MeToo und Pro Quote Film: Familienministerin Barley unterstützt Frauenquote in der Filmbranche
Die MeToo-Debatte am Rande der Berlinale geht weiter: Auf Einladung von Pro Quote Film diskutierten Schauspielerinnen und Fernsehverantwortliche über sexuelle Gewalt.
Sprache ist ein feiner Seismograf. Gerade den noch nicht vollzogenen Bewusstseinswandel zeigt sie unerbittlich an. Das musste auch Thomas Kleist, der Intendant des Saarländischen Rundfunks, bemerken. Am Montagnachmittag erzeugt er durch den von ihm gebrauchten Begriff "Sexskandal" im Zusammenhang mit der Debatte um den sexuellen Missbrauch in der Film- und Fernsehbranche einigen Aufruhr im Tipi am Kanzleramt.
"Machtmissbrauch" korrigieren ihn erboste Zwischenruferinnen, worauf er sich rasch selbst korrigiert. Das ist eine Wortwahl, die bei der Diskussionsrunde "Kultur will Wandel" zu sexualisierter Belästigung und Gewalt in der Film- und Fernsehbranche besonders schwer wiegt. Hatte doch zu Beginn Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, lang und breit angemahnt, dass es bei Wedel, Weinstein und anderen Fällen nicht um "Sexskandale im Showbusiness" geht, wie es die Boulevardmedien gern darstellten, sondern um strukturelle Gewalt, die Männern in Machtpositionen abhängigen Frauen antun.
Die Veranstaltung gehört zu den Berlinale-Aktivitäten der Gleichstellungsinitiative ProQuote Film, die vor kurzem aus dem Verein ProQuote Regie und anderen Filmschaffendenverbänden hervorgegangen ist. Eingeladen haben außerdem der Bundesverband Schauspiel und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Im voll besetzten Tipi diskutieren die ProQuote-Mitgründerin Barbara Rohm, die Schauspielerinnen Jasmin Tabatabei, Natalie Wörner, ihr Kollege Hans-Werner Meyer, sowie der Produzent Michael Lehmann von Studio Hamburg, die stellvertretende ZDF-Programmdirektorin Heike Hempel und der SR-Intendant Kleist.
Familienministerin Barley spricht sich für die Frauenquote aus
Auch Frauenministerin Katarina Barley (SPD) hält eine Begrüßungsrede, in der sie ihre Sympathie für die Forderungen der ProQuote-Bewegung bekundet. ProQuote fordert, die Hälfte der Fördergelder und Regieaufträge an Frauen zu vergeben und bei allen Filmgewerken und Filmrollen eine 50/50-Verteilung qua gesetzlicher Regelung zu erzielen. Auch Barley betont, dass es in Missbrauchsdebatte um Macht und nicht um Sex geht. Da sei die Filmbranche auch ganz gewiss kein Einzelfall. "Die Machtverhältnisse und die Gesetze müssen sich ändern." Die erst vor wenigen Tagen von zwölf Verbänden der Film- und Fernsehbranche gegründete Anlaufstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) finanziert, nennt Barley einen Meilenstein. Eindringlich gerät ihr Appell an die anwesenden Produzenten und Fernsehleute, ihre Verantwortung für emanzipierte Frauenbilder ernst zu nehmen. Ihr habe sich als Teenager eine Episode aus der Fernsehserie "Hart aber herzlich" eingebrannt, in der die Hauptdarsteller Robert Wagner und Stefanie Powers sich folgenden Dialog liefern. Sie: "Schatz, was liebst du eigentlich am meisten an mir?" Er: "Dass du noch nie Nein zu mir gesagt hast." Zwei Sätze, die 35 Jahre später im Tipi entgeistertes Gelächter ernten.
Sonst hält sich der Erkenntnisgewinn der großen, nur knapp anderthalbstündigen Diskussionsrunde in Grenzen. Die wiederholten Versuche der Moderatorin Verena Lueken ("Frankfurter Allgemeinen Zeitung") konkrete Zusagen und Ideen bei Schauspielerinnen und Senderverantwortlichen abzufragen, wie sich sexuelle Übergriffe zukünftig verhindern lassen und eine Geschlechtergerechtigkeit in Film und Fernsehen schnell erreicht werden kann, laufen ins Leere. Auch ihre Absicht, das Beispiel Schweden heranzuziehen, wo offenbar nicht nur Gelder und Posten, sondern auch Drehbuchinhalte quotiert werden, verpufft.
Es gibt auch deutsche Frances McDormands
Natalie Wörner lehnt ein Regelwerk für das Verhalten bei Filmdrehs ab, weil sie die künstlerische Freiheit in Gefahr sieht. ProQuote-Aktivistin Jasmin Tabatabei glaubt dagegen, dass ein Leitfaden, der benennt, was bei Castings verlangt und nicht verlangt werden kann, jungen Schauspielerinnen helfen könne. In Sachen Frauenbild fordert sie einmal mehr Rollen, in denen berufstätige Frauen - ausdrücklich auch über 35 - aktiv die Handlung voranbringen und nicht nur als passives Anhängsel der Männer fungieren. Ein Grund für ZDF-Programmdirektorin Henkel zu betonen, dass ihr Sender durchaus auch attraktive Rollen für Frauen um die 60 anböte. "Wir haben auch deutsche Frances McDormands!", sagt sie mit Blick auf Jutta Speidel, die im Publikum sitzt, und nennt Namen wie Ulrike Kriener und Hannelore Hoger.
Und Michael Lehmann, der Geschäftsführer von Studio Hamburg wird von ProQuote gelobt, weil er sein Haus freiwillig auf die Frauenquote verpflichten will. Er sei immer wieder erschüttert, über das Frauenbild in der eigenen Branche: "90 Prozent der Mädchen in Zeichentrickfilmen haben eine Taille, mit der ein Mensch nicht lebensfähig ist." Viel zu tun also für die Film- und Fernsehschaffenden, die durch den Branchentreff Berlinale im Tipi reichlich vertreten sind. Konsens über den nötigen Strukturwandel jedenfalls scheint zu bestehen. Nun müssen nur noch die Mittel verhandelt werden. Oder wie Verena Lueken bei ihrer freundlichen Begrüßung der Männer sagt: "Es geht ja heute um die Veränderung von Machtstrukturen, da sind Sie sicher heute hier, um welche abzugeben!"
Einzige Irritation: Der kurze Auftritt der "120-Dezibel-Bewegung", die das Forum für ihre Zwecke nutzt. Ein paar junge Frauen klettern auf die Bühne und entfalten ein Plakat mit der Aufschrift "Die Stimme der vergessenen Frauen". Dazu schrillt das Geräusch von Taschenalarmen durch das Zelt, den einige im Raum verteilte Protestler erzeugen. Die der politisch rechts stehenden "Identitären Bewegung" nahe stehende Truppe demonstriert mit der Aktion gegen "importierte" sexuelle Gewalt. Nach einer kurzen Konfusion und Publikumsrufen wie "Nazis raus" und "Rechte raus" ziehen die jungen Frauen und Männer wortlos ab und die Diskussion geht weiter.