Berlinale 2018: "Styx" im Panorama: Das Meer kennt keine Moral
Packend und puristisch: Wolfgang Fischers Drama "Styx" erzählt vom moralischen Dilemma einer Seglerin, die einem Flüchtlingsboot begegnet.
Kontrolle und Moral, sie sind dem Mitteleuropäer ein hohes Gut. Eine Frau wie Rieke, die Notärztin aus Köln, will das Richtige tun. Selbstbestimmt sein, einen erfüllenden Beruf haben, einen herausforderndes Hobby ausüben, im Urlaub auf eine ökologisch korrekte, sportliche Bildungsreise gehen. Und zwar zu einem Paradies im Südatlantik, der Tropeninsel Ascension, auf der Charles Darwin einst ein Dschungelbiotop anlegen ließ.
Von Gibraltar aus sticht Rieke mit einem Zwölf-Meter-Boot in See. Den Proviant hat sie so wohlüberlegt gepackt, wie sie auf einen heraufziehenden Sturm reagiert. Es ist eine Freude, Susanne Wolff als Einhandseglerin bei jedem Handgriff zuzusehen, so wie es Benedict Neuenfels' dokumentarische Kamera in der ersten Hälfte von Wolfgang Fischers ozeanischem Kammerspiel „Styx“ macht.
Auf die Schweigeetüde folgt schreiende Not
Was auf die nur vom Geräusch von Wind und Wellen erfüllte Schweigeetüde folgt, ist ein schreiendes moralisches Dilemma. Am Horizont dümpelt ein überladenes, wrackes Flüchtlingsboot. Rieke ist Ärztin, sie will und muss helfen, aber sie will auch überleben. Und so viele Menschen passen unmöglich aufs Boot. Der über Bord gesprungene Junge (Gedion Oduor Wekesa), den sie mühsam aus dem Wasser fischt, ist Zeuge, wie sie verzweifelt um Hilfe funkt – und weder Küstenwache noch Handelsschiffe reagieren. Obwohl sie zur Rettung Schiffbrüchiger verpflichtet sind.
Dieser humanitäre Regelbruch schockiert die Ärztin, die bei einem Autounfall in Köln zu Beginn des Films als exemplarisches Mitglied einer gut geschmierten westlichen Rettungsmaschinerie eingeführt wird. Auf hoher See ist die dann – zumindest für Afrikaner – null und nichtig. Und das amoralische Meer hat sich seit Beginn der Flüchtlingskatastrophe längst in den der griechischen Mythologie entlehnten Unterweltsfluss Styx verkehrt, der die Lebenden von den Toten trennt.
Diese tragische Verheerungen gewissermaßen in den von Wind, Salz und Erschütterung geröteten Augen einer sachlichen deutschen Ärztin gespiegelt zu sehen, ist eine formal wie inhaltlich überaus beeindruckende Idee. Gerade auch in ihrer Körperlichkeit. Leicht auszuhalten jedoch ist sie nicht.
17.2., 10 Uhr (Cinemaxx 7), 18.2., 14.30 Uhr (Cubix 9), 19.2., 19.30 Uhr, (Cinestar Imax), 25.2., 21.30 Uhr (Zoo Palast 1)