Schwule und Lesben in Russland: Die Liebe in den Zeiten Putins
„Homo-Propaganda“ soll in Russland verboten werden. Müssen sich Schwule und Lesben in Zukunft verstecken? Fünf junge Menschen aus Russland erzählen von ihren Erfahrungen und ihrem Kampf gegen Diskriminierung.
JEWGENIJ, 25 JAHRE
kommt aus Wladiwostok und lebt in Dublin
Dass ich schwul bin, habe ich mit zwölf Jahren verstanden, als ich den Film „Titanic“ gesehen habe. Kurz darauf hatte ich erotische Träume, die sich um Jungs drehten. Als mir meine sexuelle Orientierung bewusst wurde, hat das sehr unterschiedliche Gefühle bei mir ausgelöst – von Freude bis Angst. Ich wusste nicht, wie ich leben sollte und was passieren würde, wenn ich jemandem davon erzähle.
In der Schule ahnten viele, dass ich schwul bin. Gesprochen wurde darüber allerdings nie. Ich habe mich damals in einen Mitschüler verliebt. Der hatte große Angst, sich zu outen, er wollte wie ein Hetero wirken. Einmal gingen wir auf eine Party zusammen, da hat er Mädchen geküsst und mit einer geschlafen.
Sein Verhalten hat mich genervt. Nach einem Streit mit ihm habe ich mich betrunken und meinen Eltern zu Hause gesagt, dass ich schwul bin. Meine Mutter war erschrocken und ging mit mir zu einer Psychologin. Die sagte mir, dass Homosexualität „nicht mehr in Mode“ sei. Mit einem Enzephalografen maß sie meine Gehirnströme und verschrieb mir Medikamente, die meine Gehirnaktivitäten stimulieren sollten. So sollte ich mich auf Mädchen umorientieren.
Schäden haben diese Medikamente nicht hinterlassen – im Gegenteil, in der Schule wurde ich nach der Einnahme besser. Meine sexuelle Orientierung hat sich natürlich nicht verändert. Meine Mutter hofft nach wie vor, dass ich von der Homosexualität „geheilt“ werde.
Nach der Schule ging ich an eine Universität in Wladiwostok. Da gab es keine Probleme mit meiner sexuellen Orientierung, wahrscheinlich, weil dort vor allem Kinder reicher Eltern studierten, für die es in Ordnung war, schwul zu sein. Ich wusste trotzdem früh, dass ich ins Ausland gehen wollte, weil ich nur dort die Chance haben würde, offen schwul zu leben. Nach der russischen Uni habe ich einen Abschluss in Ungarn gemacht. Inzwischen wohne und arbeite ich in Dublin. Nach Russland würde ich zurückkehren, wenn sich dort der Umgang mit Schwulen ändern würde.
SERGEJ, 27 JAHRE
kommt aus Smolensk und lebt in Moskau
Über einen Freund, der früher bei der Moskauer Aids-Hilfe gearbeitet hat, bin ich in eine politische Aktivistengruppe hineingerutscht. Zuerst habe ich mich nur in der Aids-Hilfe engagiert. Bald habe ich begriffen, dass wir, wenn wir die Probleme von Schwulen und Lesben in Russland lösen wollen, in die Politik gehen müssen. So wurde ich zum Mitglied verschiedener schwuler Gruppen in Moskau – zuerst der LGBT Rights und dann der Rainbow Asssociation.
Am Anfang unserer Arbeit in der Rainbow Association haben wir die jährliche Woche gegen Homophobie mitveranstaltet und Filmabende organisiert. Bald begannen wir, an politischen Demonstrationen mit befreundeten linken Gruppen teilzunehmen. Bei den großen Demonstrationen gegen Putin 2011 und 2012 haben wir gemeinsam einen LGBT-Block organisiert.
Bei den ersten dieser Demonstrationen kam es noch zu Konflikten mit anderen Teilnehmern aus dem linken und rechten Spektrum, danach wurde es völlig normal, dass wir dabei waren, und alle akzeptierten, dass Schwule und Lesben ihren Block hatten. Durch unsere Teilnahme an den Massendemonstrationen haben wir den Mythos zerstört, dass die russische Gesellschaft zu 100 Prozent homophob ist und nur uralte Vorurteile gegenüber Schwulen und Lesben hat.
Dass ich schwul bin, ist mir schon im Teenageralter klar geworden. Ich hatte damals sowohl mit Jungen als auch mit Mädchen Beziehungen, wobei mir schnell klar wurde, dass Jungen für mich sexuell attraktiver waren.
Das Gesetz gegen Homo-Propaganda empfinde ich als einen Versuch, die Wähler von realen Problemen wie den steigenden Lebenshaltungskosten abzulenken. Selbstverständlich hat unsere Gruppe gegen das Gesetz protestiert. Ich war auch auf der letzten Protestaktion vor der Staatsduma am 22. Januar dabei. Vor dem Eingang versammelten sich schwule Aktivisten und andere Gegner des Gesetzes. Als ich mein Protestplakat entrollte, kam ein Mann auf mich zu und bewarf mich mit Eiern. Anschließend griffen mich andere Männer an und schlugen mir die Nase blutig. Vor der Duma standen etwa 15 Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma, die unsere Abgeordneten schützt. Sie haben sich nicht in die Schlägerei eingemischt.
Warum Sergej keine Angst mehr hat
Wir haben sofort die Polizei gerufen, nach 35 Minuten kam sie tatsächlich. Sie hat sowohl mich als auch meine Angreifer festgenommen. Die waren so dumm, nach dem Überfall vor der Duma stehenzubleiben, weil sie dachten, die Polizei sei auf ihrer Seite. Nachdem das Protokoll aufgenommen wurde, hat mich ein Notarztwagen ins Krankenhaus gefahren.
Dieses Jahr, in dem ich zum politischen Aktivisten geworden bin, hat mich verändert und gefestigt. Ich glaube nicht, dass ich mich aus der Politik wieder in mein Privatleben zurückziehen kann. Ich habe keine Angst mehr und werde für meine Rechte kämpfen – so lange, bis ich als schwuler Mann in Russland offen leben kann.
SWETLANA, 20 JAHRE
lebt in Nischnyj Nowgorod
Mein Leben lang habe ich in Nischnyj Nowgorod gewohnt. Im Moment studiere ich Biologie und arbeite in einem Call-Center. Ich sage allen, dass ich bisexuell bin, obwohl ich mich selbst als intersexuell definiere: als einen Mann, der im Körper einer Frau steckt. Meine Freundinnen sind wie ich – Lesben, die männliche Kleidung tragen und sich wie Männer benehmen. Ich selbst treffe Männer wie Frauen, obwohl es mit Frauen eher um Liebe und Beziehungen geht und mit Männern um sexuelle Lust.
Meine Eltern wissen über meine sexuelle Orientierung Bescheid. Sie sind strikt dagegen und halten mich für übermäßig tolerant. Mein Bruder ist total homophob. Er sagt ernsthaft, dass man Schwule töten müsse. An der Universität und im Büro habe ich hingegen keine Probleme. Da erzähle ich alles aus meinem Privatleben. Niemanden stört das.
Bisher habe ich an drei Moskauer Demonstrationen der schwul-lesbischen LGBT-Aktivisten gegen Putin teilgenommen. In Nischnyj Nowgorod organisiere ich einen schwul-lesbischen Filmklub. Ich finde, wir müssen für unsere Rechte kämpfen, damit die Homo-Propaganda-Gesetze außer Kraft gesetzt werden. Und dafür, dass eines Tages homosexuelle Ehen zugelassen werden.
Viele russische Schwule glauben, dass sie sich verstecken müssen – nur dann können sie in Sicherheit leben.
JEWGENIJA, 60 JAHRE
LGBT-Aktivistin, wohnt in Moskau
In den 80er Jahren war ich in der demokratischen Bewegung der Sowjetunion aktiv. Wir haben damals viel über Menschenrechte gesprochen, und ich habe das Thema mit den Rechten der Homosexuellen verknüpft, weil es mir wichtig war. 1990 habe ich zusammen mit Roman Kalinin den „Verein für sexuelle Minderheiten“ gegründet. Unser Ziel war es, Paragraph 121 des russischen Strafgesetzbuchs abzuschaffen, der die Homosexualität unter Strafe stellte. Ich habe mich dafür engagiert, weil ich keine andere Wahl sah. Eigentlich halte ich Sexualität für eine Privatangelegenheit. In einer normalen, toleranten Gesellschaft müsste ich mein Sexualleben mit niemandem diskutieren.
Ich komme aus Swerdlowsk im Ural, wohne aber schon seit 35 Jahren in Moskau, die Stadt ist inzwischen meine Heimat. Ich kann mich nicht als Lesbe bezeichnen, denn ich war zwei Mal mit Männern verheiratet und habe von ihnen zwei Kinder. Ich hatte sowohl homo- als auch heterosexuelle Beziehungen. Dass ich Frauen wie Männer mag, wurde mir in der Schule klar. Damals, in der Sowjetunion, war Sexualität, und besonders Homosexualität, stark tabuisiert.
Wir wussten, dass so etwas in der Armee oder im Gefängnis vorkommt, aber gesprochen haben wir nie darüber. Schwule mussten mit einer Gefängnisstrafe rechnen, Lesben mit einer Einweisung in die Psychiatrie. Ich bekam zum Glück nie Probleme mit dem Staat, wahrscheinlich weil ich verheiratet war.
Nachdem der Paragraph 121 tatsächlich 1993 aufgehoben wurde, habe ich mich erst mal von der Politik verabschiedet und wurde Wirtin einiger Szenebars. Für mich war das einfach ein guter Weg, um Geld zu verdienen.
Erst 2006 wurde ich wieder aktiv. Da ging ich auf die erste russische Gay Pride – zusammen mit Nikolaj Alexejew. Viele in der Szene nennen ihn einen Provokateur, weil er jedes Jahr versucht, eine Parade zu veranstalten, die immer mit Schlägereien mit Rechten und der Polizei endet. Aber ich glaube, dass das der einzige Weg ist, die russische Gesellschaft für das Thema Homo-Rechte zu sensibilisieren, damit nicht so ein verrückter Kerl wie der Abgeordnete Milonow aus Sankt Petersburg ein Gesetz gegen so genannte Homo-Propaganda durchdrückt. Ich verstehe nicht, wie homosexuelle Eltern, die heimlich ihre Kinder erziehen, unter dem neuen Gesetz leben sollen. Oder sollen sie sich von ihnen trennen?
OLEG, 22 JAHRE
kommt aus Uljanowsk, studiert in Moskau
Ich bin in der Provinzstadt Uljanowsk an der Wolga aufgewachsen. Mit 14 Jahren habe ich kapiert, dass ich schwul bin. Ich habe Filme wie „Studio 54“ oder „American Pie“ geguckt und eigentlich nur auf die männlichen Schauspieler geachtet. Zwei Jahre lang hoffte ich, dass meine Neigungen vorbeigehen würden, danach habe ich mein Anderssein akzeptiert.
Meinen Eltern und Freunden habe ich von meiner Homosexualität nichts erzählt. Ich wollte nicht, dass sich meine Eltern Sorgen machen und meine heterosexuellen Freunde mich verlassen. Mit 16 suchte ich im Internet nach einem Freund. Ich hatte ein paar Treffen mit Jungs aus meiner Stadt, es ist allerdings nie zum Sex gekommen.
Mir war klar, dass ich mit 17 nach Moskau umziehen würde – um eine bessere Ausbildung zu bekommen und meine Sexualität freier ausleben zu können. Ich wusste, dass es in der Stadt viel mehr Möglichkeiten gibt. Der schwulen Szene bleibe ich jedoch fern. Ich habe nie Clubs besucht, weil ich One-Night-Stands und die schwule Subkultur, wie sie in Moskau existiert, nicht mag.
Im vergangenen Jahr habe ich mehrfach an Protesten gegen Putin teilgenommen. Bei den Demonstrationen der Schwulen und Lesben war ich nicht dabei, ich stehe ihnen aber positiv gegenüber. Viele russische Schwule glauben, dass sie sich verstecken müssen – nur dann können sie in Sicherheit leben. Ich glaube, wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir aktiv dafür kämpfen. Mir fehlen dafür leider Zeit und Mut.
Victor Trofimov