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Eurasien statt Europa. Ein prorussischer Separatist verbrennt die EU-Flagge, im Dezember 2013 in Sewastopol auf der Krim.
© Imago

Die Ukraine und Putins anti-europäischer Kurs: Ultranationalisten aller Länder, vereinigt euch!

Nicht nur in der Ukraine versucht Russland, Europa zu destabilisieren. Auch in Estland, Italien oder Frankreich findet Putin Verbündete, indem er die extreme Rechte dort unterstützt. Ein Essay.

Sofi Oksanen lebt als Schriftstellerin und Dramaturgin in Helsinki. Sie wurde 1977 als Kind einer Estin und eines Finnen im Jyväskylä geboren. Ihre Herkunft hat sie schon früh politisiert, sie äußert sich häufig zu politischen Fragen. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch der Roman „Stalins Kühe“. Ihr neuer Roman „Als die Tauben verschwanden“ kommt im August bei Kiepenheuer & Witsch heraus.

2007 erhielten einige finnische Staatsbürger ein zehnjähriges Einreiseverbot für Estland. Der Grund: Sie wollten dort Hitlers Geburtstag begehen. An den Vorbereitungen für die Feier wirkte ein nach Estland übergesiedelter finnischer Jurist mit, der auch in der rechtsextremen Unabhängigkeitspartei Estlands aktiv ist. Zur selben Zeit trat eine Gruppierung an die finnische Öffentlichkeit, die die ehemals sowjetische Besetzung Estlands leugnet. 2009 gründete diese Gruppe dann das Antifaschistische Komitee Finnlands und gab den staatsgelenkten russischen Medien Interviews. Sie behauptete, in Estland floriere der Faschismus, der Staat sei im Grunde fiktiv. Und die Deportationen der Esten unter Stalin seien reine Urlaubsreisen gewesen.

Für Russland bedeutet "Faschismus" EU-Freundlichkeit

In anderen Ländern tauchten ähnliche Akteure auf. Sie bekämpften dieselben imaginären Feinde – genau wie Russland dieses Frühjahr bei seinem Kampf gegen die vermeintlich faschistische Regierung der Ukraine. Für Russland ist „Faschismus“ in Bezug auf seine ehemaligen Kolonien ein Synonym für EU-Freundlichkeit.

2007 war auch sonst ein ereignisreiches Jahr für die Estland-Front: Russland leistete heftigen Widerstand gegen die Verlegung des Denkmals für den Sowjetsoldaten aus dem Zentrum von Tallinn auf einen Friedhof, und Estland wurde Ziel eines Cyberangriffs. Pro-Russland-Demonstranten, wie sie aus der Ukraine bekannt sind, wurden herbeigeschafft. Erstmals versuchte Russland, sich offen in die inneren Angelegenheiten eines EU- und Nato-Landes einzumischen.

Die finnisch-estische Schrifstellerin Sofi Oksanen. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch der Roman "Stalins Kühe" (Kiepenheuer & Witsch).
Die finnisch-estische Schrifstellerin Sofi Oksanen. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch der Roman "Stalins Kühe" (Kiepenheuer & Witsch).
© dpa

Der Streit um den Bronzesoldaten und der Georgienkrieg 2008 waren Generalproben. Sie zeigten, dass der Westen auf die Expansionstätigkeit Russlands mit einem schwachen Arsenal reagiert.

Die Mitglieder des Antifaschistischen Komitees Finnlands waren eng mit den Leuten befreundet, die in Estland die Feier zu Hitlers Geburtstag organisierten. Seltsam! Ich verstand damals nicht, wie diese einander scheinbar fern stehenden Gruppierungen verbunden waren.

Berufsprovokateure schätzen unverhohlen Neonazi-Requisiten

Heute gibt es auch andernorts solche Verbindungen. Die als antifaschistische Demonstranten auftretenden Berufsprovokateure schätzen im Privatleben unverhohlen die traditionellen Neonazi-Requisiten. Und die Prinzipien der neuen Ideologie Russlands, der Eurasismus, wie ihn der Publizist Alexander Dugin vertritt, finden überall bei der extremen Rechten Anklang: Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, Anti-Amerikanismus und Ablehnung der EU. Von den 24 extremen Rechtsparteien in Europa neigen 14 offen Russland zu, sieben verhalten sich neutral. Nur drei, darunter die „Wahren Finnen“, stehen der Politik Russlands ablehnend gegenüber. Die extreme Rechte Italiens sieht in Russland eine Mustergesellschaft, die die christlichen Werte gegen die Immigranten verteidigt. Die Vertreter von Jobbik, der drittgrößten Partei Ungarns, Marine Le Pen vom französischen Front National und die griechische Faschistenpartei Goldene Morgenröte sind in Moskau stets willkommen. Russische Medien haben für sie immer Zeit.

Unterstützt Russland sie auch finanziell? Der Nachweis dafür ist meist schwierig, handelt es sich doch um ein korruptes, auch auf Regierungsebene Geldwäsche betreibendes Land. Klar ist allerdings, dass ultranationalistische Vertreter der italienischen und der spanischen Regierung auf den Gehaltslisten Russlands stehen. Russland erwartet, dass die Parteien, die seine Politik befürworten, bei den Wahlen am 25. Mai erfolgreich abschneiden und ins EU-Parlament einziehen, möglichst mit 20 Prozent. Sie alle wollen dasselbe: die Destabilisierung der EU.

Warum Nationalisten und extrem rechte Gesinnung in Osteuropa auf Zuspruch stößt

Ein prorussischer Aktivist am 1. Mai in der ostukrainischen Stadt Donetsk. "Tod dem Faschismus" steht auf der Stalin-Fahne.
Ein prorussischer Aktivist am 1. Mai in der ostukrainischen Stadt Donetsk. "Tod dem Faschismus" steht auf der Stalin-Fahne.
© AFP

Oh ja, jeder extreme Nationalist kann von Moskau lernen, hat Russland doch bewiesen, dass es rassistische Verbrechen in eine Landessitte, Antischwulenpropaganda in ein Gesetz und Menschenrechtsorganisationen in zweifelhafte ausländische Agenten verwandeln kann. Beides, die Aggression gegen Estland samt seiner Geschichte, und die Zahl der Vereine, die sogenannte Landsleute-Politik betreiben, wächst nicht zufällig gerade jetzt. Schon die „Farbrevolutionen“ in Georgien, der Ukraine oder Kirgisistan hatten den Kreml veranlasst, darüber nachzudenken, ob weitere Aufstände die ehemaligen Kolonien endgültig dem Moskauer Zugriff entreißen und sich Ähnliches in Russland selbst abspielen könnte.

Gleichzeitig sorgen neue Formen der Energieproduktion dafür, dass die Energieabhängigkeit von Russland in Zukunft nicht mehr zwingend ist. Gerade Estland hat entscheidende Schritte in Richtung Energieunabhängigkeit unternommen. Früher hatte das russische Gas in Estland einen guten Ruf; es war billig, die Verteilung funktionierte. Die Gasgesellschaft Eesti Gaas gehörte der vom Kreml kontrollierten Gazprom, von ihr bezog sie ihr gesamtes Gas. Nun hat man in den baltischen Ländern begonnen, aktiv nach Kooperationspartnern zu suchen, die keine engen Beziehungen zum innersten Kreis um Putin hatten. Anders als zum Beispiel die Ölgesellschaft Gunvor, das weltweit viertgrößte Ölunternehmen, deren Aufstieg parallel zu Putins Karriere verlief. Putin ist der reichste Mann Europas und Asiens: Wikileaks-Enthüllungen zufolge basiert sein Vermögen auf Gunvor.

Russlands Gas: Über den Energie-Export kann korruptes Geld frei fließen

Russland muss sich also mit Parteien verbünden, die im EU-Parlament sitzen, weil seine Energiemärkte von EU-Beschlüssen abhängig sind. Diese Verbündeten findet es bei korruptionsanfälligen Politikern – und bei der extremen Rechten. Russland braucht Europa, sofern die Länder russisches Öl und russisches Gas haben wollen. Denn nur über den Energie-Export kann korruptes Geld frei fließen. Russland geht seinem Interesse an einer uneinheitlichen EU nach, indem es mit dafür sorgt, dass dort ein russlandfreundlicher, separatistischer Block agitieren kann. Wobei die rechtsextremistischen Parteien in Osteuropa einen anderen Hintergrund haben als diejenigen im Westen des Kontinents.

Die finnisch-estische Schrifstellerin Sofi Oksanen. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch der Roman "Stalins Kühe" (Kiepenheuer & Witsch).
Die finnisch-estische Schrifstellerin Sofi Oksanen. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch der Roman "Stalins Kühe" (Kiepenheuer & Witsch).
© dpa

Der Zusammenbruch des sowjetischen Einparteiensystems Anfang der neunziger Jahre zog vielfältige Parteiaktivitäten nach sich, jede antisowjetische Alternative war gut, auch solche im ultrarechten Spektrum. Das mag aus Sicht des Westens befremdlich sein, es sei dann, man bedenkt, dass die Länder im Osten jahrzehntelang unter der Knute eines totalitären Regimes litten. So zogen finnische Neonazis nach Estland, weil sie hier freier agieren konnten. Im unabhängig gewordenen Estland boten noch mangelhafte Gesetze Schlupflöcher, auch für Korruption. Ähnliches geschah in anderen osteuropäischen Ländern. Überdies konnten die Ostblockstaaten in der Zeit ihrer Abschottung nicht an der Aufarbeitung der Vergangenheit teilnehmen, des Weltkriegs, des Faschismus und Stalinismus. Ganze Generationen wuchsen mit dem von der Sowjetunion propagierten Geschichtsbild auf. Auch die Menschenrechtsentwicklung und die jahrzehntelange Arbeit des Westens für die Rechte sexueller Minderheiten blieben ihnen versagt.

Es ist auch kein Wunder, dass die Bevölkerung dieser Länder gegenüber Fremden und Flüchtlingen misstrauisch ist. Menschen, die eine fremde Sprache sprechen, waren vor allem im Zuge der Umsiedlungsaktionen Stalins gekommen, man nannte sie auch Besatzer. Es waren die Jahre der Russifizierung und der Unterdrückung, in der eigene nationale Identität zerstört werden sollte. Da versteht sich von selbst, dass die Rechten mit der Verteidigung dieser Identität nun Anklang fanden. Russland unterstützt den extremen Nationalismus in Osteuropa auch deshalb, weil es die demokratische Entwicklung hemmt und den Ländern ein negatives Image beschert. Und dem Westen fällt es schwer, Empathie für ein Land aufzubringen, das wenig bekannt ist und aus dem auch noch Schlagzeilen über rechtsextreme Aktivitäten kommen.

Die Stärkung des politischen Netzwerks in Europa: ein weicher Machtfaktor Putins

Russlands Politik ist extrem nationalistisch: Sie ist xenophob, migrantenfeindlich und homophob, übt autoritäre Macht aus und schürt ethnischen Hass. Hinzu kommt das sonstige Agieren des Staats: Wirtschaft, Außenpolitik und Kriegshandlungen, zu denen auch der Informationskrieg gehört, hängen organisch zusammen. Die „weiche“ Machtausübung im Westen über die Stärkung eines politischen Netzwerks von Freunden zählt da noch zu den billigeren strategischen Mitteln: Russland unterstützt "Landsleute"-Vereine, die über die staatliche Stiftung „Russkij mir“ (Die russische Welt) finanziert werden. Sie entstand 2007 auf Initiative Putins, in seiner Zeit als Ministerpräsident, und hat es sich zur Aufgabe gemacht, „die russische Welt als globales Projekt“ zu stärken. Diese Vereine sollen patriotischen Fanatismus und antiwestliche Stimmung schüren. Das Ziel: Jeder Russisch sprechende Mensch möge so denken und handeln, wie es sich für einen anständigen Russen nach der Vorstellung des Kreml geziemt.

Während die extreme Rechte also an der Destabilisierung der EU arbeitet, haben die Vereine bei diesem Planspiel zusätzlich die russischsprachige Bevölkerung Europas im Visier. In Finnland hat der größte Teil der russischsprachigen Bevölkerung zum Glück kein Verlangen nach Russland als Retter. Aber man weiß es von anderen Fundamentalisten: Manchmal genügt eine einzige radikalisierte Person, damit die Stimmung zum Kippen gebracht wird.

Zur Beobachtung des illegalen, als Volksabstimmung getarnten Annexionsschauspiels auf der Krim hatte Russland Leute eingeladen, die die extreme Rechte repräsentierten. Oder Vereinigungen, die die russische Agenda unterstützen. In den Augen des Westens wirkte diese Schar marginal. Aber das westliche Verständnis von der Bedeutung eines Politikers fußt auf seiner Beliebtheit bei der Wählermehrheit. Extremisten dagegen wissen, dass es für eine Revolution nur einer kleinen Gruppe bedarf, die die Macht an sich reißt. Auch die Sowjetunion entstand durch die Revolution einer solchen marginalen Gruppierung.

So verkündeten Russlands Ultrarechte kürzlich die frohe Botschaft: Die Europäer machten sich unnötig Sorgen über den Vergleich Putins mit Hitler. Das sei eine gute Sache, handele es sich bei Letzterem doch um einen großen Mann.

– Aus dem Finnischen von Angela Plöger.

Sofi Oksanen

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