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Sasha Waltz, Johannes Oehmann, Kulturstaatssekretär Tim Renner und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller im Roten Rathaus.
© DAVIDS/Sven Darmer

Streit um Ko-Intendantin Sasha Waltz: Berliner Staatsballett: Die Tänzer sind krawallerprobt

Krach um die neue Leitung: Wie sich das Berliner Staatsballett in die Ecke manövriert – und was Sasha Waltz dazu sagt.

Wenn das Berliner Staatsballett Schlagzeilen macht, dann sind sie in der Regel negativ. Intendant Vladimir Malakhov, zu seiner besten Zeit ein absoluter klassischer Spitzentänzer, wurde vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit unfreundlich aus der Intendanz gedrängt. Der Nachfolger Nacho Duato allerdings war eine schlechte Wahl, er hatte von Anfang an nicht das Standing, eine neue Phase einzuleiten. Nun soll er 2019 – oder auch schon früher – von Sasha Waltz und Johannes Öhman abgelöst werden.
Endlich Licht im Tunnel? Nein: Gegen die Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators Michael Müller hat das Ensemble des Staatsballetts in ungewöhnlich scharfer Form protestiert und verlangt, sie solle zurückgenommen werden. Abstimmung mit den Füßen. Die Tänzer sind krawallerprobt.
Im vergangenen Jahr bestreikten sie eifrig den Spielplan, acht Vorstellungen, von „Dornröschen“ zur „Bajadere“, fielen aus, es entstand ein Schaden von einer Viertelmillion Euro, viele Zuschauer waren verärgert. Ähnlich wie bei der Gewerkschaft der Lokführer ging der Streik beim Staatsballett um Fragen des Haustarifs und der gewerkschaftlichen Vertretung, nach außen kaum zu vermitteln.
Die Streikaktion war ein Knieschuss. Sie hat dem Ansehen des Balletts geschadet. Ein Streitpunkt war: Da die Tänzer ihre rund 120 Vorstellungen pro Saison in allen drei Opernhäusern der Stadt absolvieren, wechseln häufig ihre Wege zum Arbeitsplatz.

Künstler sind keine Beamten

Die Mehrheit der 80 Tänzerinnen und Tänzer zeigt sich jetzt auch künstlerisch und geistig nicht sehr beweglich. In der Protestnote auf der Kampagnenplattform change.org heißt es: „Sasha Waltz ist eine Tanztheater-Choreografin. Diese Form des Bühnentanzes benötigt andere tänzerische Qualitäten als die, die ein klassisch ausgebildeter Balletttänzer entwickelt hat und denen er sich verschrieben hat.“ Zur Auswahl einer ihrer Meinung nach geeigneten Intendanz fordern sie die Einrichtung einer Findungskommission, der „neben Vertretern aus Politik und Verwaltung auch Ballett- und Tanzexperten insbesondere auch Vertreter unseres Ensembles angehören“ sollen.
Davon hat man in der Welt der Bühnen noch nie etwas gehört. Personalpolitik gehört – mit allen Risiken – zum Gestaltungsspielraum der Kulturpolitiker. Damit einher gehen stets auch personelle Veränderungen an den Häusern, so läuft der Betrieb überall. Ensembles leben auch von der Fluktuation. Balletttänzer arbeiten in einem internationalen Geschäft. Andernfalls gäbe es nie eine Veränderung und Weiterentwicklung. Künstler sind keine Beamten.
Klaus Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz hatten damals einen Neubeginn am Staatsballett verbockt, bewiesen aber beispielsweise mit der Ernennung von Shermin Langhoff und Jens Hillje am Maxim-Gorki-Theater viel Gespür. Claus Peymann am Berliner Ensemble, Ulrich Khuon am Deutschen Theater, Jürgen Flimm an der Staatsoper und wie sie alle heißen – kein Intendant wurde vom Ensemble gewählt. Das müsste auch Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin des Staatsballetts, wissen. Sie ist seit 1987 in verschiedenen Funktionen in der Berliner Ballettszene tätig und gilt als graue Eminenz. Es heißt, sie habe mit der aktuellen Protestaktion nichts zu tun. Kaum vorstellbar: Denn das 2004 gegründete Staatsballett und davor auch das Ballett der Deutschen Oper hat sich nie wirklich offen für modernen Tanz gezeigt.

Der Fall hat Ähnlichkeit mit dem von Chris Dercon an der Volksbühne - und ist doch ganz anders

Sasha Waltz, Johannes Oehmann, Kulturstaatssekretär Tim Renner und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller im Roten Rathaus.
Sasha Waltz, Johannes Oehmann, Kulturstaatssekretär Tim Renner und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller im Roten Rathaus.
© DAVIDS/Sven Darmer

Compagnien von Rang verstehen sich auf beides – auf das klassische Ballett und den modern dance, dessen Entwicklung bis an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Pina Bausch hat mit ihrem weltberühmten Wuppertaler Tanztheater das Handlungsballett radikal weiterentwickelt. Sie selbst war klassisch und modern ausgebildet. Nur zum Vergleich: Ein klassisch ausgebildeter Orchestermusiker wird nicht bei Brahms und Mozart stehen bleiben und schon bei Strawinsky streiken. Schauspieler sollten Shakespeare und „Tschick“ draufhaben. Die Berliner Choreografin Sasha Waltz hat sich aus der Freien Szene hervorgearbeitet; eine einmalige Karriere. Sie hält sich zur Zeit zum Gastspiel mit „Dido und Aeneas“ an der Oper in Rom auf. Vor allem ihr „Sacre du Printemps“ bleibt in Erinnerung. Man muss kein Fan von ihr sein, um zu bemerken, dass sie von Ballett sehr viel versteht – sehr viel mehr als Chris Dercon von Theater. Seine Berufung als Nachfolger Frank Castorfs an der Volksbühne treibt die Stadt immer noch um, bereitet Michael Müller und seinem Kulturstaatssekretär Tim Renner mächtig Ärger.

Der Vergleich Waltz-Dercon zeigt freilich zwei fundamentale Unterschiede: Die Wahl Chris Dercons ist wagemutig und überraschend, während die Entscheidung für Sasha Waltz und Johannes Öhman, den künstlerischen Leiter des Königlich Schwedischen Balletts, fachlich nur bei einem rückwärtsgewandten, unflexiblen Ensemble Probleme bringt. Die Volksbühne gehört zu den einflussreichsten Theatern weltweit, was man vom Berliner Staatsballett nicht behaupten kann.
Im Gespräch mit dem Tagesspiegel sagt Sasha Waltz: „Als Choreografin und als Ko-Intendantin möchte ich eine Brücke bauen zwischen der Klassik und dem Zeitgenössischen Tanz. Ich vergleiche es mit einer Kunstsammlung, in der Werke von Albrecht Dürer über Picasso, Duchamp, bis zur Pop Art, Fluxus und zeitgenössischen Künstlern wie Gerhard Richter oder Ai Weiwei zu sehen sind.“ Sie hat mit Ballettensembles in Paris, Mailand, St. Petersburg und Amsterdam Erfahrung gesammelt und glaubt: „Ob klassisch oder modern, es kann gelingen, ein Ensemble zu schaffen, das sich begeistert und kämpferisch für die Klassik einsetzt, aber gleichzeitig sollte es offen sein für Veränderung, denn jeder Künstler braucht neue Impulse und Herausforderungen, auch die klassischen Tänzer.“

Michael Müller sagt, er sei mit sich im Reinen

Damit macht sie dem Ballettensemble ein Angebot, das auch eine Anforderung enthält. Auf jeden Fall will Sasha Waltz, so hat sie sich aus Rom geäußert, gemeinsam mit den Tänzern eine „Programmatik entwickeln, die Geschichte, Gegenwart und Zukunft abbildet." Johannnes Öhman wird an diesem Mittwoch in Berlin mit dem Ensemble sprechen. Er sagt: „Ich finde es sehr wichtig, dass diese Fragen von der Compagnie jetzt gestellt werden. Es zeigt uns als neuem, zukünftigen künstlerischen Team, dass wir den Dialog so früh wie möglich starten müssen.“ Öhmans Plan: „Das Staatsballett Berlin wird die Pflege des klassischen Balletterbes weiter pflegen und den Horizont durch das Neoklassische Ballett und den Zeitgenössischen Tanz erweitern.“ Das sollte im 21. Jahrhundert selbstverständlich sein. Modern dance ist im Grunde auch schon klassisch. Reine Spitzentanz-Nussknacker-Ensembles gibt es höchstens noch in Osteuropa, das braucht man in Berlin nicht. Michael Müller hält indessen an der Entscheidung fest und ist mit sich „im Reinen“, wie er am Dienstag auf der Staatsopernbaustelle erklärte (siehe den Artikel unten). Dort protestierte das Staatsballett stumm. Wir sind im Wahlkampf. Florian Graf, Fraktionsvorsitzender der Berliner CDU im Abgeordnetenhaus, nutzt die Gelegenheit, um für die Zukunft wieder ein eigenständiges Kulturressort im Senat zu fordern, um „derartige Alleingänge des Regierenden Kultursenators“ zu verhindern. Aufschlussreich ist die Meinung der Berliner Grünen: „Die Entscheidung für eine Doppelspitze aus Sasha Waltz und Johannes Öhman ist eine gute. Das Zusammendenken von klassischem und zeitgenössischem Tanz kann sich als große Stärke für das Staatsballett und die Tanzstadt Berlin erweisen.“ Doch Müller und Renner hätten wieder einmal miserabel oder gar nicht mit den Betroffenen kommuniziert.

Das ist in der Tat Michael Müllers große Schwäche. Es ändert aber nichts in der Sache. Künstlerisch kann sich das Berliner Staatsballett nur verbessern.

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