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Reflexe statt Reflexion. Szene aus „Hippolyte et Aricie“ mit Gyula Orendt als Thésée.
© Karl und Monika Forster

„Hippolyte et Aricie“ an der Berliner Staatsoper: Und immer an den Laser denken

Zum Start der Barocktage stattet der Künstler Ólafur Eliasson Rameaus „Hippolyte et Aricie“ aus. Simon Rattle dirigiert, Aletta Collins inszeniert.

Die Frage, wie man ein jüngeres Publikum für die Oper begeistern kann, hält die Theater derart in Atem, dass ihnen die Luft wegzubleiben droht. Es scheint, als trauten sich die ehemals uneinnehmbaren Staatstanker eine Rettung aus eigener Kraft im Grunde gar nicht mehr zu. Wann immer ein Bildender Künstler Lust dazu hat, Teile seiner Produktion auf die widerstandslos leergeräumte Bühne zu stellen, wird die Offerte dankend angenommen – und der Freundeskreis für die entstehenden zusätzlichen Kosten angehauen.

Oper will so aufregend sein wie die nächste Vernissage, will taxiert und beneidet werden, will sich bei bester Laune so teuer verkaufen wie nur irgend möglich. Dabei wächst die Gefahr der bloßen Anbiederung: Der sichere Tod für eine Unternehmung, die in ihrem Kern immer schon utopisch war und daraus ihre Kraft schöpft.

Auch Ólafur Eliasson hielt Opern für erstarrte Monster aus der Vergangenheit, ohne jeden offenen Raum für neue Sichtweisen. Inzwischen hat der dänisch-isländische Künstler aber nicht nur Installationen für Bühnen geschaffen, er hat auch Entwürfe für den Umbau von Opernhäusern geliefert. Für die Premiere im Rahmen der neubelebten Barocktage der Staatsoper, Jean-Philippe Rameaus Opernerstling „Hippolyte et Aricie“, hat der global Gefeierte sein Studio auf dem Pfefferberg durchforsten lassen.

Verschmelzung der Künste

Das über 100 Mitarbeiter starke Team hat dabei ein paar Dinge gefunden, die eigentlich noch ganz gut aussahen und ein paar Laser und starke Rauchrohre dazu kombiniert. Auch die wahrscheinlich teuerste Discokugel der Welt konnte so endlich mal realisiert werden und wirft, für wenige Augenblicke von der Saaldecke heruntergefahren, Unter den Linden mit Regenbogenfarbsprengseln um sich.

Eine Großorder runder Spiegel ersetzt die Reflektion durch Reflexe. Tänzer können mit zweien davon gleichzeitig hantieren, während der Chor jeweils ein Exemplar auf den Hüten trägt. Und siehe: Wer zweieinhalb Stunden mit einem Spiegel auf dem Kopf herummarschiert, den trifft auch mal ein Lichtstrahl.

Eliasson verortet seine eigene Erfahrung mit dem Wesen des Barocken in der Berliner Techno-Landschaft der 90er Jahre. Nebel, Licht, Bässe, Haut. Und das Gefühl einer Verschmelzung der Künste. Nebelwerfend will er daran in der Staatsoper anknüpfen, denn sichtbar wird seine Lichtkunst am besten, wenn der Raum zur Milchglasscheibe gefrostet ist. Die dichten Schwaden sind eine arge Herausforderung für Sänger und Musiker und bewirken die Verengung des Visuellen auf einen flachen Schirm aus Dunst. Auf ihm bewegen sich elf Tänzerinnen und Tänzer, zunächst als schwarze Gestalten im Bühnenschwarz mit dem Ausrichten von Spiegeln beschäftigt, später wellenartig durchs Bild fließend.

Implosion von Hass und Todessehnsucht

Die Truppe hört auf das künstlerische Kommando von Aletta Collins, die als Regisseurin geführt wird, aber eher die Aufgabe zu lösen hatte, irgendeine körperliche Bewegung um Eliassons Lightshow zu arrangieren. Das Ergebnis fällt erschreckend dürftig aus. Von einem Tanz-Vokabular kann keine Rede sein, und die Sänger werden stiefmütterlicher auf Lichtpunkte geschoben als bei jeder konventionellen Rampensingsause.

Es wäre viel Zeit gewesen, um etwas zu erzählen. Denn Rameaus Tragédie lyrique um Hippolytos, der Aricie liebt, aber von seiner Stiefmutter Phädra begehrt wird, schreitet langsam voran, entwickelt ihr Thema musikalisch mit großem Bogen. Im antiken Urstoff schlummern gewaltige Konflikte, etwa der, dass Hippolytos' Vater Theseus es war, der zur Sicherung der eigenen Macht die gesamte Sippe der Geliebten seines Sohn auslöschte.

Theseus hielt sich für so stark, dem Hades zu widerstehen und wird doch tödlich getroffen, als seine Frau sich in rettungsloser Leidenschaft zu seinem Sohn verliert. Es folgt eine Implosion von Hass und Todessehnsucht, Generationenverträge werden zerrissen, Weltbilder wanken. Wer hiermit nichts anzufangen weiß, der hat im Musiktheater nichts verloren. Es muss beileibe nicht zwangsläufig in jenen Baumarkt-Hyperrealismus münden, mit dem die Komische Oper 2017 Rameaus „Zoroastre“ knacken wollte.

Warten auf die Umbauarbeiten

An der Staatsoper hört man noch kurz den Akkuschrauber hinter dem geschlossenen Vorhang schurren, dann ein flehentliches „Halt, stopp!“. Irgendwas stürzt zu Boden. Verwandlungen im Theater müssen eben schneller gehen als Ausstellungsaufbauten, es geht um Fluss, um Leben statt Stop-Motion.

Simon Rattle wartet geduldig am Pult des Freiburger Barockorchesters. Er ist eigentlich ein Bewunderer von Rameaus Kunst, aus dem Strömen von Musik und Dichtung Charaktere zu formen, er begeistert sich für die schier unerschöpfliche Palette an Helligkeiten und Finsternis, die Klangfantasie und den Theatersinn des erst spät zur Oper gestoßenen Komponisten. Tragisch nur, dass man davon jetzt nicht allzu viel hören kann in der Staatsoper. Nicht einmal vermögen Rameaus virtuose Tempo-Rückungen Rattles Aufmerksamkeit tiefergehend zu fesseln. Wie viel farbiger, ansteckender klingen da in diesem Repertoire Marc Minkowski und seine „Les Musiciens du Louvre“, die am heutigen Dienstag ein Konzert mit Rameau und Mendelssohn in der Staatsoper geben.

Macht Oper, die begeistert!

Simon Rattles robustes, erstaunlich monochromes Musizieren schlägt denn auch keine wahrhaft elastische Brücke zur Bühne. Man spürt es auch daran, wie wenig das Sängerensemble zu seiner vollen Kraft findet. Magdalena Kozena ist eine bewegende Händel-Dramatikerin, ihre Phädra aber bleibt der gesellschaftssprengenden Kraft des Begehrens fern und spiegelt damit wider Willen auch den biederen Charakter dieser Aufführung. Und selbst eine beherzte Sängerdarstellerin wie Anna Prohaska wirkt hier als Aricia gehemmt, in ein Silberfolienkleid gepresst, das auch sie zu einer Ablenkstation von Eliassons Lichtstrahlen degradiert.

Reinoud Van Mechelen als Hippolytos und Gyula Orendt als Theseus verfügen über schöne, flexible Stimmen, die den Weg zu starken Charaktersängern finden könnten – wenn man sich mit ihnen auf den Weg dorthin begeben würde. Doch der Kunstnebel Unter den Linden erweist sich als undurchdringlich.

Nach dieser Barocktage-Premiere kann die Antwort auf die Eingangsfrage nur lauten: Macht Oper, die begeistert! Erzählt plastisch und lebendig. Teilt Leidenschaften, nicht Leihgaben! Das Saisonmotto der Berliner Staatsoper lautet übrigens „Furchtlos“.

Weitere Vorstellungen am 2., 4., und 6. sowie 8. Dezember

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