Krach am Berliner Ensemble: „Ein Ensemble wird vernichtet“
Schon wieder Ärger bei einem Intendantenwechsel in Berlin: Am BE poltert Noch-Chef Claus Peymann gegen die Nichtverlängerung vieler Schauspielerverträge und sagt: „Ich war naiv“.
Um 11 Uhr 33 geht’s endlich los mit dem Peymann-Gewitter. Zuvor hat sich der scheidende Chef des Berliner Ensembles ein bisschen warm geredet und vom „Prinzen von Homburg“ erzählt, den er als letzte Großtat in seiner letzten Saison inszenieren will. Jetzt endlich kommt er zur Sache, heißt: zur Zukunft des Theaters. „Das Haus brennt!“, zürnt Claus Peymann, der die von ihm sonst so ungeliebte Presse auf die Probebühne eingeladen hat. Ein gesamtes Ensemble werde „vernichtet, „ausgelöscht wie der Palast der Republik“. Ein beispielloser Vorgang in seinen Augen. Die überblicken immerhin 50 Jahre (eigene) Theatergeschichte.
Worum es geht? Peymanns Nachfolger als Intendant des BE ab 2017, Oliver Reese, wird wohl alle 35 derzeit festangestellten Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles nicht übernehmen. Obwohl die doch „von der ganzen Welt geliebt“ würden (Peymann). Obschon sich darunter auch Härtefälle befänden. Und damit nicht genug: von den rund 80 künstlerischen Verträgen am Haus (die auch Assistenten und Dramaturgen einschließen) wolle Reese nur zehn verlängern. Kultursenator Michael Müller müsse unverzüglich handeln, findet Peymann, in Richtung des Regierenden und seines Kulturstaatssekretärs Tim Renner ruft er: „Schauen Sie sich den Trümmerhaufen an, den Sie angerichtet haben!“
Bemerkenswert. In Berlin gibt es keinen Leitungswechsel mehr ohne Getöse, wie nach dem Volksbühnenzoff auch die Causa Sasha Waltz beweist. Zum Fall Oliver Reese (O-Ton Peymann: „In Frankfurt sind alle froh, dass sie ihn los sind“) hat die Kulturverwaltung im Wissen um das erwartbare Gepolter schon vorab eine Pressemitteilung herausgegeben. In der heißt es: „Von den rund 190 fest angestellten Mitarbeitern haben zu Beginn der neuen Intendanz etwa 15 Mitarbeiter das Rentenalter erreicht und gehen in Rente, andere haben bereits auf eigenen Wunsch neue Verträge mit anderen Häusern geschlossen.“ Man räumt allerdings ein: „Rund 30 Mitarbeiter im Künstlerischen Bereich erhalten voraussichtlich kein neues, festes Vertragsangebot“. Peymann dazu: „Ich würde mich auf die Zahlen des Senats nicht verlassen.“ Mit Zahlen haben’s Intendant und Chefdramaturgin Jutta Ferbers aber eh nicht so, da purzelt manches durcheinander.
Das BE war nie Mitglied im Deutschen Bühnenverein
Der springende Punkt ist sowieso ein anderer. Das BE war nie Mitglied im Deutschen Bühnenverein und daher nicht an den Normalvertrag Bühne gebunden, der eine Abfindung für die Schauspieler garantiert hätte. Das Haus besitzt die Struktur einer GmbH – mit Peymann als einzigem Gesellschafter. Die Verträge liefen bisher immer nach einem Jahr aus, wurden aber meistens verlängert. Damit, so Peymann, sei man gut gefahren. Unter anderem ermöglichte dies dem BE, Gewinne zu erwirtschaften und in die teuren Robert-Wilson-Inszenierungen zu investieren.
Dass Reese wegen der bisherigen, von Peymann verantworteten Vertragsform niemandem kündigen muss, sondern die Verträge auslaufen lassen kann, findet Peymann empörend, ja zynisch. Reese habe vielleicht das Recht auf seiner Seite, nicht aber die Moral. Auf die Frage, ob er die Folgen des GmbH-Modells denn nicht hätte absehen können, entgegnet der Intendant: „Ich war naiv“. Wozu man wissen muss, dass Naivität in Peymanns Theaterträumer-Kosmos ein Kompliment ist. Er selbst habe bei seinen Wechseln nach Stuttgart, Bochum oder Wien nie vergleichbar gehandelt, behauptet er. Ob das der Einzelfallüberprüfung standhielte?
Jetzt soll Peymann zufolge die Kulturpolitik für den Sozialplan im Umfang von einer Million Euro aufkommen, wie der Betriebsrat es fordert. Ob er über sein Amtsende hinaus Gesellschafter zu bleiben gedenke (Vorbild: Jürgen Schitthelm an der Schaubühne), darüber möchte Peymann sich nicht äußern. Nur eins weiß er gewiss: „Der Reese wird Ihnen alles ganz anders erzählen.“