Schauspielerin Susanne Wolff über „Styx“: „Und dann begegnet einem die Wirklichkeit“
Die Schauspielerin Susanne Wolff spricht im Interview über das Hochseedrama „Styx“, den geschützten Raum der Fiktion und die Küstenwache auf Malta.
Eine Alleinseglerin vor der afrikanischen Küste, eine Notärztin, eine souveräne, selbstbewusste Frau. Rike (Susanne Wolff) übersteht einen Sturm und trifft auf ein havariertes Flüchtlingsboot. Menschen springen ins Meer, ein Junge schwimmt zu ihr hinüber. Schon den Jungen an Bord zu hieven, ist kaum zu schaffen, es sind zu viele, was tun? Weiterfahren? Die Flüchtlinge dem Tod überlassen? Rike setzt Notrufe ab, aber die Hochseefrachter in der Nähe haben die Anweisung, sich rauszuhalten. Wolfgang Fischers Film „Styx“ spitzt das Drama der Seenotrettung zum moralischen Dilemma zu, ruhig, in langen Einstellungen, ohne Soundtrack, fast ohne Worte. Seit der Weltpremiere auf der Berlinale hat „Styx“ auf fast erschreckende Weise an Aktualität und Dringlichkeit gewonnen. Die Schauspielerin Susanne Wolff, eine von Deutschlands renommiertesten Theater- und Filmschauspielerinnen, bestreitet den Film fast vollständig alleine. Wolff, Jahrgang 1973, hat sich als Ensemble-Mitglied des Hamburger Thalia Theaters und des Deutschen Theaters Berlin (bis 2016) einen Namen gemacht. Zurzeit steht sie am Nationaltheater Weimar als Macbeth und Lady Macbeth auf der Bühne, gemeinsam mit Corinna Harfouch. Am 6. Oktober feiert sie am Schauspiel Köln mit "Drei Schwestern" Premiere. Im Kino kennt man sie u.a. aus Emily Atefs "Das Fremde in mir", Dominik Grafs "Dreileben" und aus "Rückkehr nach Montauk" von Volker Schlöndorff.
Frau Wolff, „Styx“ spielt auf und vor Malta. Wenn Sie die Nachrichten aus Malta oder Italien hören, wo Rettungsschiffen mit Flüchtlingen die Hafeneinfahrt verweigert wird, was denken Sie dann?
Können wir bitte direkt wieder stoppen? Ich habe einen Film gedreht und habe natürlich eine persönliche Meinung, darüber spreche ich privat. Und es gibt meine Position als Schauspielerin. Der Unterschied ist mir wichtig. Sonst besteht immer die Gefahr eines aus dem Zusammenhang gerissenen Statements.
Sie haben zwei Monate dort gedreht, hatten Sie Kontakt zur Küstenwache?
Malta ist wegen seiner geografischen Lage einer der ersten Orte, die von Flüchtlingsbooten aus Afrika angesteuert werden können. Zunächst war ich erstaunt, wie wenig man dort von den Flüchtlingen mitbekommt. Es lag natürlich auch daran, dass wir im Norden bei Gozo untergebracht waren und meistens auf dem Meer drehten. An unserem Drehtag im Hafen kam ich mit Leuten von der Küstenwache ins Gespräch. Es war der intensivste Moment für mich: Einer der Männer erzählte, worin sein Beruf besteht, von den alltäglichen, oft unvorhersehbar dramatischen Erlebnissen. Als Figur würde man so jemanden auch dramatisch spielen. Aber er sprach ganz ruhig. Das hatte eine irrsinnige Wucht, gerade weil es so unspektakulär war. Als Schauspielerin agiere ich in einem geschützten Raum, und dann begegnet einem die Wirklichkeit auf diese undramatische Art und Weise. Da hält man dann einfach mal den Mund.
Sie spielen eine sogenannte Einhandseglerin, die fast den gesamten Film über alleine ein großes Segelboot navigiert. Sie haben selber einen Segelschein.
Im Film segle ich ein Boot mit Steuerrad und Autopilot, das ist schon anders als mit einer kleinen Ruderpinne. Ich wollte das so überzeugend wie möglich darstellen. Die Handgriffe mussten sitzen, sonst ist es peinlich oder lenkt ab, noch dazu bei den vielen langen Takes. Im Drehbuch von Regisseur Wolfgang Fischer und Co-Autorin Ika Künzel geht es um eine Frau, die absoluter Profi ist, in ihrem Beruf als Notärztin und bei ihrer Leidenschaft als Seglerin. Das Faszinierende an Profis ist ja, dass sie ruhig sind und es sehr lange dauert, bis sie an ihre Grenzen kommen.
Wie ist es, fast einen gesamten Film alleine zu bestreiten?
Es ist ein großer Genuss, von Anfang bis Ende dabei zu sein. Man reist nicht an und ab wie bei anderen Drehs, das gibt einem eine gewisse Stärke. Gleichzeitig fehlen einem die anderen. Das Ensemblespiel finde ich in der Regel angenehmer.
Die Kamera auf dem Boot ist ständig in Ihrer Nähe. Was haben Sie für ein Verhältnis zu ihr: Ist sie eine Komplizin oder auch mal ein feindliches Gegenüber?
Es gab wenig Platz auf dem Boot, wir waren zu acht, maximal zu zehnt. Die Kamera war auf der Kajüte positioniert, in der Kajüte, an den Seiten oder direkt hinter mir am Steuer, mit einer Spezialkonstruktion. Sie war für mich ein Bestandteil des Boots. Bei meinen ersten Filmen habe ich die Kamera gerne ausgeblendet. Ich dachte, nur so funktioniert naturalistisches Spiel. Heute denke ich, ich hätte mich manchmal etwas weniger wegdrehen können. Aber bis heute will ich beim Drehen nicht wissen, wie groß oder klein eine Einstellung ist.
In „Styx“ sehen wir einer Frau beim Denken zu, es gibt kaum Dialoge. Moralische Fragen wie die, ob man zu helfen versucht, obwohl es aussichtslos ist, werden über Mimik und Gestik erörtert. Wie geht das?
Es darf keine hohle Bewegung sein, kein Hin und Her von Requisiten. Wenn ich etwa eine Seekarte aufklappe und die Ecken befestige, geht es nicht darum, den Ablauf so schnell wie möglich hinzukriegen. Nicht dass ich darüber nachdenke, aber ich ziehe da zum Beispiel eine kleine Schnur unter der Karte heraus, eine Geste der Sorgfalt. Vielleicht sind es solche Details.
Würden Sie sich als Method Actress bezeichnen?
Man kann mit sehr verschiedenen Techniken ans Ziel gelangen. Ich liebe das Wahrhaftige, ich finde es hilfreich, wenn in einer Telefonszene am anderen Ende tatsächlich jemand mit mir spricht.
Sie sagten einmal, Sie gehen durch Ihre Rollen hindurch.
Nein, andersherum, die Rolle geht durch mich durch. Ich lese ein Drehbuch, oft ist es ein Satz oder eine Handlung, eine vielleicht seltsame Geste, die eine Figur für mich kenntlich macht. Ich versuche dann herauszufinden, an welches Gefühl oder welche Erfahrung ich das koppeln könnte: eine Unerbittlichkeit zu haben oder einen Ehrgeiz, eine Wut, eine Traurigkeit.
Was machen Sie vor der Kamera anders als auf der Bühne?
Was beim Film zu viel ist, ist auf der Bühne zu wenig. Wer 600, 800 Leute im Saal erreichen will, braucht eine gewisse Form der Raumverdrängung, der Ausstrahlung. Man muss es in die Stimme setzen können. Ich spiele über Bande, kann nicht eine einzelne Person adressieren und das Publikum vergessen, dann reicht die Energie nicht bis in die 17. Reihe. Und ich muss über zwei, drei Stunden die Spannung halten Das ist für mich ein sehr viel lustvollerer Vorgang als ein 15-Sekunden-Take.
Alexander Scheer sagt, dass er als Schauspieler die Verausgabung im Theater liebt: „Ich muss das Biest reiten“. Ist Ihnen das vertraut?
Total.
Warum sind Sie denn 2015 vom Deutschen Theater unter Leitung von Ulrich Khuon weggegangen?
Es gab eine Auseinandersetzung, bei der mir klar wurde, dass ich dort nicht mehr sein kann. Das hat alle überrascht, mich auch.
Gibt es genug gute Frauenrollen, Frau Wolff?
Sie wollten ursprünglich Buchhändlerin werden. Hatten Sie Vorbilder als Schauspielerin? Marie Bäumer sagt, sie wollte schon als Kind Pippi Langstrumpf sein.
Bei mir fing es anders an, mit „Rumpelstilzchen“ auf der Grundschule. Ich bewarb mich um die Prinzessin, aber die Rolle bekam eine andere Susanne, eine mit dicken blonden Haaren. Bei der Aufführung in der Schulaula merkte ich dann, dass Rumpelstilzchen die viel interessantere Rolle ist. Eine interessante Erkenntnis, die sich später in Bezug auf Frauenrollen fortsetzte. Im Literaturkurs vor dem Abitur machten wir „Unsere kleine Stadt“ von Thornton Wilder, da war ich die Erzählerin. Ich war angezogen wie Madame Butterfly, trug eine unmögliche Perücke und ein rotes Brokatkleid, wenn ich mich recht erinnere. Für Schultheater war das ganz schön überkandidelt. Ich dachte mir dann, wenn meine Eltern und Freunde hinterher sagen, das mit dir auf der Bühne macht Sinn, dann mache ich weiter.
Gibt es genug gute Frauenrollen im Theater, im deutschen Film?
Ich kann mich nicht beschweren. Am Theater habe ich viele schöne, große Rollen gespielt, und im Film gibt es gerade eine deutliche Tendenz zu mehr Frauen in Protagonistenrollen. Ob eine Rolle gut ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab: vom Regisseur, von den Kollegen, von der eigenen Verfassung, an welchem Punkt des Lebens man gerade steht, wo man spielt und was aktuell gerade los ist. Auch die unbedeutendste Rolle kann übrigens groß werden. Für Martin Kusej habe ich in „Edward II.“ den Lightborn gespielt, den Mörder. Ich habe fast nichts gesagt, bin über die Bühne geschlurft, aber es ist mir unvergesslich. Weil der Regisseur mir viel Raum gab. Ich habe sogar gesungen, davor habe ich eigentlich riesige Angst.
Wieso das?
Singen finde ich unfassbar intim. Eigentlich seltsam, dass ich da so schüchtern bin, denn ich bin katholisch aufgewachsen und in der Kirche haben wir viel gesungen.
Fällt beim Singen der Schutzraum der Fiktion weg?
Gute Idee.
Othello, Kreon, jetzt Macbeth, Sie haben schon öfter Männer gespielt. Begreift man etwas über Männer und Frauen, wenn man als Frau einen Mann spielt?
Es geht manchmal ins Groteske, in die Übertreibung. Im Schottenrock extrem breitbeinig auf einer Bank sitzen, sich aufstützen wie ein Affe und zwischen den Beinen baumeln Genitalien, das würde ich bei einer Frauenrolle eher nicht anbieten. Ich kann sehen, wie sich das anfühlt, wenn man auch noch guckt, als ob man kein Wässerchen trüben könnte. Das ist ein lustvoller Vorgang.
In der „Zeit“-Rubrik „Ich habe einen Traum“ träumten Sie davon, als Gangster im Untergrund zu leben, in Ciudad Juarez in Mexiko, einer der gefährlichsten Städte der Welt. Was ist das für eine Sehnsucht?
Vielleicht liegt die Verführung des Bösen in dem Gedanken, dass das Spielen dann noch mehr kostet. Weil es ein Spiel mit dem echten Leben wäre. Ich brauche Energie, vibrierende Energie, nicht nur für die Arbeit. Ich bin schnell unglücklich, wenn das Leben zu langsam wird. In Frankfurt am Main habe ich meine erste Regiearbeit mit Schauspielstudenten gemacht. Das war großartig, denn ich stand im Auge des Taifuns. Ständig musste ich die verschiedensten Fragen beantworten und Entscheidungen treffen.
Was halten Sie von Initiativen wie ProQuote Film, die im Zuge der MeToo-Debatte ja Fahrt aufgenommen hat?
Ich habe schon viel mit Frauen gearbeitet, mit Emily Atef, Claudia Garde oder Nicole Weegmann. Ich habe keine klare Meinung dazu. Es ist ein Fakt, dass man in der Film- und Kunstszene nicht einfach nur mit Leistung überzeugen kann. Da kommen Faktoren zum Tragen, die jenseits von Können, Wissen und Begabung liegen. Also sollte man eine Zeit lang vielleicht doch Richtlinien einführen. Von alleine pendelt sich die Ebenbürtigkeit von Männern und Frauen anscheinend nicht ein.
Die Notärztin Rike in „Styx“ segelt zur Entspannung zu einem weit entfernten Inselparadies. Was machen Sie zur Entspannung?
In meinen 18 Jahren Festengagement bin ich in den Theaterferien möglichst weit gereist und möglichst verrückt, Mexiko ist ein gutes Beispiel. Die Totalüberforderung war meine Entspannung. Jetzt bin ich beruflich viel mehr unterwegs, zuletzt etwa in Amsterdam, für den Film „Bloody Marie“. Da bin ich gerne mal wieder zuhause.
"Styx" läuft in Berlin in den Kinos Babylon, Cinemaxx Potsdamer Platz, Delphi Lux, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe und Passage.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität