ich mich darin nicht, denn es zeichnet ein Bild von jemandem, der den ganzen Tag Tolstoi liest, über die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert nachdenkt und basisdeprimiert in der Ecke kauert. Das stimmt ja nicht. Ich bin eigentlich ein relativ witziger Typ.

Beim Cover Ihres Albums kommt man da nicht unbedingt drauf. Zu sehen ist eine baptistische Taufe. Ein Priester steht mit einem Mädchen hüfttief im Wasser. Bedeutungsschwerer ging’s nicht?

Ich fand das Motiv im Zusammenspiel mit der Platte sehr stimmig und mag es eigentlich gar nicht kaputterklären. Der Geistesblitz dazu kam mir, als ich den Film ’“O brother, where art thou?“ geguckt habe. Darin gibt es auch eine Taufszene, die fand ich spitze. So einfach.

Sind sie religiös erzogen worden?

Ja, ein bisschen. Ich bin evangelisch getauft. Für meine Mutter hat Religion keine große Rolle gespielt, aber mein Vater ist Baptist und extrem religiös. Wenn ich ihn in den USA besuche, muss ich zum Gottesdienst, er geht da jeden Sonntag hin. Ich kann damit nichts anfangen. Das Konzept von Religion finde ich gruselig und vage. Deshalb sollte der Mann auf dem Cover ein bisschen irre gucken. Wie ein verrückter Vodoo-Priester.

Gibt es eine Zeile, die Ihnen zu emotional war und es nicht aufs Album geschafft hat?

Das hat es noch nie gegeben. Musik ist ein Dialog mit dem Zuhörer. Wenn ich jemandem etwas erzähle, bin ich sehr bildlich und emotional. Warum sollte ich meine Songs zensieren? Ich muss kein Stück über meine Blasenentzündung schreiben – das interessiert ja kein Schwein. Aber wenn ich ein Ereignis aus meinem Leben in einem Stück verarbeite, möchte ich das schon so ehrlich und intim wie möglich machen.

Benjamin Griffey alias Casper, 31, wurde in Extertal bei Lemgo geboren. Der Sohn einer Deutschen und eines Amerikaners verbrachte seine Kindheit in den USA und zog nach der Scheidung der Eltern mit der Familie zurück nach Deutschland. „Hinterland“, das am Freitag bei Four Music/Sony erscheint, ist sein drittes Album. Der Vorgänger „XOXO“, mit dem Casper als Retter des deutschen Hip- Hops gefeiert wurde, erreichte Platin-Status. Das Gespräch führte Nana Heymann.

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