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Verweile doch. Szene aus Jiri Kyliáns „Petite mort“, Teil der Staatsballett-Produktion „Duato, Kylián, Naharin“ vom Oktober 2015.
© Yan Revazov

Kulturpolitik in Berlin: Und jetzt wechseln

Seit einiger Zeit gibt es in Berlin regelmäßig Ärger bei Intendantenwechseln. Es herrscht Angst vor dem Neuen in der Stadt. Der neue Kultursenator, wenn es einen gibt, muss damit zurechtkommen.

Eine Schar von Tänzern, gewiss nicht alle Mitglieder des Ensembles, hält ein Transparent hoch: „rettet StaatsBallett“. Sie wehren sich gegen die vom Senat benannte neue Intendanz. Es ist ein trauriges Bild, weil man das Gefühl hat, dass diese Menschen benutzt werden von Funktionären, die bei einem Wechsel um ihre Posten fürchten. Traurig aber auch, weil das Staatsballett dringend frische Impulse braucht. Sasha Waltz und Johannes Öhman, den designierten Leitern, ist dieser Change zuzutrauen.

Angst vor dem Neuen. Sie äußert sich laut in der Berliner Kultur, an ganz unterschiedlichen Stellen. Der Fall Volksbühne ist noch nicht ausgestanden. Auch hier fordern, ähnlich wie beim Staatsballett, Teile der Belegschaft und viele bekannte Künstler von dem neuen Intendanten Chris Dercon ein schlüssiges Konzept, das sie überzeugen könnte. Als könne man ein ganzes Theater auf Jahre hin konzeptionieren wie irgendein einzelnes Projekt. Als gäbe es nicht schon genug öde Konzeptkunst. Am Berliner Ensemble wiederum wettert der scheidende Direktor Claus Peymann – nach siebzehn Jahren – mit unlauteren Behauptungen gegen seinen Nachfolger Oliver Reese. Schlechter Stil, nicht mehr witzig: Da muss man sich nicht vor dem Neuen, sondern vor dem Alten fürchten.

Institutionen der Kultur leben vom Wechsel. Kreativität, Karriere und Mobilität bedingen einander. Tanzensembles setzen sich international zusammen. Und weil in Berlin gerade so viel Unruhe herrscht wegen diverser Wechsel, muss man daran erinnern: In kaum einer anderen Stadt ist die Verweildauer der Intendanten so hoch. In Köln, Hamburg oder München sieht es anders aus.

Müller und Renner haben sich recht gut geschlagen

Berlin wächst, die Jahre des Sparens sind vorüber. Der Kulturetat spiegelt die Entwicklung. Auf diesem Gebiet haben sich der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller und sein Kulturstaatssekretär Tim Renner recht gut geschlagen. Sie hatten eine halbe Legislaturperiode. Die Unruhe in Teilen der Kulturszene wird durchaus von Müllers und Renners Kommunikationspolitik provoziert. Aber das allein reicht nicht, um den Widerstand gegen unkonventionelle Ideen zu erklären. Auch wenn schlecht informiert wird, bleiben gute Entscheidungen immer noch gut.

Es bleibt bei vielen Menschen der diffuse Eindruck von Überforderung, von zu viel Veränderung – Kultur soll da das Bestehende sein, das Verlässliche. Ein Stadtschloss, ein „Dornröschen“-Ballett.

Wer wird das Gemenge in Zukunft politisch managen? Im neuen Senat gibt es wieder zehn Senatoren, statt acht bisher. Ein eigenständiger Kultursenator ist möglich und bei einer Koalition aus drei Parteien auch wahrscheinlich, denn das zahlreiche Personal hat Begehrlichkeiten, und die Kultur verspricht einigen Glamour.

So sieht es schlecht aus für Tim Renner. Ihm fehlt der Parteigeruch, aber das war ja das Angenehme, Freche. Sollte die SPD den Kultursenator stellen, könnte er Björn Böhning heißen. Der Chef der Senatskanzlei ist zwar auch für andere Ressorts im Gespräch, aber er hat ein Auge auf die Kultur. Beim Medienboard und beim Musicboard ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats.

Kommt jetzt Klaus Lederer?

In der Wowereit-Zeit, nach der Demission von Staatssekretär André Schmitz, hat Böhning übergangsweise die Kultur verwaltet. Dass Tim Renner unter Björn Böhning Kulturstaatssekretär bliebe, ist schwer vorstellbar. Er besaß als Partner des Regierenden Bürgermeisters großen Gestaltungsspielraum, zumal sich Michael Müller in die kulturellen Angelegenheiten einarbeiten musste.

Die Ansiedlung der Kultur beim Berliner Regierungschef war anfangs eine Notlösung. Die Konstellation erwies sich dann aber als überwiegend vorteilhaft. Die Kultur profitiert davon, dass sie als Chefsache behandelt wird.

Häufig wird gefordert, dass die Kultur ein eigenes Ressort bekomme, das sei ihrer Bedeutung geschuldet. Das aber kann ein Irrtum sein – wenn die betreffende Person keine Hausmacht hat, keine starke Stellung im Senat.

Klaus Lederer hat kürzlich im Tagesspiegel einen Wechsel in der Kulturpolitik gefordert, „Vom Chef zur Sache“ . Der Berliner Chef der Linkspartei geht mit einem guten Wahlergebnis in die Koalitionsverhandlungen. Und mit Thomas Flierl hat die Linke schon einmal den Kultursenator gestellt. Kommt jetzt Lederer? Selbst in der „FAZ“ wird er in ziemlich hohen Tönen gelobt.

Zwischen Tourismus und Kreativwirtschaft findet sich die Kultur neuerdings wieder. Sie gilt als ein Motor der rasanten Veränderung der Stadt und soll, ohne dabei selbst unter die Räder zu kommen, einen positiven Part bei der Stadtentwicklung übernehmen. Kulturpolitik erscheint mittlerweile als Querschnittsressort. Nie war sie so attraktiv.

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